Realität und virtuelle Welten

Warum Videospiele so real wie die Wirklichkeit sind

Markus Gabriel im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 23.08.2017
Markus Gabriel ist Philosophie-Professor und beschäftigt sich leidenschaftlich mit Computerspielen. Im Interview erklärt er, warum auch Vorstellungen und Bilder in unserem Kopf ganz real sind und was das mit dem Bundestagswahlkampf zu tun hat.
Markus Gabriel ist begeistert von Videospielen: "Sie sind eine besonders avancierte Form von Kunst", sagt er, "deshalb interessieren mich Videospiele in ihrem Charakter als Kunstwerke." Gabriel ist begeisterter Gamer und außerdem Professor für Philosophie an der Universität Bonn. Er sagt: Virtuelle Landschaften wie die in einem Videospiel existieren, genau so wie die physische Welt um uns herum. "In diesem Fall in meiner Einbildungskraft und in der Einbildungskraft aller anderen, die diese Spiele spielen. Die Spielwelt ist 'objektivierte' Einbildungskraft, das heißt: Wir können uns gemeinsam etwas vorstellen, in dem wir dieses Spiel spielen."
Auch das Argument, man könne einen Computer ja herunterfahren, lässt er nicht gelten: "Man kann jede Wirklichkeit abschalten. Ich kann zum Beispiel meinen Stuhl zerstören, Sie können mich umbringen oder wir können das Gespräch beenden, das wir gerade führen…", sagt er im Gespräch mit Vladimir Balzer und und Axel Rahmlow. Denn auch die physikalische Wirklichkeit um uns herum existiere ja nur befristet - höchstens so lange, bis das Universum vergehe. "Jede Form von Information, und damit Materie und Energie, wird irgendwann verschwinden, also alles, was existiert, auch das Physikalische, verschwindet. Nichts bleibt für immer."

Auch Videospiele kann man nicht wirklich ausschalten

Gabriel geht so weit, unser alltägliches Leben und Denken mit einem Videospiel zu vergleichen: "Der Unterschied zwischen meinen Träumen und einem Videospiel ist, dass meine Träume nicht unmittelbar objektiv gemacht werden - außer ich bin Künstler und benutze meine Träume für surrealistische Malerei", meint er. "Videospiele können Sie in diesem Sinne nicht abstellen, weil 24 Stunden lang auf diesem Planeten gespielt wird. Das heißt, es gibt keinen Moment in der heutigen Menschheit, in der nicht viele Millionen Menschen spielen."
Doch das ist mitnichten ein neues Phänomen oder eines, das erst mit der Erfindung der Computer in die Welt gekommen sei: "Seit es Kunstwerke gibt, gibt es die sogenannte 'alte Wirklichkeit' nicht mehr. Die Wirklichkeit, die aus Fingernägeln und Leuten und Essen besteht und aus physikalischen Gegenständen, die gibt es nicht erst seit 50 Jahren, sondern schon seit 100.000 Jahren nicht mehr - seit die Menschen symbolisch geworden sind."
Bundeskanzlerin Angela Merkel schaut auf der Gamescom in Köln ein virtuelles Autorenn-Computerspiel an.
Bundeskanzlerin Merkel auf der Gamescom in Köln© dpa / Marcel Kusch
Er meint: "Die Frage nach Wirklichkeit ist die entscheidende politische Frage. In der Politik geht es eigentlich um einen Kampf um Wirklichkeit. Es soll festgelegt werden, was als Wirklichkeit gilt. Je nach Festlegung dessen, was wir für wirklich halten, werden Ressourcen anders verteilt." Und das sei auch der Grund, dass Politiker wie Angela Merkel auf die Gamescom gingen, um dort Wahlkampf zu machen - und solche Termine nicht in irgendwelchen grauen Büros stattfänden.
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