Raumsonde

Wie Rosetta am Bodensee erbaut wurde

So sieht "Rosettas" Landeeinheit "Philae" aus, die sich am 12. November 2014 von der Muttersonde lösen und auf die Oberfläche des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko hinabsinken soll.
So sieht "Rosettas" Landeeinheit "Philae" aus, die sich am 12. November 2014 von der Muttersonde lösen und auf die Oberfläche des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko hinabsinken soll. © MEDIALIAB / ESA / AFP
Von Thomas Wagner · 11.11.2014
Wenn die europäische Raumsonde "Rosetta" am Mittwoch erstmals in der Geschichte der Raumfahrt ein von Menschen geschaffenes Gerät weich auf einem Kometen landen lässt, werden auch Ingenieure in Friedrichshafen den Atem anhalten. Denn sie haben Rosetta gebaut.
"Das ist 450 Millionen Kilometer entfernt. Eine unvorstellbare Entfernung, ganz tief draußen im Weltall."
Gunther Lautenschläger, Projektleiter beim Rumfahrtkonzern "Airbus Defense and Space" in Friedrichshafen, ist ein Weltraumpionier. Er hat mitgearbeitet an "Rosetta", der wohl modernsten Raumsonde aller Zeiten. Die Sonde, die mit ihren riesigen Solar-Panels wie ein silbrig glänzendes Rieseninsekt im All aussieht, wurde mitsamt dem Landegerät beim Raumfahrtkonzern Airbus Defense and Space in Friedrichshafen gebaut.
Nur einen Steinwurf vom Bodenseeufer entfernt, tüftelte ein rund 100-köpfiges Projektteam in sterilen Werkstätten, die eher an die OPs von Krankenhäusern erinnern, an der Raumsonde "Rosetta" und ihrem Landegerät "Philae". Die wohl kniffligste Aufgabe dabei: Wie kann "Rosetta" die große Entfernung bis zum Kometen zurücklegen - ohne dabei nachzutanken?
Die Raumfahrt-Ingenieure aus Friedrichshafen ersannen hierzu das so genannte "Swing-By-Verfahren": Dabei fliegt die Sonde nicht direkt ins Ziel, sondern kreist um die Erde, in immer größeren Abständen, so als ob ein Hammerwerfer seine Kugel an einer Schnur um sich herum schwingt, dabei aber die Schnur immer länger werden lässt.
Bei diesem Verfahren nutzt die Raumsonde den Schwung der Anziehungskraft als Antriebsenergie - ein Kniff, den man nicht nur beim Umrunden der Erde anwendete, erklärt Projektleiter Gunther Lautenschläger:
"Die Energie, die wir an Bord haben, liegt bei nur etwa 25 Prozent derjenigen Energie, die wir brauchen, um auf die Kometenumlaufbahn zu kommen. Dementsprechend nehmen wir die Erde und den Mars zum Schwung holen. Und deswegen fliegen wir immer wieder Kreise um die Sonne, um die Erde, holen mehr Schwung und lassen uns mitziehen und kommen immer weiter raus, erstmals über den Asteroiden-Gürtel, dann über den Asteroiden-Gürtel hinaus, bis wir dann ganz tief in der Entfernung vom Jupiter sind."
Sogar Harpunen an Bord
Immer im Reisegepäck bei diesen Umrundungen war "Philae", das kleine Landgerät, das nun auf dem Kometen aufsetzen soll. Auch "Philae" entstand in den Labors am Bodensee.
"Also das ist im Prinzip eine Kiste von 1x1 Meter, vollgepackt mit Instrumenten aus Avionik, damit es sich sozusagen selber am Leben erhalten kann. Und unten dran hängt ein Landegestellt, das eben sicher stellen soll, dass wir auf diesem Kometen, nur von der Schwerkraft gesteuert, sicher landen können."
So Hans-Jürgen Jung, der bei Airbus Defense and Space an der Mechanik tüftelte.
"Die Füßchen werden nach dem Abtrennen von dem Satelliten ausgeklappt und gleichzeitig nach außen gefahren, so dass wir drei Beine haben, die einen sehr großen Standradius haben mit einem Durchmesser von drei Metern, so dass wir auch sicher stehen können."
Und das ist extrem wichtig auf der schroffen Oberfläche des Kometen, von der niemand so genau weiß, wie uneben sie am Landeplatz sein wird. Darüber hinaus hat das Landgerät auch - man mag's kaum glauben - Harpunen an Bord:
"Also, wir wollen niemanden jagen, vor allem keine Walfische. Also da rechnen wir jetzt nicht mit."
Vielmehr dienen die mitgeführten Harpunen dazu, den Lander wegen der geringen Schwerkraft auf dem Kometen zu verankern. Denn "Philae" wiegt auf der Erde zwar etwa 100 Kilogramm. Auf dem Kometen im All sieht das aber ganz anders aus.
"Philae" wiegt im All "so viel wie ein Blatt Papier"
"Der wiegt dort nur so viel wie ein Blatt Papier. Deshalb müssen wir den Lander verankern. Dazu schießen wir zwei Harpunen in den Boden und ziehen ihn denn sozusagen richtig am Boden fest."
Über eine Milliarde Euro gibt die europäische Raumfahrtorganisation Esa für das Rosetta-Projekt aus; ein Drittel davon steuert alleine Deutschland bei. Immerhin geht es um ein bedeutendes wissenschaftliches Projekt: Die Erforschung der Ur-Materie und das Geheimnis um die Entstehung des Lebens. Ausschlaggebend dafür könnten organische Materialien sein, die beim Zusammenstoß eines Kometen mit der Erde auf die Oberfläche gelangten - organische Materialien, wie sie auch auf dem Kometen 67P/Tschurjumov-Gerassimenko abgelagert sind. Rüdiger Gerndt:
"Unser Komet, der stinkt regelrecht - nach faulen Eiern, nach Gülle. Also das sind schon organische Moleküle. Auch wenn das noch kein Leben ist. Aber das sind zumindest Grundbausteine des Lebens. Und das dort zu finden, wäre ein Hinweis darauf, dass solche Stoffe von Kometen auf die dann durchaus erkaltete Erde gelangt sind."
Deshalb fiebern auch die Raumfahrtingenieure vom Bodensee dem späten Mittwochnachmittag entgegen. Gegen 17 Uhr soll das Landegerät auf dem Kometen aufsetzen. Für Projektleiter Gunther Lautenschläger ist das Rosetta-Projekt so etwas wie eine Lebensaufgabe:
"Es ist ein fantastisches Projekt. Ich bin total begeistert davon. Ich find's toll, dass ich die Chance habe, in diesem Projekt mitzuarbeiten und Teil dieses epochalen Ereignisses zu sein."
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