Ralf Rothmann über seinen Erzählungsband "Hotel der Schlaflosen“

Angst als Spiegel verkehrter Hoffnung

12:45 Minuten
Der Autor Ralf Rothmann lehnt an einen Baum und schaut zur Seite.
Wie Angst auch produktiv sein kann, zeige er in seinem Erzählungsband, sagt Ralf Rothmann. © Getty / Ernesto Ruscio
Moderation: Frank Meyer · 12.10.2020
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Ralf Rothmanns letzte Romane riefen ein positives Echo hervor. Sein neues Werk ist ein Erzählungsband. Die Titelgeschichte erzählt etwa die letzten Minuten des Dichters Isaak Babel mit seinem Henker. Angst sei das zentrale Motiv des Bandes, sagt der Autor.
"Hotel der Schlaflosen" heißt der neue Erzählungsband von Ralf Rothmann. Der Autor hat in den vergangenen Jahren für seine Romane "Im Frühling sterben" und "Der Gott jenes Sommers" viel Aufmerksamkeit geerntet. Das Buch "Im Frühling sterben" wurde in 25 etwa Sprachen übersetzt.
Im neuen Erzählband kommen vielfältige Figuren vor: Erwachsene und Kinder, eine Geigerin, ein Maurer, Hilfsarbeiter, Pferdehalter, Figuren aus den verschiedensten Milieus. In der ersten Geschichte geht es um den sowjetischen Schriftsteller Isaak Babel, der mit seinem Erzählzyklus "Die Reiterarmee" von 1926 berühmt geworden ist. Er wurde später im Zuge der stalinistischen Säuberungen 1940 hingerichtet.

Bemitleidenswerte und diabolische Figur

Der Schriftsteller Babel habe ihn seit jeher fasziniert, sagt Rothmann. Bei der näheren Beschäftigung mit ihm sei er auf Wassili Blochin, den für die Erschießung eingeteilten verantwortlichen Offizier beim sowjetischen Geheimdienst NKWD. Auch der sei eine faszinierende Figur. "Ein Mann, der quasi im Akkord getötet hat und sich eine spezielle Kleidung dafür angeschafft hat". Niemand wisse, wie die letzten zehn Minuten zwischen Babel und Blochin verlaufen seien. "Das hat mich gereizt, das mir vorzustellen, wie das hätte sein können."
Blochin erschoss mehrere tausend Menschen, es sollen bis zu 15.000 gewesen sein. Er sei "einerseits eine bemitleidenswerte Figur, andererseits eine unglaublich diabolische", so Rothmann. Ungeheuerlich findet der Autor, dass Blochin bis heute ein Ehrengrab in Moskau habe – und dieses Ehrengrab auf dem Massengrab der von ihm getöteten Menschen stehe. "Allein dieser Umstand illustriert schon, was für eine Figur dieser Blochin gewesen ist, dieses Schizophrene an ihm."

Produktive Angst

Insgesamt geht es in den Geschichten viel um den Tod. "Fear is a man’s best friend", diese Aussage des Musikers John Cale, der in den 1960ern die US-Band Velvet Underground mitgegründet hat, ist das Motto des Bandes. Cale sei seit seiner Jugend einer der Heroen, mit denen er lebe und mit dessen Musik er lebe, sagt Rothmann. "Wenn es etwas Durchgehendes gibt in diesen Geschichten, dann ist es die Angst der Protagonisten. Und wie sie diese Angst möglicherweise auch produktiv machen können, und gewissermaßen als Spiegel verkehrter Hoffnung benutzen können."
(abr)

Ralph Rothmann, Hotel der Schlaflosen,
Suhrkamp Verlag 2020, 200 Seiten, 22 Euro.

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