Realschule plus

Von Christoph Gehring · 28.05.2008
Rheinland-Pfalz will bis zum Schuljahr 2013/2014 die Hauptschulen abschaffen. Dafür soll es den Bildungs-Hybrid "Realschule plus" geben, die sowohl den Real- als auch den Hauptschulabschluss anbieten wird.
" Niemanden zurücklassen, alle mitnehmen, keinen beschämen. "

Mit diesem Satz ist Tilman Boehlkau, der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Rheinland-Pfalz, immer und immer wieder durchs Land gezogen und hat damit für nichts Geringeres als die Abschaffung der Hauptschule geworben. Denn die, so Boehlkau, führe ihre Schüler ins Nichts:

" Die Schülerinnen und Schüler der Hauptschule sind von vornherein stigmatisiert, wenn sie mit dem Zeugnis einer Hauptschule kommen. Sie können noch so gut abgeschnitten haben, da steht doch Hauptschule oben drauf – die Schule der Loser. "

Zum Ende seiner Amtszeit scheint Tilman Boehlkau gehört worden zu sein: Rheinland-Pfalz schafft die Hauptschulen ab. Bis zum Schuljahr 2013/2014 soll die ungeliebte Schulform verschwunden und das rheinland-pfälzische Bildungssystem ein besseres geworden sein. Kultusministerin Doris Ahnen von der SPD formuliert die Ziele der Reform:

" Wir wollen bei dieser neuen Konzeption weitere Optionen für ein längeres gemeinsames Lernen realisieren, weil es von vielen gewünscht wird. Wir wollen die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler auch durch neue Förderkonzepte verbessern. Und ganz besonders wichtig ist uns eine noch gezieltere Förderung leistungsschwächerer Schülerinnen und Schüler, insbesondere auch eine drastische Reduzierung der Schulabbrecherquote. "

Das alles soll ein neuer Schultypus leisten: Die "Realschule plus", die sowohl den Real- als auch den Hauptschulabschluss anbieten wird. Im Prinzip existiert dieser Bildungshybrid in Rheinland-Pfalz schon länger. Denn dort, wo die Hauptschulen an Schülermangel einzugehen drohten, hat das Mainzer Kultusministerium schon vor zehn Jahren sogenannte "Regionale Schulen" eingerichtet, in denen Haupt- und Realschüler gemeinsam unterrichtet werden. Also so etwas wie eine Integrierte Gesamtschule, nur ohne gymnasialen Zweig. 83 solcher Regionaler Schulen gibt es zur Zeit in Rheinland-Pfalz, eine davon steht in Wörth am Rhein. Ihr Leiter, Joachim Paul, ist ein gutgelaunter Mann mit ergrauenden Haaren, braunem Samtsakko, Jeans und modischen Schuhen. Das gemeinsame Lernen von Haupt- und Realschülern, sagt er, hilft den Schwächeren, ohne die Leistungsfähigeren zu bremsen:

" Wir haben von Anfang an in der Regionalen Schule schon ganz andere Unterrichtskonzepte eingeführt gehabt: Wir haben Wochenplan-Arbeiten eingeführt, wir haben Stationen-Lernen, hauptsächlich in der Orientierungsstufe, eingeführt und sind auf dem Weg auch weitergegangen. Haben integrative Klassen dann gehabt, und wir haben die Erfahrung gemacht, dass man schwächere Schüler damit auffangen kann. Einmal durch diese Förderung und dann in der integrativen Gruppe, dass gerade was die soziale Zusammenarbeit angeht, dass die Schwächeren da profitieren aber auch die Stärkeren, die da sind, nicht irgendwie unterfordert werden, sondern für die kann man jederzeit Förderangebote, FORDERangebote sagt man da besser dazu, dann auch anbieten."

Tatsächlich scheint das gemeinsame Lernen die Erfolge zu zeitigen, die Deutschlands Schulpolitiker sich so wünschen. In der Regionalen Schule Wörth zeugt davon eine eindrucksvolle Galerie von Urkunden für gewonnene Wissenswettbewerbe, die den Gang zum Büro von Schulleiter Joachim Paul ziert:

" Das ist ein Wettbewerb, der eigentlich nur für Gymnasien immer war und vor drei, vier Jahren auch geöffnet wurde für Realschulen. Und wir haben dann gesagt, ja warum sollen wir dann da nicht mitmachen? Wir waren eigentlich da recht erfolgreich. Wir haben einmal... Nee, das hängt da draußen... Einmal haben wir mit einer Klasse auch den 1. Preis da gemacht. (Pause) Den 1. Rang, den haben wir auch mal gehabt. "

Damit die "Realschule plus" wirklich ein Erfolg wird, stellt das Land Rheinland-Pfalz für den neuen Schultypus zusätzliche Lehrerstellen zur Verfügung. Die Maximalgröße der Klassen 5 und 6 wird von 30 auf 25 Kinder reduziert. Und am Ende der "Realschule plus" soll ein spezielles 10. Schuljahr mit Intensivförderung besonders schwache Schüler davor bewahren, ohne Abschluss von der Schule zu gehen. Die neue Schulstruktur gibt es also nicht umsonst, aber dem Ministerpräsidenten Kurt Beck ist das Bildungswesen eine Herzensangelegenheit – schließlich hatte er ursprünglich selbst nur einen Hauptschulabschluss und musste sich auf dem Zweiten Bildungsweg nach oben arbeiten. So jemand weiß, wie wichtig Bildungschance für den sozialen Aufstieg sind.