Rassismus als mögliches Motiv

Initiative möchte Brandanschlag 1984 in Duisburg neu untersuchen

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Das Bild zeigt zwei muslimische Frauen in weiterer Distanz auf einem Gehweg entlang laufen.
Im kommenden August möchte die "Initiative Duisburg 1984" erstmals in einem feierlichen Akt an den Brandanschlag vor 35 Jahren erinnern. © dpa / picture alliance / Felix Vogel
Von Vivien Leue · 03.07.2019
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Im August 1984 brannte ein Wohnhaus in Duisburg, in dem viele türkische Migranten lebten. Laut "Spiegel" gab es Hakenkreuze auf der Hausfassade. Doch ein rassistisches Motiv kam nie ernsthaft in Betracht. Eine Initiative möchte den Fall neu aufrollen.
Es ist ein sommerlicher Sonntagabend Ende August 1984 in Duisburg-Wanheimerort. In diesem Stadtteil wohnen viele Gastarbeiter, auch Familie Satir aus der Türkei.
"Mama hat schön gekocht und gemacht und getan, alle waren weg, Papa wollte zum Kaffee, kam dann nicht wieder."
Rukiye Satir war damals 15 Jahre alt. Sie erinnert sich noch, wie sie kurz vor Mitternacht mit ihrer Schwester zur Außentoilette im Treppenhaus ging.
"Wir waren noch wach, wie ich den Brand gesehen habe, Explosion gesehen habe. Ganze Schreie…"
Wie Brandermittler später herausfinden, breitet sich das Feuer schnell aus: Vom Erdgeschoss über das hölzerne Treppenhaus bis hin zum Dachgeschoss. Familie Satir wohnte im zweiten Stock. Für Tochter Rukiye ist es noch heute, 35 Jahre danach, schwer, über diese Nacht zu sprechen.
"Ich weiß noch, Mamas Wörter: Nicht springen und wie ich an der Fensterbank gehangen habe."
Rukiye Satir springt aus dem Fenster und wird schwer verletzt. Sieben Mitglieder ihrer Familie sterben in dieser Nacht: Ihre 40 Jahre alte Mutter, vier Geschwister, ein Schwager und ein knapp zwei Monate alter Neffe. Aus den anderen Wohnungen des Hauses werden außerdem mehr als 20 Menschen schwer verletzt.

"Da wurde über Rassismus gar nichts gesprochen. Gar nichts."

Ein Staatsanwalt sagt am Morgen danach gegenüber dem WDR: "Wir gehen davon aus, dass der Brand durch eine oder mehrere Personen entweder bewusst oder unbewusst gelegt worden ist."
Der "Spiegel" berichtet später, es habe Hakenkreuze auf der Hausfassade gegeben. Aber ob der Brand von rechten Tätern gelegt worden sein könnte – davon war nie die Rede, erinnert sich Rukiye Satir. Sie und die weiteren Überlebenden fühlten sich von den Ermittlungsbehörden auch weder ernst-, noch mitgenommen.
"Da wurde über Rassismus gar nichts gesprochen. Gar nichts."
Und so lässt das Interesse der Medien schnell nach und das der Ermittler offenbar auch. Der Vorfall gerät in Vergessenheit – bis vor etwa drei Jahren die Sozialwissenschaftlerin Ceren Türkmen bei einer Recherche im Kölner Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland, kurz DOMiD auf Zeitungsartikel über das Feuer stößt.
Bengü Kocatürk arbeitet im DOMiD und erinnert sich: "So hat sie weiterrecherchiert und immer mehr Informationen gefunden wie Zeitungsartikel und andere Dokumente und schnell hat sich herausgestellt, dass das Thema Rassismus von Anfang an ausgeschlossen wurde, man hat über das Thema gar nicht gesprochen."

Polizei schloss politisches Motiv bei der Täterin aus

Warum wurde ein rassistisches Motiv nie ernsthaft in Betracht gezogen? Soziologin Ceren Türkmen will diese Frage klären und gründet die "Initiative Duisburg 1984". Dokumentarin Bengü Kocatürk ist Mitglied der zivilgesellschaftlichen Initiative: "Unser Ziel ist, dass wir anklagen, dass das Motiv Rassismus ausgeschlossen wurde von Anfang an und wir möchten diesen Fall noch einmal überprüfen lassen."
Dafür werden die Aktivisten und die Überlebenden der Familie, wie Rukiye Satir, mittlerweile von Anwälten beraten. Die Initiative hat durch Archivrecherchen und Gesprächen mit Ermittlungsbehörden auch herausgefunden, dass die Polizei zehn Jahre nach dem Brand – eher zufällig – auf die Täterin stößt. Eine Frau, gegen die wegen Brandstiftung einer Asylbewerberunterkunft ermittelt wird, gesteht, das Feuer 1984 gelegt zu haben. Laut Gerichtsakten war sie psychisch krank. Verurteilt wird sie für andere Brandstiftungen und stirbt vor ein paar Jahren im Gefängnis. Ein politisches Motiv, zum Beispiel Rassismus, wurde bei ihr ausgeschlossen. Das kritisiert die Duisburger Initiative heute.
Kocatürk: "Wenn Migrantinnen oder People of Color etwas passiert in Deutschland, dann muss man als Motiv erstmal von Rassismus ausgehen, bis das Gegenteil bewiesen ist. Das ist bei vielen Fällen nicht passiert und das ist tatsächlich heute noch so, dass es ignoriert wird."

Initiative kritisiert Umgang von Behörden mit Migranten

Das hätten nicht zuletzt die NSU-Morde gezeigt, sagt Bengü Kocatürk. Die Duisburger Initiative möchte aber nicht nur den konkreten Fall vom August 1984 aufklären und an ihn erinnern. Wie in der Tradition der "Geschichte von unten" möchte sie einen generellen Diskurs darüber anstoßen, wie die Behörden damals mit solchen Vorfällen umgingen – und mit den Betroffenen, den Migranten.
Satir: "Früher haben die Menschen einen gar nicht beachtet. Egal bei welchem Arzt ich war oder Behördengänge, man hat nicht zugehört, wer bist du überhaupt. Keiner hat mir geglaubt."
Kocatürk: "Unsere Devise ist erstmal zuzuhören, das ist eine Art politisches Handeln, dieses Zuhören, weil den Betroffenen wurde jahrelang, jahrzehntelang in diesem Land nicht zugehört."
Damit hat die Initiative Rukiye Satir schon mehr geholfen, als jede andere Institution in den vergangenen 35 Jahren.
Satir: "Initiative ist für mich mein Sonnenschein."
Im kommenden August möchte die "Initiative Duisburg 1984" erstmals in einem feierlichen Akt an den Brandanschlag vor 35 Jahren erinnern.
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