Radiosender AFN

Jazz und Blues statt Marschmusik

14:52 Minuten
Zwei Musiker einer US-Militärkapelle spielen 1956 auf einer Weihnachtsfeier für deutsche Flüchtlingskinder Weihnachtslieder.
Die Alliierten brachten ihre Musik nach Deutschland: Zwei US-Soldaten spielen 1956 für Flüchtlingskinder. © dpa / Bruechmann
Klaus Walter im Gespräch mit Massimo Maio · 08.09.2020
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Der US-Soldatensender AFN brachte Swing, Jazz und Soul ins Nachkriegsdeutschland - als Gegengift nach dem Nazidrill. Ein zivilisierender Einfluss sei das gewesen, findet der Musikjournalist Klaus Walter, quasi eine "Reeducation" mit Musik.
US-Präsident Donald Trump hat einen Truppenabzug aus Deutschland angekündigt. Damit wird auch eine kulturelle Ära beendet. Denn die Besatzungsmächte brachten auch ihre Musik mit ins Nachkriegsdeutschland.
Wo zuvor nur Marsch- und Volksmusik oder Schlager zu hören waren, spielte nun der Sender British Forces Broadcasting Service (BFBS) Musik von der Insel. Auf dem US-Soldatensender American Forces Network (AFN) war Swing, Soul, Funk und Rhythm ’n’ Blues zu hören.
"Den Einfluss dieser Radiostationen kann man gar nicht unterschätzen. Die haben uns wirklich zivilisiert", sagt der Musikjournalist Klaus Walter. "Das war nach dem Krieg ein bedeutender Akt, auch Teil der Reeducation, für die die Amis zuständig waren."

Zuvor gab es keine angloamerikanische Musik

Das war bitter nötig, denn die deutschen Soldaten kamen aus einem verheerenden Krieg. "Sie hatten den Drill und Disziplin der Nazizeit hinter sich. Dann kommt da diese Musik aus den USA als Gegengift. Jazz und Rhythm ’n’ Blues gegen Marschmusik."
Die Popwellen der öffentlich-rechtlichen Programme hätten dagegen erst Mitte der 70er-Jahre angefangen regelmäßig zu senden. "Vorher gab es im Radio nur ganz sporadisch angloamerikanische Musik zu hören."

Straßenkreuzer und Sexmachine

Musiker wie Sydney Youngblood, Terence Trent D’Arby oder Elvis Presley war in Deutschland stationiert. Aus den US-Straßenkreuzern, die nun durch Frankfurt am Main fuhren, tönte Jazz und Swing, erinnert sich Walter an damals.
James Brown sang offen über seine "Sexmachine". Selbst die Körpersprache der jungen US-Soldaten, die am Wochenende mit Taschen voller US-Dollars durch die Stadt und in die Clubs zogen, sei eine ganz andere gewesen: viel lässiger und lockerer. "Das war auch eine sexualisierte Situation."
Eine Gemengelage, in der es durchaus zu Konflikten kommen konnte: Viele Deutsche hätten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie einen Schwarzen Mann gesehen, so Walter. Für sie seien die US-Soldaten "sehr, sehr fremde Wesen" gewesen. Habe sich eine deutsche Frau mit einem schwarzen US-Soldaten eingelassen, "da fiel auch das Wort Rassenschande".

Eine zögerliche Annäherung

Eine Annäherung zwischen US-Soldaten und Einheimische sei daher erst allmählich erfolgt: Er selbst habe damals als Taxifahrer gearbeitet, die US-Soldaten in die Clubs gefahren, erzählt Walter. Selbst sei er aber dort nie hineingegangen.
"Die typischen GI-Clubs waren so, dass ein weißer Mann da nur über Kontakte hineinkam. Das waren Orte, wo weiße Frauen und schwarze Männer sich nähergekommen sind."
Auf der anderen Seite hätten GIs "kaum Chancen, in eine deutsche Diskothek hineinzukommen, weil dann immer befürchtet wurde, es gibt Ärger oder die machen die weißen Frauen an". Erst später, in Clubs wie dem "Funkadelic" in Frankfurt am Main, habe sich das Publikum gemischt.
(lkn)
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