Rai Nuova Musica

Drei Bilder und eine Nachtigall

Der Dirigent Tito Ceccherini
Der Dirigent Tito Ceccherini © Più Luce/RAI/EBU
Moderation: Volker Michael · 13.01.2021
Neue Musik aus Italien für schwierige Zeiten: Im November 2020 leitete Tito Ceccherini beim Festival Rai Nuova Musica die Uraufführung eines Klavierkonzerts von Francesco Filidei mit dem RAI-Sinfonieorchester. Dazu gab es Donatoni und Strawinsky.
Neuere, auf jeden Fall farben- und lebensfrohe Musik in einer recht aktuellen Aufnahme aus Norditalien prägt das Programm dieser Aufnahme vom Festival RAI Nuova Musica aus Turin, das am 12. November 2020 im RAI-eigenen Konzertsaal, dem Toscanini-Auditorium stattgefunden hat.
Zu hören gab es die Uraufführung eines veritablen Klavierkonzerts und zwei Klassiker der Moderne des 20. Jahrhunderts, einen russischen und einen italienischen. Ursprünglich gehört dieses Konzert zu einer Reihe oder einem Festival – Rai Nuova Musica in Turin und Milano Musica in Mailand. Unter Pandemiebedingungen kann derzeit nichts wie geplant stattfinden. Und deshalb ist auch dieses Programm nur Teil einer Gesamtkonzeption, die nicht ganz zum Tragen kam. Dirigiert wurde der Abend von Tito Ceccherini.

Schaufenster zur Welt der Neuen Musik

Per Internetleitung gab uns Ceccherini Auskunft über die Werke des Programms und die Festivals, die damit in Verbindung stehen. Der Dirigent probt derzeit am Theater Basel die Verdi-Oper "La Traviata". Dass das Programm dieser Aufnahme rein italienisch ist, sei reiner Zufall, erklärt er. An sich sei RAI Nuova Musica ein eher international ausgerichtetes Festival, das die neuen Trends der Welt nach Italien bringen will.

Ein veritables neues Klavierkonzert

Am Schluss des Konzerts gibt es Igor Strawinskys märchenhafte Dichtung "Le Chant du Rossignol" ("Der Gesang der Nachtigall"). In der Mitte des Programms steht das Orchesterstück "In Cauda Terzo" von Franco Donatoni. Den Anfang macht die Uraufführung von "Tre Quadri" ("Drei Bilder"). Der italienische Gegenwartskomponist Francesco Filidei hat das Klavierkonzert eigens für die Festivals Rai Nuova Musica, Milano Musica und Warszawska Jesien und das Konzerthaus in Porto geschrieben.
Der Komponist Franceso Filidei
Der Komponist Franceso Filidei© Olivier Roller/RAI/EBU
Es handelt sich dabei um Francesco Filideis drittes Konzert für Soloinstrument und Orchester - und um sein erstes Klavierkonzert. Während die beiden anderen Werke nur einen Satz beinhalten, hat ihn nach eigenen Worten die große Tradition der Klavierkonzerte dazu gebracht, dieses Konzert in drei kontrastreichen Teilen zu konzipieren. Die drei Sätze heißen "November", "Berceuse" und "Quasi una bagatella".

Gemälde mit Anklang an Beethoven

Das Konzert "Tre Quadri" beginnt mit "November", dem größten Gemälde. Eine Reise voller Episoden, die zwischen pianissimo und fortissimo hin- und herschwingen, zwischen getragenem und scharfem Ausdruck, zwischen gesanglich und besessen, erklärt der Komponist.
Der zweite Satz, das "Wiegenlied", hat einen intimeren, chopin-ähnlichen Charakter, obwohl sich dahinter eine eiserne algorithmische Struktur verbirgt. Es endet mit dem Satz "Quasi una Bagatella". Dieses Scherzo bezieht sich auf den ersten Satz des 5. Klavierkonzert Beethovens, dem unfehlbaren Jubilar des so unsicheren und schwierigen Jahres 2020. Solist in diesem neuen Klavierkonzert ist Maurizio Baglini.
Der Pianist Maurizio Baglini
Der Pianist Maurizio Baglini© Davide Cerati/RAI/EBU
Das zweite Werk in diesem italienisch geprägten Festivalkonzert ohne Publikum, das nur im Radio und Live-Videostream zu erleben war, stammt von Franco Donatoni. Der italienische Komponist gehört zu den Klassikern des 20. Jahrhunderts und zu den prägenden Gestalten der Neuen Musik in Italien und Europa insgesamt. Das Werk Donatonis im Programm von RAI Nuova Musica heißt "In Cauda III". Es wurde im vergangenen November übrigens das erste Mal in Italien gespielt, pandemiebedingt allerdings nicht ganz in der vollen Besetzung, die der Komponist vorgesehen hatte. Der im Jahr 2000 gestorbene Donatoni konnte die Raumnöte eines Orchesters, das unter Pandemiebedingungen spielen muss, nicht erahnen.

Moderne Klassiker des 20. Jahrhunderts

Das Konzert endet mit einem gut einhundert Jahre alten Stück, der sinfonischen Dichtung "Le Chant du Rossignol" ("Der Gesang der Nachtigall") von Igor Strawinsky nach dem Märchen von HC Andersen. Dieser Gesang birgt in sich eine Form von musikalischem Orientalismus und einen weiten Blick in die damalige Zukunft, meint Tito Ceccherini.

Die Liebe zu mechanischen Nachtigallen

Ursprünglich war der "Gesang" als Oper konzipiert. Doch da Strawinsky vom Schreiben seiner Meisterballette immer wieder unterbrochen wurde, befand er schließlich, dass der "Gesang der Nachtigall" als absolutes Orchesterstück ohne Rücksicht auf Bühnenbelange am besten funktionieren würde.
Das Märchen erzählt die einfache wie kluge Geschichte vom Kaiser von China, der eine wunderbar singende Nachtigall sein eigen nennt. Vom Kaiser von Japan bekommt er eine mechanische Nachtigall geschenkt. Fortan lauschen er und sein Hofstaat nur noch dem blendenden Gesang der Maschine. Die echte Nachtigall verschwindet. Der Kaiser von China erkrankt schwer, wird von der zurückkehrenden echten Nachtigall geheilt, die aber nicht dauerhaft am Hofe bleibt, sondern wieder in die Natur zurückfliegt.
Strawinsky schätzte übrigens durchaus mechanische Musikinstrumente, vor allem deren gleichbleibende Präzision.
Arturo Toscanini RAI Auditorium, Turin
Aufzeichnung vom 12. November 2020
Francesco Filidei
"Tre quadri", Konzert für Klavier und Orchester (Uraufführung)
Franco Donatoni
In cauda III
Igor Strawinsky
Le chant du rossignol

Maurizio Baglini, Klavier
RAI Nuova Musica
Leitung: Tito Ceccherini

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