Raubkunst

Was Görings Diebesgut erzählt

Von Astrid Mayerle · 22.10.2014
Mehr als 5000 Werke bunkerte Hermann Göring. Der NS-Reichsmarschall hat die Kunstwerke und Antiquitäten selten gekauft - die meisten Objekte kommen aus der Beschlagnahmung jüdischen Besitzes. Die Kunsthistorikerin Ilse von der Mühlen fahndet nach der Herkunft der Werke in Görings "Sammlung".
"Für mich die wichtigste Erkenntnis ist, dass man heute so viel mehr herausbekommen kann als direkt nach dem Krieg."
So die Kunsthistorikerin Ilse von zur Mühlen. Ihre Recherchen gleichen kriminalistischen Spurensicherungen. Sie arbeitet mit den kleinsten Details, die etwas über ein Objekt erzählen. Bei den Skulpturen aus der Sammlung Göring sind es kleine weiße Zettel wie etwa auf der Rückseite einer "Stiftergruppe mit Heiligen" um 1470. Hier kann man ein großes H und eine dreistellige Nummer entziffern.
Ilse von zur Mühlen gelang es, durch einen Abgleich mit mehreren Inventaren, die Bedeutung dieses Kürzels ausfindig zu machen. Sie ordnete das H dem Begriff "Holzplastikkatalog" zu, den die Alliierten auf die Inventarkarten des Central Collecting Point notiert hatten. Die Angaben hatten die Alliierten zum Teil von den ehemaligen Archivaren Görings erhalten. Im Bundesarchiv Koblenz stieß Ilse von zur Mühlen auf eine Abschrift, die wohl ebenfalls Görings Helfer als ein Vorgängerinventar zu jenem "Holzplastikkatalog" angefertigt hatten.
Die Informationen, die die Kunsthistorikerin in Koblenz fand, ergänzte sie mit weiteren Hinweisen aus Auktionskatalogen der 30er- und 40er-Jahre. Das Ergebnis: Ilse von zur Mühlen fand heraus, dass drei Skulpturen vollkommen unbedenklich sind:
"Ich habe 50 Skulpturen, wo ich Provenienzlücken habe, das heißt, immer wenn eine Lücke weiter besteht, ist potenziell die Möglichkeit, dass ein Entzug vorliegt. Das harrt weiterer Erforschung. Innerhalb dieses Komplexes gibt es auch sechs Skulpturen, von denen ich denke, dass sie eindeutig belastet sind. Hier sind wir aber direkt an einem Punkt, dass wir an eine Rückgabe denken können, man muss in dem Fall genau prüfen, ob schon Entschädigungen geflossen sind und ähnliches."
Kunst an die rechtmäßigen Besitzer zurückgeben
Insgesamt hat das Bayerische Nationalmuseum seit den 70er-Jahren zehn Restitutionsfälle bearbeitet und abgeschlossen. Erst in den vergangenen Jahren beschäftigten sich die Kunsthistoriker am Hause intensiver mit der Aufarbeitung der Sammlung Göring. Warum erst seitdem und warum dauert alles so lange?
"1961 und Folgejahre hat man mehr oder weniger gedacht, das Thema ist abgehakt und hat sich nur nach Bedarf mit dem Thema auseinandergesetzt und sich anderen Fragen gewidmet. 1998 haben die Museen Aufforderungen bekommen, sich über ihre Bestände klar zu werden und das Bayerische Nationalmuseum hat Anstrengungen unternommen und hat auch in Publikationen 2005 einige Bestände angesprochen und veröffentlicht auch über Beschlagnahmungen in München."
1998 verpflichteten sich 44 Länder in der Washingtoner Erklärung freiwillig, Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt worden waren, zu recherchieren und ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Die Unterzeichner-Länder übertrugen allerdings die Verantwortung und die Finanzierung dieser Recherchen zunächst auf die Museen, die angesichts geringer Budgets, der Komplexität des Themas und der Zahl der Fälle oft völlig überfordert waren.
In den ersten Jahren nach der Washingtoner Erklärung recherchierten vor allem eigene Mitarbeiter, nicht unbedingt Experten, über die Herkunft fragwürdiger Objekte. Sicher sind dies auch Gründe, warum das Bayerische Nationalmuseum erst jetzt umfassend seine Teile der Sammlung Göring erschließen konnte und weiterhin kann - übrigens mit nur einer hauptamtlichen Stelle, die des Provenienzforschers Alfred Grimm:
"Die Realisierung dieses Projektes war nur möglich mit Förderung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung Berlin mit zusätzlichen Mitteln der Eleonora Schamberger Stiftung München."
So umfangreich das Forschungsprojekt auf der Website des Bayerischen Nationalmuseums und bei Lostart.de dokumentiert wird, schade ist, dass die Ausstellung nur fünf Skulpturen in einem eigenen Kabinett zeigt und elf weitere Objekte der Sammlung Göring in der Dauerausstellung. Die Begründung Alfred Grimms lautet: das Museum möchte die Objekte der Sammlung Göring einmal im Gesamten vorstellen, wenn sie alle erforscht sind.
Doch das wird sicher noch einige Jahre ein Anspruch nehmen.
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