Rätselhafte Geschichten voll ernsthafter Ironie

Rezensiert von Marko Martin · 31.03.2005
"Die einen", heißt es in David Albaharis 1997 in Deutschland erschienenem Roman <em>Tagelanger Schneefall</em>, "macht das Chaos verrückt, die anderen die Geometrie. Manche fallen auseinander, andere wachsen zusammen."
In diesen Tagen ist mit dem Erzählungsband "Fünf Wörter" das nunmehr fünfte auf deutsch übersetzte Buch des 1947 in Serbien geborenen und 1994 aus dem Milosevic-Staat nach Kanada ausgewanderten Schriftstellers erschienen, und noch immer scheint es, als thematisiere sein Schreiben eben jene Polarität zwischen Chaos und Geometrie.

Wie nämlich lassen sich Geschichten erzählen, die entweder an der Oberfläche unscheinbar oder im Gegenteil völlig unlogisch wirken? Was etwa hat ein Schwarzfuß-Indianer in Calgary mit einem Immigranten zu schaffen, der abends in den Gemeinderäumen einer orthodoxen Kirche serbischen Einwandererkindern deren Muttersprache beibringt, zu welcher sie doch längst keine wirkliche Beziehung mehr unterhalten? Und weshalb überkommt den schachspielelenden Briefträger in der serbischen Provinz plötzlich der Wunsch, seine eigene Frau umzubringen?

Wer nun meint, Albahari schöpfe hier sozusagen aus dem Vollen und kolportiere frohgemut Geschichten und Anekdoten aus zwei Kulturkreisen, um sie leser- und zeitgeistkompatibel zu mischen, geht fehl. Der jüdisch-serbische Autor, der sich bereits in seinen zwei vorangegangenen Romanen " Mutterland" und "Götz und Meyer" die Frage nach der Darstellbarkeit des Holocaust bzw. der Verlässlichkeit von Erinnerungen gestellt hatte, erweist sich auch diesmal als äußerst skrupulöser Erzähler, der sich seinen Figuren sozusagen auf (Schwarzfußindianer-)Zehenspitzen nähert - freilich nur deshalb, um sie anschließend umso besser betrachten und präziser zu beschreiben können.

"Aber das Leben ist kein Schachspiel", heißt es an einer Stelle, "das Leben ist unordentlich und chaotisch, und falls es überhaupt von etwas gelenkt wird, dann von der Konfusion der Wirklichkeit, der Willkür des Augenblicks und der Unbeständigkeit der Zurechnungsfähigkeit."

Allein aber schon der konzentrierte, ruhige Ton, mit dem diese Behauptung vorgetragen wird, relativiert sie und provoziert Widerspruch: Auch wenn Unüberschaubarkeit herrscht, so ist das Individuum dennoch für sein Denken und Tun voll verantwortlich - zum Beispiel tötet man nicht einfach so aus einer Laune provinziellen Überdrusses heraus seine Frau.

Dabei moralisiert Albahari in keiner Zeile. Seine oft rätselhaften, beinahe surrealistischen Erzählungen verweigern sich der sinnstiftenden Parabelhaftigkeit ebenso wie der Flucht ins absurd Karikierende.

"Der Papst ist 99 Jahre alt. Seit langem hat er aufgehört zu essen, zu schlafen und Besucher zu empfangen. Unentwegt fixiert er einen Samtvorhang, hinter dem er Gott vermutet. Er weiß nicht, wie er darauf kommt, warum er den Samt mit Gott in Verbindung bringt: wer weiß, vielleicht wegen der eigentümlich rauen Glätte des Gewebes? Der Papst würde am liebsten abwinken, aber er kann die Hand nicht bewegen."

Und kein Spott, nirgends. Stattdessen diese ganz seltene Art ernsthafter Ironie, die Meisterschaft des Spielerischen, die nie zum Selbstzweck wird. Ganz klar, dieser Autor hat seinen Kafka und Borges, seinen Cortazar (und vielleicht sogar Reinhard Lettau) genau gelesen, er hat vor Jahren Thomas Pynchon ins Serbische übersetzt und ist folglich mit allen Wassern der Postmoderne gewaschen.

Dennoch findet man bei ihm keinerlei selbstreferentielles "anything goes". Je unwahrscheinlicher Geschichten klingen, desto schwerer die Aufgabe, sie dennoch mit Leichtigkeit, ja mit Grazie zu erzählen und dabei die Sackgasse des Geschwätzes zu vermeiden.

"Fünf Wörter" ist keine einfache, leicht konsumierbare Lektüre, wer sich aber auf die Vertrauen schenkende, weil eben nie prunkende Sprache David Albaharis einlässt, wird als Leser reich belohnt.

David Albahari: Fünf Wörter. Erzählungen.
Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann.
Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2005,
178 S., geb., 17,20 Euro