"Raise Vibration" von Lenny Kravitz

Pop nie ohne Politik

Der US-Rockstar Lenny Kravitz, aufgenommen am 5.9.2018 im Eingang des Park Hyatt Hotels in Hamburg
Lenny Kravitz in Hamburg: Der US-Rockstar schafft es immer wieder, seine Botschaft in starke Geschichten zu verpacken. © Imago / News4HH / Lenthe
Von Marcel Anders · 06.09.2018
Der US-amerikanische Musiker Lenny Kravitz will nicht nur unterhalten. Auch mit seinem neuen Album will er Menschen wachrütteln. Auf "Raise Vibration" singt er über Nächstenliebe und Zusammenhalt - künstlerisch ambitioniert, findet Marcel Anders.
"Sie sind einfach so gekommen. Aus dem Nichts. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, habe mir mein Aufnahmegerät gegriffen und bin ins Studio. Das war´s. Und wenn so etwas passiert, also wenn mir Songs im Traum erscheinen, hinterfrage ich sie nicht. Meine inneren Schleusen haben sich geöffnet und das Album ist regelrecht aus mir herausgeströmt."
So geschehen auf der Karibik-Insel Eleuthera in den Bahamas, auf der Lenny Kravitz schon seit Jahren residiert. Ein entspannter Flecken Erde, auf dem er eine Villa mit Studio unterhält – und des Nachts von seinen Lieblingsthemen träumt: Friede, Harmonie und eine bessere Welt. Die Utopie von "Let Love Rule", "Macht Liebe zum Gesetz", die er seit den späten 80ern verfolgt, und die nach wie vor im krassen Gegensatz zum realen Zeitgeschehen steht.

Songs für und über die US-Protestbewegung

Deshalb versucht Kravitz, zum Umdenken zu bewegen. Und schreibt Songs für und über die amerikanische Protestbewegung:
"Momentan passiert etwas Positives, was ich sehr aufregend finde. Denn es ist offensichtlich, dass viele Leute aufwachen. Dass die Jugend wieder bereit ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und Missstände zu ändern. Darauf hoffe ich. Ich finde es toll, dass sie aufbegehrt. Nur: Da muss noch mehr kommen. Wir müssen aufstehen, uns Gehör verschaffen, aber auch Maßnahmen ergreifen."
Kravitz als Protestsänger in der Manier von Bob Dylan, Pete Seeger, Woody Guthrie. Eine Rolle, in die er nur zu gerne schlüpft – auch, wenn er mitunter naiv und parolenhaft wirkt. Etwa wenn er Nächstenliebe, Optimismus und Zusammenhalt als Schlüssel zu einer besseren Welt besingt – und sich an hippiesken Klischees vergeht.
Gleichzeitig schafft er es immer wieder, seine Botschaft in starke Geschichten zu verpacken. Wie in "Johnny Cash" - über seine Begegnung mit dem legendären "Man in Black":
"Ich habe mal bei Produzent Rick Rubin in Los Angeles gewohnt – zeitgleich mit Johnny Cash, der an einem seiner letzten Alben gearbeitet hat. Da erhielt ich die Nachricht vom Tod meiner Mutter. Ich stand völlig fassungslos in der Lobby, als Johnny und June auf mich zukamen und fragten, ob alles in Ordnung sei. Als ich ihnen erzählte, was passiert ist, haben sie mich in den Arm genommen und getröstet. Sie sagten die wunderbarsten Sachen und haben mich wie ein Mitglied ihrer Familie behandelt - weil sie wussten, dass ich das brauche. Es war dieses Konzept von tiefer, aufrichtiger Liebe."

Funk-Ausflüge, die an Prince erinnern

Dieses Konzept untermauert Kravitz auch musikalisch. "Raise Vibration" glänzt mit einer altmodischen Analog-Produktion, handwerklichem Können und stilistischer Vielfalt. Neben dem bewährten Mix aus souligem Retro-Rock und opulenten Balladen, stößt Kravitz auch in Jazz und vor allem Funk vor, serviert knackige Bläser samt eleganten Gitarren-Licks und erinnert nicht selten an Prince. Kein Zufall:
"Ich hatte das Gefühl, dass er bei mir ist – dass ich seine Präsenz spüre. Was sehr interessant war. Denn wir waren Freunde bis zu seinem Tod. Wir haben zusammen gespielt, er ist zu meinen Shows gekommen und ich zu seinen. Wir haben oft gejammt und auch diverse After-Show-Partys bestritten. Und es gibt Prince-Alben, auf denen ich mitwirke, ohne dass es jemand weiß – denn wir haben es niemandem gesagt. Es waren kleine Souvenirs, wie er es nannte. Nach dem Motto: Wir wissen es."
Prince bei einem Konzert in Antwerpen 2010
Prince (1958 - 2016): Nicht zufällig erinnern manche Klänge auf "Raise Vibration" an ihn.© dpa / picture alliance / Dirk Waem
Eine Präsenz, die für ein überraschend starkes Album sorgt. Es zeigt den 54-jährigen Kravitz eher als ambitionierten Künstler denn als jetsettenden, frauenbeglückenden Rockstar. Und es scheint für einen Kurswechsel in seiner inzwischen vier Dekaden umspannenden Karriere zu stehen. Denn Kravitz arbeitet bereits am nächsten Projekt: Einem Exploitation-Film mit korrespondierendem Soundtrack, auf dem er die Altmeister aus Jazz und Funk um sich schart - von Maceo Parker bis George Clinton. Man darf gespannt sein.
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