Ramelow, Simonis und Co.

Knappe Abstimmungen im Landtag

Der Thüringer Fraktionsvorsitzende der Linken, Bodo Ramelow, mit nachdenklichem Gesichtsausdruck.
Der Thüringer Linkenpolitiker Bodo Ramelow will Ministerpräsident werden. © Britta Pedersen, dpa picture-alliance
Von Katharina Hamberger · 05.12.2014
Erst im zweiten Wahlgang wählte der thüringische Landtag Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsidenten. Wie eng Machtgewinn und tiefer Fall beieinander liegen, zeigen viele Beispiele der Geschichte, in den die Mehrheit knapp war.
"Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe."
Mit diesen Worten war Konrad Adenauer der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik. Dass er aber im ersten Wahlgang gewählt werden konnte, hing nur an einer einzigen Stimme – inklusive seiner eigenen. Noch am Vormittag des 15. September 1949, des Tages, an dem der Bundestag über den Kanzler abstimmen sollte, sah es kritisch aus. Drei Fraktionsmitglieder fehlten. Am Ende bekam Adenauer 202 von 402 Stimmen. "Et hätt noch immer jut jejange", soll der CDU-Politiker nach der Wahl gesagt haben. Für andere ging das Vertrauen auf eine knappe Mehrheit nicht gut aus. Ein Beispiel: Heide Simonis. Sie kam 2005 nicht dazu, die Eidesformel zu sprechen. Und das nach einem zermürbenden Wahl-Krimi im Landtag von Schleswig-Holstein.
Heidi Simonis hat ihr Scheitern bis heute nicht überwunden
Landtagswahl 2005. Heide Simonis (SPD) war zu diesem Zeitpunkt fast zwölf Jahre Ministerpräsidentin. 1993 war sie als erste Frau in das Amt einer Landesregierungschefin gewählt worden. Damit sie ihre Amtsgeschäfte hätte fortführen können, wären 35 Stimmen notwendig gewesen. SPD und Grüne zusammen kamen jedoch nur auf 33, Schwarz-Gelb mit dem Spitzenkandidaten Peter Harry Carstensen auf 34. Alles sah nach einer Minderheitsregierung unter Tolerierung des Süd-Schleswigschen Wählerbundes aus – mit einer Ministerpräsidentin Heide Simonis. Dann kam der erste Wahlgang
"Für die Abgeordnete Simonis haben gestimmt: 34"
Das Spiel wiederholte sich noch zweimal. Danach gab es eine Unterbrechung. Und eine Probeabstimmung im rot-grünen-SSW-Lager. Dabei stimmten alle für Simonis. Ein vierter Wahlgang folgte:
"Für den Abgeordneten Carstensen haben gestimmt 34. Für die Abgeordnete Simonis haben gestimmt: 34"
Simonis war gescheitert. Etwas, das sie nicht vorhersehen konnte und das sie bis heute nicht überwunden hat: "Ich werde es nie vergessen können, es sitzt einfach zu tief", sagte sie der "Zeit". Sie sei seitdem nicht mehr in die Fraktion gegangen. Dort säße immer noch der eine Irre, der sie so brutal hereingelegt habe.
Andrea Ypsilanti stolperte über die eigenen Parteifreunde?
An einer Stimme Mehrheit hängt auch die Wahl Bodo Ramelows zum womöglich ersten linken Ministerpräsidenten. Falls diese Wahl schiefgehen würde, wäre das Malheur noch schlimmer als damals bei ihr. Man hätte dann große Mühe zu verhindern, dass es die SPD in Thüringen zerreißt, meint Simonis. Bis heute ist unbekannt, wer ihr die Stimmer verweigert hatte. Zumindest hatte der oder diejenige Simonis Karriere vorerst beendet und ging als Heide-Mörder in die schleswig-holsteinische Politik-Geschichte ein. Bekannt ist hingegen, wer am Ende verhindert hat, dass Andrea Ypsilanti 2008 Ministerpräsidentin von Hessen wurde. Sie stolperte über die eigenen Parteifreunde. Grundlage dafür war ein Versprechen der SPD-Politikerin im Wahlkampf:
"Es gibt keine Zusammenarbeit mit den Linken."
Dann kam die Landtagswahl in Hessen Ende Januar 2008. Das Ergebnis: CDU und SPD kamen jeweils auf 42 Sitze. Für die SPD begann das Ringen um Mehrheiten. Allerdings standen nur die Grünen für Verhandlungen offen. Das aber hatte Folgen - denn in Hessen braucht ein Regierungschef die absolute Mehrheit. Rot-Grün wäre aber eine Minderheitsregierung geworden.
"Es wird vielleicht so ausgehen, dass ich ein Versprechen nicht halten kann. Nämlich nicht mit den Linken zu sprechen und mich nicht von den Linken wählen zu lassen. Das ist für mich nicht einfach. Ich habe das sehr genau abgewogen."
Ein, zwei, drei oder vier Stimmen können über politische Karrieren entscheiden
Schnell wurde von einem Wortbruch Ypsilantis gesprochen. Als die hessische SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger auch noch ankündigte, ihre Stimme zu verweigern - aus Gewissensgründen -, begann ein Prozess, der sich bis Herbst 2008 zog. Noch im September stimmte die hessische SPD auf einem Landesparteitag für den Kurs Ypsilantis, Grüne und SPD handelten einen Koalitionsvertrag aus.
Dann der Auftritt der sogenannten Vierer-Bande: Am 3. November 2008, einen Tag vor der Wahl kündigten Dagmar Metzger, Jürgen Walter, der direkte Gegenspieler Ypsilantis in der Partei, Carmen Everts und Silke Tesch an, die Spitzenkandidatin nicht unterstützen zu wollen. Damit war die Mehrheit für Ypsilanti dahin. Sie trat nicht zur Wahl zur Ministerpräsidentin an. Das Ergebnis: Neuwahlen in Hessen. Ypsilanti trat jedoch nicht sofort zurück, sondern erst, nachdem die SPD im Januar 2009 bei den Landtagswahlen scheiterte und von rund 36 auf 23 Prozent rutschte:
"Ich resigniere nicht. Zugleich übernehme ich aber die politische Verantwortung für dieses Ergebnis. Und deshalb erkläre ich heute meinen Rücktritt als Fraktions- und Landesvorsitzende."
Von Adenauer bis zur Vierer-Bande: Diese Beispiele zeigen, wie nah Erfolg und Scheitern, Macht und tiefer Fall beieinander liegen. Ein, zwei, drei oder vier Stimmen können über politische Karrieren entscheiden.
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