Rafik Schami

"Der Blickwinkel ist mein Geschenk an die deutsche Sprache"

Der Schriftsteller Rafik Schami auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2017
Der Schriftsteller Rafik Schami auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2017 © imago/Hoffmann
Rafik Schami im Gespräch mit Frank Meyer · 22.12.2017
Warum sollte man die "Buddenbrooks" mit der Hand abschreiben? Das und viel mehr erzählt der Schriftsteller Rafik Schami in einem Gespräch über seine Jahre im deutschen Exil. "Raureif" sei eines seiner liebsten Wörter, meint er, und "Bequemlichkeit" ein negativer Zug der Literaturkritik.
Frank Meyer: Einer der am meisten gelesenen deutschsprachigen Autoren, das ist Rafik Schami, 1971 ist er aus Syrien nach Deutschland gekommen. Seitdem lebt er hier im Exil, und darüber hat er jetzt ein Buch geschrieben, über seine Erfahrungen als Exilautor. Rafik Schami ist jetzt hier bei uns im Studio. Seien Sie herzlich willkommen!
Rafik Schami: Vielen Dank!
Meyer: Sie preisen in Ihrem Buch eine nicht anerkannte moderne Heilige, und das ist eine Frau, schreiben Sie, die es länger als sieben Jahre aushält an der Seite eines Exilierten, also zum Beispiel eines Exilautors wie Sie es einer sind. Warum ist denn so eine Frau eine Heilige?
Schami: Ja gut, nicht nach den Maßstäben der katholischen Kirche, sondern weil diese Frau so viel aushalten muss, balancieren muss, wozu nur die Liebe sie bewegt. Das muss sie ja nicht. Mit einem Deutschen, Franzosen, Engländer, der in der Demokratie aufgewachsen ist, der mit ihr lebt, müsste sie das nicht machen, aber mit einem Exilanten, der verletzt ist, der Ängste hat, der Eltern zurückgelassen hat in der Diktatur oder in einem Krieg, - im Falle Syrien in einem Krieg: Jeden Tag telefoniert er und ist er danach bestimmt schlechter gelaunt.
Die muss ihn trösten, die muss auch viel Zeit aufwenden für seine Verwandten, die unangemeldet kommen, die sich ausbreiten, als wäre das ihr Zelt in Arabien. Also all das muss eine hier geborene, in Wohlstand und Freiheit geborene Frau aushalten.
Dann die Ängste, die diese Menschen verfolgen, - sie sind ihnen zwar entkommen, körperlich, aber seelisch noch nicht. Das habe ich oft festgestellt, dass Kollegen von mir im Exil … auch mich zwischendurch erwischt eine Angst, dass jetzt plötzlich ein Anhänger des Regimes auftaucht und ihnen was antut. Das muss sie alles aushalten. Daher hat sie längst verdient, Heilige genannt zu werden, und nicht unbedingt von dem Papst genehmigt.
Meyer: Und Sie hatten offenbar das Glück, auch so einer Heiligen begegnet zu sein?
Schami: Ich habe mehrere ... manche waren danach nicht mehr heilig und wollten diesen ganzen Heiligenschein nicht mehr haben und sind abgehauen, aber meine jetzige Frau hält seit 26 Jahren.

"Das ist ja die Fähigkeit der Frauen, dass sie trotz aller Krisen immer noch lachen"

Meyer: Das sind ja deutlich mehr als sieben Jahre, die Sie als Mindestmaßstab anlegen.
Schami: Die hält das aus. Die lacht auch noch. Also das ist ja die Fähigkeit der Frauen, dass sie trotz aller Krisen immer noch lachen, und das kann man lernen.
Meyer: Es ist sehr interessant, dass Sie in Ihrem Buch Einblick geben in solche Geschichten und zum Beispiel auch einen Einblick geben, wie Sie eigentlich ein deutschsprachiger Autor geworden sind. Das hängt damit zusammen: Eigentlich wollten Sie auf Arabisch schreiben, –
Schami: Richtig.
Meyer: – aber die arabischen Verlage haben Sie damals alle abgelehnt, quasi als Einheitsfront, und Sie haben sich entschieden, Deutsch zu Ihrer Literatursprache zu machen, und da fand ich es ganz interessant, wie Sie sich die deutsche Literatursprache angeeignet haben, nämlich indem Sie zum Beispiel Thomas Manns Roman "Buddenbrooks" abgeschrieben haben Satz für Satz. Warum denn das?
Schami: Das ist eine wunderschöne Frage über die Aneignung der höchsten Stufe einer Sprache. Natürlich habe ich meine Promotion schon, ich habe auf Deutsch gelernt, ich habe Prüfungen auf Deutsch abgelegt, aber in der Chemie ist das halb Englisch, halb Alltagssprache.

"Wenn man mit der Hand schreibt, dann gehen die Wörter über die Hand in den Kopf"

Meyer: Sie sind Chemiker ursprünglich.
Schami: Ich bin Chemiker, Chemiker und Pharmakologe später. Also das alles konnte ich bewältigen mit der Sprache, die ich an dem Institut gelernt habe, aber ich habe gedacht: Nein, das reicht nicht. Und warum ich das abgeschrieben habe? Ich habe die "Buddenbrooks" genommen, weil das ist eine ganz tolle Geschichte ist, ich habe Heinrich Heine genommen, ich habe Tucholsky genommen, ich habe immer Balance zwischen Satire und zwischen Klassik gehalten, und ich habe abgeschrieben, weil ich gelernt habe.
Ich habe ja vier Sprachen gelernt – Französisch, Arabisch, Aramäisch und Englisch, und dann kam Deutsch als fünfte Sprache. Ich habe damals gelernt ohne Anleitung eines Buches, dass wenn man mit der Hand schreibt, dann gehen die Wörter über die Hand in den Kopf, in die Erinnerung, viel besser als wenn man mit den Augen da drüber schwebt. Und da habe ich einen Satz meinetwegen geschrieben, bei Thomas Mann habe ich gedacht, wie schafft er das, die Stimmung zu machen, ohne zu viele Adjektive. Die arabische Sprache lebt von den Adjektiven, aber das gilt in der deutschen literarischen Sprache als Schwäche, wenn Sie sagen, das schöne, herrliche Haus. Das ist eine andere Sprache, anderer Rhythmus. Nur so habe ich mir das aneignen können, durch die Handschrift. Dann stehe ich vor dem Satz und kann das analysieren.
Meyer: Das ist die eine Blickrichtung, wie Sie in die deutsche Sprache eingetaucht sind. Wenn wir in die andere Richtung schauen, auch das fand ich ganz interessant: Sie haben schon ganz früh angefangen, da waren Sie ein paar Jahre in Deutschland, sich ein syrisches oder ein Damaskus-Archiv anzulegen. Sie haben ganz viel gesammelt aus dieser Stadt. Was ist das für ein Archiv heute, was steckt da alles drin?
Schami: Das ist genau wie bei Ihrem Archiv hier im Rundfunk. Das ist eine Abteilung mit Kassetten, mit Stimmen, mit Geräuschen, mit Interviews, die ich bezahlt habe - für Lehrer, befreundete Lehrer, die ehemaligen Gefangenen mit der Gewährung einer Anonymität … - Fragen: Wie war die Zelle? Wie sah die Zelle aus? wie sah der Folterer aus?

"Dann müssen Sie sich so ein Regal mit vielen Kassetten vorstellen, genauestens beschriftet"

Wir reden, wir lesen, über Folter können Sie im Internet sehr viel finden. Damals, zu meiner Zeit, gab es sowas nicht. In den 70er-Jahren gab es gerade ein Buch über Chile oder gerade über Griechenland, aber ich wollte das über Syrien, und da ließ ich mir diese Sachen schicken, und dann müssen Sie sich so ein Regal mit vielen Kassetten vorstellen, genauestens beschriftet. Und von meiner Familie ließ ich mir viele Bücher über Damaskus schenken.
Ich habe gesagt: Ach, wenn ihr das so blöd findet, schickt das. Nämlich zum Beispiel Hochzeitssitten über die Jahrhunderte, Beerdigungssitten und Rituale über die Jahrhunderte. Wenn ich das beschreibe, als würde ich da sein, die Erinnerung allein reicht nicht. Glauben Sie mir, es reicht nicht. Die Kindheit allein gibt einen Anlass für eine Erzählung, aber die Umgebung lebendig zu beschreiben, dass man die Straße riecht und das Essen schmeckt, da muss man wirklich die Bibliothek eröffnen. Und da können Sie sich so eine Wand vorstellen mit Büchern über Damaskus.
Meyer: Zumal Sie, soweit ich weiß, bis heute nicht zurückkehren konnten, –
Schami: Nein.
Meyer: – also sei 1971 nicht mehr dort waren.
Schami: Nein, weil ich kein Märtyrer sein wollte. Ich genieße den Wein in Deutschland und die Landschaft, und ich wollte nicht im Gefängnis landen, nur damit ich beweise, dass ich stark bin. Ich wollte das nicht.
Meyer: Sie denken auch darüber nach in diesem Buch, was ein Exilautor wie Sie dem Land, in dem er jetzt zu Gast ist oder lebt, eigentlich geben kann, was ein besonderer Beitrag sein kann, und Sie berichten das am Beispiel von Adalbert von Chamisso, der aus Frankreich nach Deutschland gekommen ist und in seinem Buch über Peter Schlemihl und seinen Schatten so einen besonderen Blickwinkel auf Identität geworden hat. Wenn Sie über sich nachdenken, was ist Ihr besonderer Blickwinkel, den Sie in die deutsche Literatur eingebracht haben?
Schami: Also Chamisso schätze ich sehr. Also der hat wirklich viel gemacht. Man hat mich immer gelobt, indem man gesagt hat, Rafik Schamis Literatur bereichert die deutsche Sprache. Ich habe gesagt, wie denn bereichert? Ich muss mich wirklich damit auch auseinandersetzen. Nicht die neuen Begriffe, die man erfindet aus der Fantasie, aus der Verschmelzung Arabisch-Deutsch, Französisch-Arabisch-Deutsch. Das könnten die Blumen in einem Garten der Sprache sein. Das sind die kleinen schönen Blumen.

"Es gab kaum eine deutsche Auseinandersetzung mit Syrien, bis ich angefangen habe, Damaskus genau zu beschreiben"

Der Blickwinkel ist mein Geschenk an die deutsche Sprache. Ich sehe Sachen, die einer in der Mehrheit nicht sieht, sondern für normal hält. Ich halte sie für nicht normal. Ich sehe Sachen, die ganz klein erscheinen, und daraus – aus meiner Sensibilität als ein Außenstehender – anders beschreibe, oder – das andere auch – ich bringe in die deutsche Sprache Atmosphären von einer Kultur hinein, die hier nicht bekannt waren. Ich war wie ein Pionier am Anfang. Es gab kaum, wie in Frankreich zum Beispiel, die ehemalige Koloniemacht in Syrien, oder in Nordafrika, viele Franzosen wissen Bescheid über Nordafrika, aber es gab kaum eine deutsche Auseinandersetzung mit Syrien, bis ich angefangen habe, Damaskus genau zu beschreiben. Das ist meine Bereicherung.
Meyer: Das beschreiben Sie auch als Ihren Kulturschock, als Sie nach Deutschland kamen, dass auch deutsche Intellektuelle keine Ahnung hatten von der Region, aus der Sie kommen.
Schami: Ja, manchmal in Heidelberg fragten mich Kollegen, wirklich linksradikale Experten für Hegel fragten mich, wann wurdest du missioniert? Habe ich gesagt, wie missioniert? wir haben euch das doch exportiert! Alle Religionen kamen aus dieser Gegend. Wir brauchen nicht mal stolz zu sein. Mein Vater sagte, wir sind so schlecht, dass Gott uns alle Propheten geschickt hat, die wir gekreuzigt, gesteinigt und vertrieben haben. Das hat mich ein bisschen schockiert, weil ich viel wusste über Deutschland und über Frankreich oder England durch das Lesen. Ich meine, wie soll ich … Damals gab es kein Fernsehen, also in Syrien. Ich habe nur durch Radio und durch Bücher erfahren.
Meyer: Zu den Erfahrungen, die ein Exilautor immer wieder macht, so beschreiben Sie das, ist auch dieses Ansinnen so von deutscher, biodeutscher Seite: Okay, du bist jetzt als Migrant hier zu uns gekommen, dann schreibe doch bitte über deine Migrationserfahrungen und zwar möglichst nur darüber, die anderen Themen überlasse mal uns. Was bedeutet dieses Ansinnen für Sie, dass Sie sich auf migrantische Themen konzentrieren sollten?
Schami: Das bedeutet die Bequemlichkeit einer Literaturkritik, die nicht über den Tellerrand schauen kann. Sobald der Name ausländisch ist, soll er sich lieber über diesen begrenzten Bereich kümmern und nicht über Abenteuer, über Liebe, über die Grenzen, über die roten Linien, die sogenannten roten Linien berichten, nicht über Damaskus etwas Ungewöhnliches schreiben. Das ist einfach Bequemlichkeit eigentlich. Jetzt nicht übertreiben mit der Kritik, dass das Rassismus ist. Nein, nein, nein, das ist Bequemlichkeit. In Karteikarten Menschen aufteilen, das ist bequem. Hier ist ein temperamentvoller Araber, hier ist ein total lustiger Italiener.
Meyer: Ein nachdenklicher Deutscher.
Schami: Hier ist ein Grieche. Nein, das ist nicht …, und man soll ihnen diesen Gefallen nicht tun.
Meyer: Eine andere Einschränkung oder eine Falle nennen Sie das, die auf einen Exilautor auch wartet, ist die Engagementsfalle.
Schami: Ja.
Meyer: Was bedeutet das denn?

"Ich bekomme tonnenweise schlechte Romane über die Flucht aus Syrien"

Schami: Das machen viele leider, viele Exilautoren lassen sich verführen, dass sie nur noch politische Romane schreiben. Ich nenne das ironisch 'politische Romane', wo der Held immer schön und athletisch aufgebaut ist und die Frauen auf dem Arm trägt, und der Gegner ist immer hässlich und so weiter, so ähnlich wie die Revolutionsromane. Das ist oberflächlich und politisch sogar schlecht. Jeder Roman ist politisch in seiner Art, wenn er gut ist. Je politischer man ist, desto spannender sollte man schreiben, viel perfekter schreiben. Und das lehne ich ab, weil die in diese Falle reingeraten sind, ich bin Afghane, also muss ich einen politischen Roman schreiben. Das bekomme ich jetzt als Herausgeber... Ich bin ja zurzeit ein Herausgeber..., bekomme ich tonnenweise schlechte Romane über ihre Flucht aus Syrien. Ich meine, es gibt ein, zwei, drei Romane, das reicht jetzt. Überleg dir was anderes. Wieso denn immer nur diese Flucht. Du wiederholst das. Auch da: Die Tragödie zum Thema in den Mittelpunkt zu stellen. ist auch schlecht.
Meyer: Was wäre jetzt ein guter politischer Roman oder würden Sie sagen, das gibt es gar nicht?
Schami: Doch, ein guter politischer Roman kann auch ein lustiger, satirischer Liebesroman, wo die Liebenden über die Grenze der Verbote gehen. Also indem sie Verbote überwinden, ist es sehr politisch. Auch wenn sie nur sich lieben und erotisch wunderschöne Szenen darstellen für den Leser, aber allein, dass sie ihr Leben gefährden, wenn ein Christ eine Muslimin liebt, da ist er zur Todesstrafe verurteilt, auf beiden Seiten. Das ist mehr als politisch, aber schreibe das doch spannend, dass diese Liebe wirklich dann Gänsehaut erzeugt beim Leser.
Meyer: Das sind ja auch Themen, über die Sie schon geschrieben haben, so eine verbotene Liebe.
Schami: Ja, zum Beispiel.
Meyer: Weil Sie jetzt von der Flucht gesprochen haben: In den letzten Jahren sind ja – das wissen wir alle – viele, viele tausend Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen. Ich habe eigentlich, als ich Ihr Buch aufgeschlagen habe, gedacht, dass Sie auch darüber schreiben würden, weil ich mir dachte, das muss auch für Sie eine einschneidende Erfahrung sein mit all dem, was sich dadurch auch in Deutschland verändert hat. Sie gehen darauf kaum ein in Ihrem Buch. Warum nicht?
Schami: Weil ich die Zeitungen vollgemacht habe damit. Ich habe seit 2012 diesen Verein Schams e.V. zur Unterstützung der Flüchtlinge aus Syrien, die Kinder vor allem, ich habe der Hasswelle von AfD und ähnlichen Vereinen oder Pegida oder was weiß ich und ihre Theoretiker, die früher auch KPD/ML waren … also genug in den Zeitungen, in der "Berliner Zeitung", in der "Frankfurter Rundschau", in der "FAZ", überall habe ich dagegen geschrieben. Ich habe auch zehn Ratschläge, die inzwischen in sechs Sprachen existieren, für die Flüchtlinge …, weil Integration geht nur von beiden Seiten. Ich habe sehr viel drüber geschrieben. Dieses Buch hat sich nur spezialisiert auf die Einflüsse auf das Schreiben, wenn Sie das genau sehen, und auch sehr persönlich eigentlich. Wenn Sie mir erlauben, sage ich, das ist das langsamste Buch, was ich je geschrieben habe. In 35 Jahren Notizen langsam gesammelt und langsam zum Thema gemacht und nicht jetzt ein aktuelles Thema.
Meyer: Ein Thema, was sich durch das Buch auch zieht, ist die Frage, wo Sie sich eigentlich zu Hause fühlen, in welcher Sprache, an welchen Orten. Und Sie schreiben dann fast ganz am Ende des Buches: Ja, Sie hätten jetzt durchaus Heimatgefühle in Deutschland, aber die Sache hat einen Haken, Sie schreiben nämlich, Sie hätten hier Heimatgefühle, weil Sie von einigen deutschen Autoren so ungastlich, so unfreundlich, so ignorant behandelt werden, dass ist ein erstaunliches Heimatgefühl … Was meinen Sie denn damit?
"So kann nur ein Deutscher einen Deutschen hassen"
Schami: Das ist satirisch, wenn Sie erlauben. Das ist satirisch. Das ist ein bisschen ein Hieb auf diese Arroganz mancher deutscher Autoren uns gegenüber, uns allen gegenüber, nicht mir persönlich, dass sie sich für die Besseren halten und auch noch unseren Erfolg beneiden. Also sie müssen sich entscheiden: Wenn wir sie nicht interessieren, sollte der Erfolg sie nicht stören. Und da habe ich gedacht, so kann nur ein Araber einen Araber hassen oder ein Jude einen anderen Juden hassen, aber auch in dem Fall, weil ich in Deutschland lebe, ein Deutscher einen Deutschen. Damit haben sie mich doch anerkannt umgekehrt.
Meyer: Lassen Sie uns noch am Schluss auf ein ganz anderes Thema schauen: Weihnachten steht kurz bevor, Sie sind aramäischer Christ. Wie feiern Sie eigentlich Weihnachten jetzt hier?
Schami: Also jetzt hier neige ich dazu, mit meiner kleinen Familie – das ist meine Frau und mein Sohn, der ist Germanist – in die Berge zu fahren, weil ich Schnee liebe. Wissen Sie, davon hatte ich gar keine Ahnung in Syrien. In Syrien sind Weihnachten langweilig. Das große Fest ist Ostern bei uns. Weihnachten ist regnerisch, schlammig, weil wir keinen Schnee haben, und in Deutschland hat mich das fasziniert, diese gezuckerten Bäume, dieser Raureif – das schönste Wort, habe ich einmal geschrieben, ist Raureif, allein seine Musik im Ohr. Deshalb gehen wir in die Berge, feiern gemeinsam zu dritt, gehen gut essen und so weiter und kehren zurück - kurz vor Neujahr machen meine Frau und ich ein Haus der offenen Türen. Das heißt, solange Licht vor der Tür ist – das ist ungefähr bis drei Uhr morgens – dürfen alle Nachbarn zu uns kommen. Es gibt zwei Suppen, eine vegetarische, eine Fleischsuppe, und die können kommen und gehen, wann die wollen, Hauptsache es ist ein großer Tisch und die sitzen miteinander, und das Erfreuliche für uns beide: Die sagen dann beim Abschied, bis zum nächsten Jahr bei Ruth und Rafik.
Meyer: Rafik Schami, fährt zu Weihnachten in den Schnee, haben wir erfahren. Viel mehr erfahren Sie in seinem neuen Buch "Ich wollte nur Geschichten erzählen: Mosaik der Fremde" in den Verlagen Hirnkost und Schiler ist das erschienen mit 176 Seiten, 18 Euro ist der Preis. Herr Schami, vielen Dank für den Besuch!
Schami: Ich danke Ihnen für die wunderbaren Fragen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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