Ratlose Intellektuelle

Von Johannes Willms · 11.03.2007
"Die Welt", bemerkte Alexis de Tocqueville in seinen Memoiren, "ist eine seltsame Bühne. Auf ihr gibt es Augenblicke, in denen die schlechtesten Stücke diejenigen sind, die den meisten Erfolg haben".
Die französische Präsidentschaftswahl, deren erste Runde Ende April stattfindet, könnte dafür einen neuen Beleg liefern, zumal sich die beiden aussichtsreichsten Kandidaten durch Populismus auszustechen suchen. Dagegen haben bislang nicht einmal die Intellektuellen aufbegehrt, obwohl dies ihres Amtes wäre. Damit scheint sich ihr Verschwinden zu bestätigen, das ihnen schon seit längerem vorausgesagt wurde.

Auch in Frankreich war und ist die Mehrheit der Intellektuellen traditionell auf der politischen Linken anzutreffen. Umso mehr fällt deshalb auf, dass die Kandidatin der Sozialisten, Ségolène Royal, ihnen bislang keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Das irritierte Mitte Januar bereits den Soziologen Michel Wieviorka, der in der linksliberalen Tageszeitung "Libération" die politische Hoffnungsträgerin der Linken dazu aufrief, das Vertrauen der Wissens- und Ideenträger zu gewinnen und sich aller Urteile zu enthalten, die dem Affen einer wohlfeilen Intellektuellenschelte Zucker geben könnten.

Nicht nur verhallte dieser Appell ungehört, sondern die Kandidatin interessierte sich auch ganz ostentativ mehr für die Stimmen und Meinungen der "einfachen Franzosen", des "peuple en bas", die sie auf einer ausgedehnten Rundreise durch Frankreich einsammelte und aus denen sie ihr Wahlmanifest entwickelte, dessen hundert Punkte sie im Februar vorstellte. Da von der Ausarbeitung des Manifests die Intellektuellen auch fern gehalten wurden, beklagte der Soziologe Eric Debarbieux deren systematische Verachtung seitens der Kandidatin, die er deshalb politischer Rattenfängerei beschuldigte, um sich umso besser beim Volk anbiedern zu können. Die Klage mag polemisch überspitzt sein, hat aber einen wahren Kern, denn die Kandidatin vermied bislang jede programmatische Äußerung, von der sich die Intellektuellen hätten angesprochen fühlen können. Im Gegenteil: Madame Royal verstörte diese mit griffigen Parolen von Recht und Ordnung, Disziplin und Gehorsam, kurz appellierte an Sekundärtugenden als einem rasch wirkenden Allheilmittel für allerlei gesellschaftliche Gebrechen.

Diese Strategie hat durchaus Sinn, denn Frankreich ist ein Land, in dem die politische Rechte die strukturelle oder soziologische Mehrheit hat, das heißt die Linke hat hier nur dann Chancen zu siegen, wenn es ihr gelingt, glaubwürdig "rechte Themen" zu besetzen oder die Rechte gespalten ist und deshalb zwei aussichtsreiche Kandidaten ins Rennen schickt. Diesen Fehler hat die Rechte diesmal vermieden, indem sie sich schließlich doch hinter Nicolas Sarkozy scharte. Damit bleibt der Linken also nur die andere, die populistische Option, für die sich Ségolène Royal als Königsweg zur Macht entschied und die einigen Intellektuellen solches Unbehagen bereitete, dass sie lauthals ins andere Lager wechselten, um wenigstens so den Nachweis ihrer fortdauernden Existenz zu liefern. Zu diesen Überläufern zählt beispielsweise der ehemalige Maoist André Glucksmann, dessen Beispiel Alain Finkielkraut, Pascal Bruckner und der einstige Sprecher François Mitterrands, der Historiker Max Gallo folgten.

Dieser spektakuläre Frontwechsel einiger Vorzeigeintellektueller machte immerhin soviel Lärm, dass sich seitdem immer mehr bemüßigt fühlten, öffentlich für Ségolène Royal Partei zu ergreifen, obwohl diese nach wie vor alle Themen meidet, die Intellektuellen wichtig sind wie beispielsweise die Europapolitik, der Laizismus oder die Kulturpolitik. Entsprechend gequält klingen die Appelle, für Madame Royal zu stimmen, die vor allem damit begründet werden, nur so einen "Neokonservativen" vom Schlage eines Sarkozy, dem überdies cäsaristische Motive unterstellt werden und den man als Repräsentanten einer neuen Plutokratie verteufelt, vereiteln zu können. Allein, mit solch öffentlicher Parteinahme leisten die Intellektuellen gerade nicht das, was nach eigenem Verständnis ihre Aufgabe wäre: Brisante Themen in die öffentliche Diskussion einzubringen, die von den Kandidaten gemieden werden, um diese so zu einer Stellungnahme zu zwingen.

Das widerfuhr bislang ausgerechnet Jean-Marie Le Pen, dem Präsidentschaftskandidaten der extremen Rechten, der sich unlängst in einer der Fernsehsendungen, in denen Bürger Politikern ihre Wünsche und Beschwerden vortragen können, mit der ihn sichtlich überraschenden Frage konfrontiert sah, wie er es denn mit der Kultur halte. Nach einem weitschweifigen Diskurs über die vielfältige Bedeutung des Begriffs "Kultur" in der deutschen Sprache, kam er zur Sache und versprach für den Fall seiner Wahl zum Präsidenten das bisherige Kulturministerium durch ein Ministerium der Schönen Künste ersetzen zu wollen. Was diese Änderung bezwecken sollte, verdeutlichte er sogleich damit, dass er erwartungsgemäß gegen das Konzept polemisierte, das allen eine elitäre Kultur nahe zu bringen versuche. Sein Zorn richtete sich aber bezeichnenderweise weniger gegen die staatlich subventionierten Theater- und Opernbühnen oder gegen das mit erheblichen Steuermitteln finanzierte Schaffen der französischen Filmemacher als vielmehr gegen die regionale Förderung zeitgenössischer Kunst, die von ihm schlicht als haarsträubende Abscheulichkeit und als dekadent charakterisiert wurde und deren Förderung er folglich als Geldverschwendung qualifizierte. Die Streichung dieser sehr bescheidenen Fördermittel spart zwar nicht wirklich Geld, offenbart dafür aber eine Gesinnung, der viele beipflichten können. Das ist aber genau jener Populismus, gegen den die Intellektuellen aufbegehren müssten. Bei allen Kandidaten.

Dr. Johannes Willms ist Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Paris. Er wurde am 25. Mai 1948 in Würzburg geboren und wuchs in Karlsruhe auf. Willms studierte Geschichte, Politologie und Kunst in Wien, Sevilla und Heidelberg, wo er 1975 bei dem Historiker Reinhart Koselleck promovierte. Anschließend arbeitete er als Journalist u.a. für den Hessischen Rundfunk. Bevor Willms als Feuilletonchef zur "Süddeutschen Zeitung" ging, war er Leiter der ZDF-Kultursendung "Aspekte". - Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter "Nationalismus ohne Nation - Deutsche Geschichte 1789 – 1914" (1983), "Paris - Hauptstadt Europas 1789 – 1914" (1988) und "Bismarck - Dämon der Deutschen" (1997). Gerade erschienen ist von Willms eine umfangreiche Napoleon-Biographie.