Ralf Fücks: "Freiheit verteidigen"

Die Internationale der Anti-Liberalen

Russlands Präsident Putin empfängt seinen türkischen Amtskollegen Erdogan am 10. März 2017 in Moskau.
Russlands Präsident Putin empfängt seinen türkischen Amtskollegen Erdogan am 10. März 2017 in Moskau © Cover Hanser Verlag / dpa / picture alliance / TASS / Mikhail Metzel
Von Sabine Adler · 11.03.2017
Eine Allianz aus Russland, der Türkei, China und Iran ist auf dem Vormarsch gegen die liberalen Werte des Westens. Dessen Stärken wie Selbstkritik und Kompromissfähigkeit können sich aber in diesem Kampf behaupten, meint der grüne Vordenker Ralf Fücks.
Den bereits Entmutigten und Resignierten möchte man zurufen: Keine Panik, noch können wir den antiliberalen Kräften etwas entgegensetzen, auch wenn eine länderübergreifende Allianz auf dem Vormarsch ist, zu der China, der Iran, die Türkei und Russland gehören.
"Man kann durchaus sagen, dass Moskau heute das politische und kulturelle Zentrum einer antiliberalen Internationale ist. In den russischen Massenmedien wird der Westen als ein dekadentes Sündenbabel beschrieben, die Einwanderung von Menschen anderer Hautfarbe und Religion wird als Selbstmord Europas gegeißelt, die liberale Demokratie wird mit Schwäche und Chaos gleichgesetzt und Ideologen wie Alexander Dugin rufen zu einem weltweiten Bündnis gegen Globalisierung und Liberalismus auf. Und zugleich hat der Kreml in den letzten Jahren zielstrebig seine Einfluss-Netzwerke ausgebaut. Es gibt ein breitgefächertes Spektrum von staatlich gelenkten Medien, Think Tanks, kremlfreundlichen Parteien in Europa. Also Russland ist heute keine äußere Macht, sondern längst ein Faktor in der innenpolitischen Auseinandersetzung in Europa."
Zur antiliberalen internationalen Allianz zählt der Autor Ralf Fücks auch den radikalen Islamismus, den er eine neue totalitäre Bewegung nennt, sowie die nationalistischen, fremdenfeindlichen Kräfte im Westen, die europaweit ein Wählerpotential von 20 bis 30 Prozent haben.

Hoffen auf Urteilsfähigkeit der Bürger

Der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, der Mitglied der Grünen ist, analysiert die Feinde der Freiheit präzise. Er findet sie auch in seiner eigenen Partei. Wenn die bei der Umwelt- und Klimapolitik statt auf die Urteilsfähigkeit der Bürger auf deren Gängelung setzt. Fücks nennt das autoritären Paternalismus, Bevormundung, was im Kontrast steht zur lobenswerten Pionierrolle der Grünen im Kampf für Bürger- und Minderheitenrechte.
Das Buch beweist einmal mehr, dass Fücks zu Recht als grüner Vordenker bezeichnet wird, denn es leistet eine hervorragende Orientierungshilfe. Der Leser findet sich nach der Lektüre besser in der Gesellschaft von heute zurecht, in der die bisherigen Fronten durcheinander geraten sind, ein neues Kräfteverhältnis entstanden ist. Ernst Jandl lässt grüßen.
"Manche meinen
Lechts und rinks
Kann man nicht velwechsern
Werch ein Illtum!"

Neues Bedürfnis nach Sicherheit

Fücks legt dar, dass der Kapitalismus ohne Demokratie auskommen kann, siehe China, Demokratie aber nicht ohne ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Freiheit, weil diese die Abhängigkeit des Einzelnen vom Staat reduziert. Zitat:
"Wenn sich im Staat die politische mit der wirtschaftlichen Macht vereinigt, bleibt kein Raum mehr für individuelle und gesellschaftliche Autonomie."
Er zeichnet die Ereignisse nach, die das Vertrauen der Menschen in die Demokratie erschüttert haben: der Balkankrieg, der Völkermord in Ruanda, der 11. September 2001, der Irakkrieg, die Finanzkrise:
"In Zeiten, in denen alle Veränderungen gleichzeitig auf die Gesellschaft einprasseln – Globalisierung, Migration und digitale Revolution – breitet sich so ein Grundgefühl von Unsicherheit und Gereiztheit aus. Das haben wir unterschätzt, dass das auch ein neues Bedürfnis nach Sicherheit produziert. Wir können uns gegen den Wandel nicht abschotten. Wir können keine Zäune gegen die Globalisierung bauen. Sondern wir müssen die Menschen befähigen, mit diesem Wandel selbstbewusst umzugehen."

Bloß keinen Ärger mit Russland

Fücks ist ein konsequenter Verfechter der Freiheit, die es ohne Sicherheit nicht gibt. Er beklagt die fehlende Unterstützung des Westens für die Demokratiebewegung der Ukraine, weil man keinen Ärger, sondern weiter Geschäfte mit Moskau wolle, keine weiteren Lasten für die EU.
Der Verfasser bleibt bei allem Optimist, überzeugt davon, dass die notorische Lust des Westens an der Selbstkritik und der Zwang zum Kompromiss nicht seine Schwäche ist, sondern am Ende seine Stärke ausmacht:
"Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos. Zum einen sind die demokratischen Institutionen heute ja sehr viel robuster, als sie das in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts gewesen sind. Wir haben eine freie kritische Presse, einen funktionierenden Rechtsstaat, eine lebendige Zivilgesellschaft. Diese Erfahrung macht übrigens auch Donald Trump gerade in den USA."

Wählen gehen, Partei ergreifen

In der zweiten Buchhälfte zitiert er Friedrich Hölderlin: "Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch". Fücks zeigt an eindrucksvollen Beispielen, dass es schon häufiger zu früh für Endzeitstimmung war, die Menschheit noch immer geschafft hat, ihre Lebensgrundlagen durch Intelligenz zu bewahren. Es bedürfe keiner Ökodiktatur. Das Wirtschaftswachstum sei auch ohne größeren Ressourcenverbrauch möglich. Er warnt, dass Vegetarismus und Biolandbau nicht per se fortschrittlich seien, sondern manchem als Zutaten völkisch-faschistischen Denkens dienten.
Den Entmutigten und Resignierten sei dieses Buch besonders empfohlen, auch weil es am Ende eine to-do-Liste enthält: Wählen gehen, Partei ergreifen, demokratische Institutionen nicht verächtlich machen, kritischen Journalismus durch Zeitungsabos, zivilgesellschaftliche Organisationen durch Spenden unterstützen, einfachen Lösungen misstrauen, die Verfassung verteidigen, nie Gewalt rechtfertigen. Die Freiheit verteidigt jeder einzelne.

Ralf Fücks: Freiheit verteidigen. Wie wir den Kampf um die offene Gesellschaft gewinnen
256 Seiten, 18 Euro
Hanser Verlag, München 2017

Mehr zum Thema