RAF-Terroristen vor Gericht

26.09.2008
Der Film "Der Baader Meinhof Komplex" basiert auf dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust, das 1985 erstmals erschien und nun als aktualisierte Fassung und als Hörbuch vorliegt. Ebenfalls als Hörbuch sind gerade die "Stammheim-Bänder" veröffentlicht worden: Tondokumente des Prozesses gegen die RAF-Terroristen der ersten Stunde. Die Bänder lagen nach Prozessende 1977 fast 30 Jahre unentdeckt in den Archiven.
Der Film "Der Baader Meinhof Komplex" basiert auf dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust, das 1985 erstmals erschien und nun als aktualisierte Fassung und als Hörbuch vorliegt. Ebenfalls als Hörbuch sind gerade die "Stammheim-Bänder" veröffentlicht worden: Tondokumente des Prozesses gegen die RAF-Terroristen der ersten Stunde. Die Bänder lagen nach Prozessende 1977 fast 30 Jahre unentdeckt in den Archiven.

Sprecher: "Die Angeklagte Ensslin erscheint um 9.08 Uhr im Sitzungssaal. Band 313"
Theodor Prinzing, Vorsitzender Richter: "Gut, nun bekommt zunächst Frau Ensslin in Ergänzung zur Einlassung zur Sache das Wort."
Gudrun Ensslin: "Eine der Sprachregelungen, der unsere Erklärungen verfälschenden Berichterstattung –"
Prinzing: "Verzeihen Sie, Frau Ensslin, eine Frage, wie ist das nun gedacht, wir haben im Augenblick unser Tonbandprotokoll laufen, kann das jetzt weiter laufen?"
Ensslin: "kann drauf. …"

Die Bänder, die nur für die Protokollschreiber gedacht waren, hätten eigentlich alle gelöscht werden müssen. Stimmen aus dem Jenseits - es war eine kleine Sensation, als fast 30 Jahre nach dem Stammheim-Prozess gegen die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe 21 Spulen mit 13 Stunden Originaltönen entdeckt wurden. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass der Prozess, für den ein eigenes Hochsicherheitsgebäude errichtet worden war, zwei Jahre dauerte. Und doch können die fragmentarischen Aufnahmen, die der Journalist Maximilian Schönherr auf der CD "Die Stammheim-Bänder" versammelt hat, - Laufzeit 80 Minuten - einen Eindruck vermitteln von der angespannten Atmosphäre der Verhandlung.

Prinzing: "Ich habe das Recht, Sie können dem Senat nicht Dreistigkeit vorwerfen."
Schily: "So! Sie können mich verwarnen und mir standeswidriges Verhalten vorwerfen, aber ich darf dem Senat keine Dreistigkeit vorwerfen."
Prinzing: "Nein, das dürfen Sie nicht …"

Einer der RAF-Anwälte war Otto Schily, der Vorsitzende Richter hieß Theodor Prinzing, dessen Prozessführung war hoch umstritten. Der Prozess war begleitet von Hungerstreiks der Inhaftierten und hitzigen Debatten über Verfahrensregelungen.

Auf den Bändern ist auch jene Stelle erhalten, die als Abkehr Ulrike Meinhofs von der Gruppe interpretiert werden kann, was allerdings vom Gericht nicht so wahrgenommen wurde:

Meinhof: "Die Frage ist, wie kann ein isolierter Gefangener den Justizbehörden zu erkennen geben, angenommen, dass er es wollte, dass er sein Verhalten geändert hat. Wie, wie kann er das in einer Situation, in der bereits jede Lebensäußerung unterbunden ist, ihm bleibt, dem Gefangenen in der Isolation, bleibt nur eine Möglichkeit, und das ist der Verrat."

Die "Stammheim-Bänder" sind ein wichtiges Zeit-Dokument, sie liefern teilweise irritierende Einblicke in eine Phase westdeutscher Geschichte, die voller quälender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen war. Die ausgewählten Originaltöne sind kunstvoll montiert, Hintergrundinformationen zur Einordnung finden sich auch auf der CD. Für jemand, der sich tiefer gehend mit der Geschichte der RAF befassen möchte, möglicherweise zu wenig.

Der Baader Meinhof Komplex: "Es war immer dasselbe Argumentationsschema: der nicht geleistete Widerstand der Väter im Dritten Reich sollte von den Kindern nachgeholt werden."

Stefan Aust. Sein Buch "Der Baader Meinhof Komplex" gilt als Standardwerk. In dem gleichnamigen Hörbuch, Länge rund fünf Stunden, zeichnet Aust die Zeit von 1967 bis 77 nach, von den Stundentenprotesten der 60er-Jahre, über die Radikalisierung nach dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg bis zum Finale im "Deutschen Herbst": der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut, dem Selbstmord der RAF-Terroristen in Stammheim und der Ermordung von Arbeitgeber-Präsident Hanns Martin Schleyer. Helmut Schmidt, damals Bundeskanzler:

"Wir sahen uns unauflöslich verstrickt, in diese grauenhaften Ereignisse. Das ist eine Situation, in der keine Entscheidung ausschließlich richtig ist. Es ist wie in einer griechischen Tragödie, sie sind verstrickt und können sich aus der Schuld nicht befreien."

Neben historischen O-Tönen aus den Archiven sind eine Vielzahl der damals relevanten Akteure zu hören, auch ehemalige Terroristen wie Astrid Proll, Peter-Jürgen Book oder Bommi Baumann von der Bewegung 2. Juni, die in Kontakt mit der Baader-Meinhof-Gruppe stand.

Bommi Baumann: "Erstmal waren wir Haschisch-Raucher, die haben nur Speed-Tabletten gefressen, was ja eigentlich Paranoia ja nur noch fördert, das genau wurde uns auch immer vorgehalten, dass wir in dem Sinne Lust betont sind, wir sollten ganz rigide Berufsrevolutionäre sein, wie ein Fabrikarbeiter, der frühmorgens zu Siemens geht und damit basta."

Stefan Aust gelingt es eindrucksvoll, den Weg in die Gewalt nachzuzeichnen, auch das Innenleben, die Machtverhältnisse der Baader-Ensslin-Gruppe - das wäre der passendere Name gewesen.

Der Funkverkehr der GSG 9 vor der Erstürmung der Landshut. Als die inhaftierten RAF-Terroristen davon erfuhren, begingen sie Selbstmord. Stefan Aust breitet in seinem hörenswerten Feature auch eine These aus, die noch nicht mit letzter Gewissheit belegbar ist: Die RAF-Terroristen seien in der Todesnacht abgehört worden, davon ist Aust überzeugt. Doch von dieser Nacht sind bis jetzt noch keine Tonbänder aufgetaucht.

Rezensiert von Georg Gruber

Stefan Aust: Der Baader-Meinhof-Komplex
4 CDs, Hoffmann und Campe, Hamburg 2008
19,95 Euro

Maximilian Schönherr: Die Stammheim-Bänder. Baader-Meinhof vor Gericht
1 CD, Der Audio Verlag, Berlin 2008
15,99 Euro