"Räuber Hotzenplotz" als Familienmitglied

Susanne Preußler-Bitsch im Gespräch mit Britta Bürger · 01.08.2012
Als Tochter des Kinderbuchautors Otfried Preußler hat die Kulturwissenschaftlerin Susanne Preußler-Bitsch den "Räuber Hotzenplotz" als Teil der Familie erlebt. Es habe ihr und ihren Schwestern viel Freude bereitet, so zu tun, als lebe die literarische Figur ihres Vaters mit ihnen.
Britta Bürger: Einmal saß Kasperls Großmutter auf der Bank vor ihrem Häuschen in der Sonne und mahlte Kaffee. Fortan nimmt die Geschichte vom Überfall durch den Räuber Hotzenplotz ihren Gang! Heute vor 50 Jahren ist das Buch zum ersten Mal erschienen, eines jener Exemplare, die man aufhebt, weil es zwischen zwei Deckeln die eigene Kindheit konserviert!

Otfried Preußler, der Erfinder des "Räuber Hotzenplotz"! In der Erstausgabe aus meiner Kinderzeit, da schreibt Preußler vorab: Dieses Buch widme ich meinen drei Töchtern, Renate, Regine und Susanne, und allen Kindern, die Freude an Kasperlgeschichten haben! Jene Susanne ist die Kulturwissenschaftlerin Susanne Preußler-Bitsch, die seit über zehn Jahren den Literaturbetrieb ihres heute 88 Jahre alten Vaters führt. Schönen guten Morgen, Frau Preußler-Bitsch!

Susanne Preußler-Bitsch: Ja, guten Morgen, hallo!

Bürger: Wann haben Sie den Räuber Hotzenplotz zum allerersten Mal kennengelernt, was sind Ihre ersten Erinnerungen an ihn?

Preußler-Bitsch: Also, ich weiß nur, dass ich, seit ich denken kann, ist der Räuber Hotzenplotz eigentlich Mitglied der Preußler-Familie.

Bürger: Der saß mit am Tisch?

Preußler-Bitsch: Nun ja! Es hat mir und meinen größeren Schwestern einfach Spaß gemacht, so zu tun, als würde er bei uns mit leben. Und das ist ähnlich wie bei den anderen Figuren aus den Büchern meines Vaters, die auch irgendwie dazugehören. Also, mein Vater ist mein Vater, und der Autor ist gleichzeitig Vater vom Räuber Hotzenplotz und der kleinen Hexe. Also, da sind wir notgedrungen in einer gewissen geschwisterlichen Beziehung.

Bürger: Hat Ihr Vater daraus auch ein Spiel gemacht? Damals waren Sie vier, als das Buch erschienen ist?

Preußler-Bitsch: Ja, der Hotzenplotz war so ein nettes Großmaul, der stand für manche Dinge gut. Also, wenn irgendwie ein derbes Wort fiel oder Dreck im Wohnzimmer war von Gummistiefeln, die nicht ausgezogen wurden, oder das letzte fehlende Stück Wurst, das Wiener Würstel aus dem Kühlschrank ... Das konnten wir gelegentlich dem Räuber Hotzenplotz unterschieben. Das war so ein augenzwinkerndes Spielen.

Es hat einfach Spaß gemacht, so zu tun, als wäre er ein Mitglied der Familie! So wie die kleine Hexe zum Beispiel: Wenn wir im Wald irgendwie ein schönes Schwammerl gefunden haben, also einen Pilz, dann haben wir uns gedacht, ah, das war vielleicht die kleine Hexe, die das gezaubert hat, oder der kleine Wassermann. Die Familie wohnte für uns in einem, ja, so Badeweiher in der Nähe von meinem Elternhaus. Also, wir sind schon so mit den Figuren aus den Büchern meines Vaters groß geworden, meine Schwestern und ich.

Bürger: Im Zuge der 68er und der antiautoritären Erziehung musste sich Ihr Vater auch Kritik anhören, Heile-Welt-Kitsch musste er sich vorwerfen lassen, realitätsferne Kindertümelei. Die Zeitschrift "Pardon" ärgerte sich darüber, dass die Kriminalität im "Hotzenplotz" nicht als gesellschaftspolitisches Problem behandelt wird, Überschrift war damals: "Wie vermurkst man Kinder?" Hat Ihrem Vater das damals eigentlich zugesetzt?

Preußler-Bitsch: Ja. Also, ich denke, meinen Vater hat es schon auch in gewisser Weise verunsichert. Nicht so sehr seinen Räuber – unbekümmert ist ja auch der dritte Band dann geschrieben worden –, und letztendlich, nachdem er auch nie nach den Moden geschrieben hat, hat er das dann doch an sich abprallen lassen. Vor allen Dingen hat es seine kleinen Leser nicht gestört! Also, die hatten mit dem reaktionären Personal und dem reaktionären "Hotzenplotz" überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil, sie haben ihn einfach in ihr Herz geschlossen und fanden es wunderbar, solche Geschichten zu hören!

Bürger: Ihr Vater war, als er das Buch geschrieben hat, Ende 30 und Lehrer an einer Volksschule. Was für eine Pädagogik hat er denn selbst vertreten als Lehrer, als Kinderbuchautor, aber auch als Vater?

Preußler-Bitsch: Gut, da sind wir jetzt bei drei Sachen. Also, ich habe ihn als Vater, als Lehrer und als Kinderbuchautor erlebt, weil ich selber zwei Jahre bei ihm in der Grundschule war. Im Nachhinein, muss ich sagen, glaube ich, dass er ein sehr gewissenhafter und Vollblutpädagoge war und ist. Also, ihm ist ganz stark daran gelegen, einfach Wissen und Zusammenhänge zu vermitteln.

Und sicherlich, Anfang der 70er-Jahre oder Ende der 60er-Jahre war noch eine andere Strenge und auch noch ein anderer Ton und Frontalunterricht einfach angesagt, aber er hat so Sachen gehabt wie zum Beispiel: Bei uns gab es im Klassenzimmer eine imaginäre Schülerin, das war die Peppi Dimpflmoser. Und die Peppi Dimpflmoser, da konnte man dann sagen, Herr Lehrer, ich glaube, das und das in Mathe oder das und das in Sachkunde, das hat die Peppi nicht verstanden, können Sie das noch mal erklären?

Bürger: Um sich selbst nicht bloßzustellen, ja?

Preußler-Bitsch: Ja! Oder er hat halt selber gesagt, ich glaube, ich muss es jetzt der Peppi noch mal erklären! Und über diesen Schritt hat er einfach auch schwächere Schüler mitnehmen können. Also, jetzt, im Nachhinein finde ich das ... Dafür mag ich ihn umso mehr einfach, ja!

Bürger: Am 50. Geburtstag des "Räuber Hotzenplotz" sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Susanne Preußler-Bitsch, der Tochter des Autors Otfried Preußler, die die Bücher ihres Vaters heute herausgibt und verwaltet. Diese drei "Räuber-Hotzenplotz"-Geschichten verkaufen sich in Deutschland noch immer 60.000 Mal im Jahr, wobei viele, die das Buch mittlerweile schon ihren eigenen Kindern vorgelesen haben, es eben auch noch für die Enkelkinder aufgehoben haben. Warum, meinen Sie, hat sich diese jetzt ja doch durchaus etwas altmodische und auch harmlose Kasperlgeschichte so lange gehalten und es geschafft, so erfolgreich zu überleben?

Preußler-Bitsch: Mein Vater wollte eine durch und durch lustige Geschichte schreiben mit allem Drum und Dran, was zu einer Kasperlgeschichte gehört, mit einem Kasper, mit einem Seppel, mit einer Großmutter, mit einem Räuber und mit einem Wachtmeister. Und das ist wie ein Kasperltheater auf der Bühne, wie ein Puppentheater. Das sind kurze Dialoge, schnelle, wechselnde Szenenfolge, man begreift ganz schnell, welche Funktion welche Figuren haben.

Wenn Sie heute in eine "Hotzenplotz"-Theatervorstellung gehen, dann kriegen Sie einfach mit, was das für eine Freude ist, so eine mag sie auch simpel gestrickte Geschichte zu hören und mitzugehen und mitzufiebern. Und das ist, glaube ich, das Geheimnis.

Bürger: Der "Räuber Hotzenplotz" ist in über 30 Sprachen übersetzt worden, nicht nur Englisch, Spanisch, Russisch und Chinesisch, sondern auch auf Afrikaans, Litauisch und dem rätoromanischen Dialekt Surselvisch. Warum funktioniert diese Geschichte aber nicht nur bei uns, sondern eben auch weltweit? Was haben Sie von den Verlegern und Übersetzern aus anderen Ländern an Rückmeldung bekommen?

Preußler-Bitsch: Mit der Geschichte vom "Räuber Hotzenplotz" hat mein Vater eine Art universellen Kosmos geschaffen, so sehe ich das. Das, was er anbietet, sind keine vorgefertigten, vorgestanzten, vorgenormten Figuren und Bilder, sondern er lässt den Raum, sich das vorzustellen, wie es Ihnen und Ihrem Background gefällt und wie es dazu passt.

Und ich glaube, das ist das Geheimnis, dass auch ein türkischer Junge oder ein japanisches Mädchen sich mit diesem "Räuber Hotzenplotz" einfach seine Vorstellung schafft und dann auch Bratwürste mit Sauerkraut durchaus akzeptiert ...

Bürger: ... mit Stäbchen isst ...

Preußler-Bitsch: ... nein, das wird dann als gebratene Wurst mit vergorenem Kraut übersetzt und das funktioniert wunderbar!

Bürger: Mittlerweile hat Hotzenplotz sogar eine eigene Facebook-Seite. Muss er wohl auch, denn schon immer haben die Leserinnen und Leser Ihrem Vater geschrieben. Was wird in diesen E-Mails von Briefen denn gefragt?

Preußler-Bitsch: Aus den Briefwechseln geht hervor, dass der Räuber Hotzenplotz öfters schon die Angst vor einer anstehenden Operation genommen hat zum Beispiel. Mit dem Versprechen, ganz geheim vor dem Operationssaal Wache zu stehen. Oder da berichtet ein kleiner Peter oder beziehungsweise seine Eltern, dass der Peter einfach ganz große Angst vor dem neuen Kindergarten hat, aber jetzt verkleidet als starker Räuber Hotzenplotz mit sieben Messern, die er sich aus Pappe geschnitten hat, im großen Gürtel, jetzt traut er sich in den Kindergarten.

Bürger: Und die Briefe wurden eben auch immer beantwortet von Ihrem Vater. Er ist heute 88 Jahre alt. Macht er das immer noch selbst, machen Sie das, gibt es da eine kleine Redaktion?

Preußler-Bitsch: Also, mein Vater hat bis vor 10, 15 Jahren alle Briefe noch selber beantwortet. Und ja, seit gut zehn Jahren hören die Briefe auch immer mehr auf und es geht mehr per E-Mail. Und die landen jetzt hier auf meinem Schreibtisch und gelegentlich besucht mich jetzt der Räuber Hotzenplotz im Bayerischen Wald und hilft mir bei der Beantwortung meiner Mails.

Bürger: Und wie geht es Ihrem Vater?

Preußler-Bitsch: Gut, meinem Vater geht es so, wie es einem fast 89-Jährigen je nach Tagesform gut gehen kann. Und er ist dankbar für jeden neuen Tag auf dieser schönen Welt.

Bürger: Heute vor 50 Jahren ist der "Räuber Hotzenplotz" zum ersten Mal erschienen, und heute wie damals gibt es ihn im Thienemann Verlag. Susanne Preußler-Bitsch, Tochter des "Hotzenplotz"-Erfinders Otfried Preußler, herzlichen Dank fürs Gespräch und viele Grüße an Ihren Vater!

Preußler-Bitsch: Ja, vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema