Reaktionen auf Urteil im Halle-Prozess

"Er wird hinter Gitter gehen und ich werde mein Leben feiern"

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Halle-Attentäter: der Angeklagte Stephan Balliet mit seinen Anwälten Hans Dieter Weber und Thomas Rutkowski im Landgericht Magdeburg
Urteilsverkündung im Landgericht Magdeburg gegen den Halle-Attentäter Stephan Balliet – nicht alle sind damit zufrieden. © imago images/Christian Schroedter
Von Sebastian Mantei · 25.12.2020
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Das Urteil im Prozess gegen den Attentäter von Halle ist Anfang der Woche gesprochen worden. Trotz Höchststrafe fallen die jüdischen Reaktionen dazu unterschiedlich aus. Sie reichen von Anerkennung über Lob bis Wut.
Die Richterin hat die Höchststrafe für den Attentäter verhängt. Der junge Mann, der die Betenden in der Synagoge zu Halle mit seinen selbstgebauten Waffen am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hinrichten wollte, muss lebenslang hinter Gitter und kommt danach in Sicherungsverwahrung.
Das letzte Aufbegehren des Attentäters erfolgte am Schluss der Urteilsverkündung, als er mit einem Hefter nach den Nebenkläger*innen warf, wie sich Naomi Henkel-Gümbel erinnert, die am 9. Oktober 2019 in der Synagoge von Halle um ihr Leben bangte.
"Natürlich war das schockierend zu sehen, dass der Angeklagte, auch noch den letzten Moment ausnutzt, um Aggressionen zu zeigen", sagt Henkel-Gümbel. "Aber letztendlich ist es so: Er wird hinter Gitter gehen und ich werde mein Leben feiern und zusammen mit anderen Betroffenen Solidarität zeigen und auf eine bessere Gesellschaft hinarbeiten."
"Und ich denke, dass es genau das ist, worauf es ankommt. Unser Bestes zu tun, um solche Anschläge in Zukunft einzudämmen und unseren Beitrag dazu zu leisten, das Erlebte weiterzugeben und solche Anschläge zu verhindern."

Die Reaktion darauf ist Mut

Die junge Rabbinatsstudentin, die in Berlin studiert und aus Tel Aviv stammt, hat in Halle gespürt, wie gefährlich es für Juden in Deutschland sein kann. Gleichzeitig will sie aber Antisemiten die Stirn bieten und andere Jüdinnen und Juden motivieren, es ihr gleich zu tun.
"Ich glaube fest daran, dass jüdisches Leben in Deutschland eine Gegenwart und auch eine Zukunft hat. Was dieses Urteil gezeigt hat, dass wir unsere Stimmen laut machen müssen bei antisemitischen Gewalttaten und auch Beleidigungen", sagt sie.
"Wir können das nicht einfach unter den Teppich kehren, sondern - auch wenn wir als Juden und Jüdinnen davon betroffen sind - sollten wir keine Scham empfinden unsere Stimme zu erheben und auch darauf aufmerksam machen und uns auch an Strukturen wenden. Und genauso als Gesamtgesellschaft können wir einfach nicht länger wegschauen."

Antisemitismus wird in Deutschland permanent erneuert

Rechtsextremismus und Antisemitismus keimen wieder in Deutschland, so die Nebenklage-Anwältin Kristin Pietrzyk. Alte Vorurteile und neue politische Parteien, die Rechtsextremisten den Weg in die Parlamente ebnen, tragen dazu bei. Das bekommt auch Marina Chernivski zu spüren. Sie arbeitet für die Beratungsstelle OFEK, die sich um Opfer antisemitischer Gewalt kümmert. Sie hat mehrere Überlebende des Attentats begleitet.
"Ich glaube, wir müssen tatsächlich hier anfangen. Also einfach verstehen, dass dieses Land von einer Kontinuität rechter rassistischer antisemitischer Gewalt verfolgt wird, dass wir hier in den Strukturen, in Institutionen, in Gedanken unausweichlich auch Reste haben von diesem Denken. Und dass diese Ideologie sich permanent erneuert", sagt Chernivski.
"Ich glaube, wenn wir das nicht tun, wird es schwierig auch die passenden Strategien dazu zu finden. Und das muss wirklich allumfassend sein. Wir haben wirklich dieses Problem hier in dieser Gesellschaft."
Für Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, ist von der Justiz ein gerechtes Urteil gesprochen worden.
"Ich habe an dem Prozess keinerlei Kritik. Ich bin der Überzeugung, dass das Gericht, insbesondere die vorsitzende Richterin, dieses Verfahren adäquat durchgeführt hat. Sie hat zum einen den Nebenklägern mit viel Sensibilität die Möglichkeit gegeben ihre Gefühle zu artikulieren, auf der anderen Seite aber auch dafür gesorgt, dass der Angeklagte in seinen Einlassungen antisemitische Thesen nicht ausbreiten konnte und sich nicht auch entsprechend hier produzieren konnte."

Mutter war jahrelang Ethiklehrerin

Das sieht auch der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, so. Er begrüßt zwar das Strafmaß für den Attentäter, zugleich kritisiert er aber, dass die Rolle der Familie des Angeklagten nicht ausreichend untersucht wurde.
"Die Tatsache, dass die Mutter des verurteilten Mörders mit ihren antisemitischen Einsichten jahrelang als Ethiklehrerin gearbeitet hat, ist die eigentliche Schande und Katastrophe", so der Gemeindevorsitzende nach dem Urteilsspruch. Er will nun prüfen lassen, ob das noch ein juristisches Nachspiel haben kann.
Nebenklägerin Christina Feist fordert nach dem Prozess mehr Engagement seitens der Politik, im Kampf gegen Antisemitismus.
"Es ging in diesem Prozess ja nie nur um das Attentat. Es ging immer um das größere Ganze. Das größere Ganze heißt Antisemitismus und rechte Ideologien, die die Demokratie in Deutschland gefährden. Das Attentat ist mehr als ein Jahr her, der Prozess ist (heute) nach fünf Monaten zu Ende gegangen, da ist mehr als genug Zeit vergangen, als da zumindest irgendwelche Maßnahmen hätten gesetzt werden können. Stattdessen sind wir immer noch bei leeren Worten auf die keine Taten folgen und ich bin auch da bitterlich enttäuscht."

Freundschaften für das Leben danach

Das Urteil ist gesprochen, die Kritiker fordern mehr Einsatz von Staat und Gesellschaft und dennoch hat dieser Prozess auch viel Menschliches gezeigt. Es haben sich unter den Überlebenden Freundschaften gebildet zwischen Juden, Muslimen, Christen und Konfessionslosen, wie diese junge Frau erzählt.
"Viele von den Nebenklägern, wir haben uns alle beim Prozess kennengelernt. Und was ich wunderbar finde, dass in vielerlei Weise der Prozess uns eigentlich zusammengebracht hat. Anstatt dass der Angeklagte es geschafft hat, unsere Gemeinschaften noch weiter zu spalten, haben wir uns weiter zusammengebracht und uns zu einer Gemeinschaft gebracht und das finde ich wunderbar."
Diese Solidarität im Kleinen sollte Vorbild für alle gesellschaftlichen Kräfte im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus sein. Für die Überlebenden und die Angehörigen geht nach dem Prozess das Leben weiter, aber die Erinnerungen an den 9. Oktober 2019 werden sie ein Leben lang in sich tragen und den Wunsch, dass sich Attentate, wie das von Halle, nie wiederholen dürfen.
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