Rader Hochbrücke in Schleswig-Holstein

Sanierung bei rollendem Verkehr

08:40 Minuten
Die Rader Hochbrücke bei Borgstedt in Schleswig-Holstein
Die Rader Hochbrücke bei Borgstedt in Schleswig-Holstein muss dringend saniert werden, die Statik wird den Verkehr sonst nicht mehr lange tragen. © Deutschlandradio / Johannes Kulms
Von Johannes Kulms · 09.03.2021
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Auf dem Weg von Hamburg nach Dänemark trägt die Rader Hochbrücke die A7 über den Nord-Ostsee-Kanal. Noch stützen die riesigen Brückenpfeiler das anderthalb Kilometer lange Bauwerk. Doch bald wird es brüchig sein. Ein Ersatzbauwerk muss her.
Das alte Backsteinhaus wirkt stattlich. Aber im Schatten der übermächtigen Autobahnbrücke doch wie ein Zwerg. Wer hier wohnt, dem rauschen jeden Tag bis zu 50.000 Fahrzeuge praktisch über das Dach.
Seit fast 50 Jahren führt die Rader Hochbrücke nahe Rendsburg die A7 in Richtung dänische Grenze oder umgekehrt in Richtung Hamburg über den Nord-Ostsee-Kanal. Mit entsprechender Geräuschkulisse.
"Ich bilde mir dann immer ein und denk so im Stillen: ‚Na, das ist Wellenrauschen oder so!‘ Man gewöhnt sich aber mit der Zeit ein bisschen dran."

Seit drei Jahren ist Ingrid Marsau häufig in dem Backsteinhaus zu Besuch. Dort lebt ihr Lebensgefährte Heinz Fritz. Eigentlich hatten die beiden 86-Jährigen geplant, hier in Borgstedt ihren Lebensabend zu verbringen.

Neubau der Rader Hochbrücke vor der Haustür

Doch nachdem Herr Fritz vor wenigen Monaten einen Schlaganfall hatte, steht fest: Das Paar braucht eine neue Bleibe. Denn in Kürze entsteht hier in Borgstedt direkt vor ihrer Haustür eine neue Lärmquelle. Es ist die Baustelle für den Neubau der Rader Hochbrücke.
"Ja, da bleibt uns wohl nichts anderes übrig. Nächstes Jahr fangen die an, dann kann man ja mindestens fünf Jahre rechnen, wenn nicht sechs Jahre, bis das hier alles fertig ist. Dann sind wir über 90. Und wir müssen den Rest unseres Lebens mit Lärm und Schmutz verbringen. Also, insofern ist das schon besser, wir geben das auf und verkaufen das und ziehen woanders hin", sagt Ingrid Marsau.

Noch stützen die riesigen Brückenpfeiler das anderthalb Kilometer lange Bauwerk. 1972 war die Rader Hochbrücke in Betrieb gegangen. Niemand konnte sich offenbar damals vorstellen, dass der PKW- und LKW-Verkehr eines Tages einmal so stark zunehmen würde, dass dies die Brücke zum Bröckeln bringen würde.
2013 wurden an den Stützpfeilern massive Schäden entdeckt, zwischenzeitlich wurde die so wichtige Kanalquerung für Lastwagen gesperrt. Die Behörden begannen zu rechnen. Am Ende kam eine Zahl heraus: 2026. Bis zu diesem Jahr trägt die alte Brücke noch. Bis 2026 also muss spätestens das Ersatzbauwerk fertig sein.
Ingrid Marsau und Heinz Fritz müssen wegen des Brückenneubaus im hohen Alter umziehen. 
Ingrid Marsau und Heinz Fritz müssen wegen des Brückenneubaus im hohen Alter umziehen. © Deutschlandradio / Johannes Kulms

Erst der Neubau, dann der Abriss

Seit bald 20 Jahren ist Gero Neidlinger Bürgermeister von Borgstedt. Er weiß, dass die Hochbrücke in den letzten Jahrzehnten viel Lärm verursacht hat. Aber eben auch eine gute Verkehrsanbindung an die A7 darstellt: "Also, ich sage immer, Fluch und Segen liegt da zusammen!"
Neidlinger steht an diesem Morgen am Nord-Ostsee-Kanal, in seinem Rücken verschwinden die riesigen 50 Meter hohen Brückenpfeiler im gespenstischen Nebelmeer.
Die Planung sieht vor, direkt neben der alten Brücke eine neue zu errichten - mit drei statt bisher zwei Spuren pro Fahrtrichtung. Wenn 2026 das erste Bauwerk fertig ist, soll der Abriss der alten Brücke folgen. An ihrer Stelle ist später ein zweites Bauwerk für die andere Fahrtrichtung geplant.
"Der aufgestellte Zeitplan ist bisher eingehalten worden. Und ich habe an für sich großes Vertrauen, dass die Brücke rechtzeitig fertig wird", sagt Neidlinger.
Der 76-Jährige gebürtige Baden-Württemberger wirkt ziemlich gelassen. Neidlinger geht davon aus, dass der Lärmschutz für die neue Rader Hochbrücke strenger wird als beim bestehenden Bauwerk. Andererseits ist dem CDU-Politiker auch klar, dass die Gemeinde Borgstedt besonders viel abkriegen wird. Denn dort werden die Bauarbeiten für das 300-Millionen-Euro-Projekt losgehen.
"Sie sehen ja hier, die Häuser liegen ja teilweise direkt unter der Brücke und in der Nähe der Brücke. Hier wird die Baustelle eingerichtet, hier findet eigentlich die ganze Abrisstätigkeit statt. Es werden harte sechs Jahre für die Bürger der Gemeinde Borgstedt!"

Große Verantwortung für den Bauleiter

"Ja, mein Name ist Mario Schönherr. Ich arbeite bei der DEGES in Berlin als Projektleiter. Und bin für das Projekt Ersatzneubau der Rader Hochbrücke in Schleswig-Holstein zuständig."
Die Abkürzung DEGES steht für Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH. Seit 30 Jahren plant sie Bauvorhaben in ganz Deutschland, neben dem Bund sind inzwischen fast alle Bundesländer Gesellschafter.

Der Neubau der Rader Hochbrücke ist das größte Bauvorhaben für die GmbH. Und Mario Schönherr trägt als Projektleiter eine große Verantwortung. 2015 hat für ihn und sein Team das Planungswettrennen begonnen. Wenn alles gut läuft, dann kann Schönherr in diesem Jahr einen wichtigen Etappenerfolg verbuchen: den Planfeststellungsbeschluss.
"Der Planfeststellungsbeschluss ist natürlich eine gewisse Hürde. Man kriegt das ja auch bei anderen Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland mit. Dass es da natürlich durchaus Diskussionen geben kann, die dann vor Gericht zum Teil ausgetragen werden."

Einwendungen werden abgearbeitet

Doch Schönherr gibt sich zuversichtlich, dass mit den anliegenden Gemeinden, Anwohnerinnen und Umweltverbänden alle Hürden aus dem Weg geräumt werden können. Voraussetzung dafür ist auch, dass die zuletzt 30 eingereichten Einwendungen gegen die Neubauplanung erfolgreich entschärft werden.
"Wir sind mitgenommen worden, die ganze Zeit, und sind in guten Gesprächen. Und insofern alles ist gut. Also, von der Seite keine Sauerei, nein!"
Hans Stephan Lütje ist Bürgermeister der Gemeinde Rade am südlichen Ufer des Nord-Ostsee-Kanals. Einen knappen Kilometer von seinem Hof entfernt thront die Hochbrücke. Lütje will sich über die Zusammenarbeit mit der DEGES nicht beschweren. Aber er stellt auch klar:
"Wenn irgendeiner zehn Jahre lang irgendwo was baut und anschließend die Gewerbesteuer in 500 Kilometer Entfernung gezahlt wird - da fühlen sich alle Bürger sozusagen mit dem Ring durch die Nase durch die Manege gezogen."
Die Rader Hochbrücke über den Nord-Ostseekanal
Die Rader Hochbrücke über den Nord-Ostseekanal: 1972 ist sie in Betrieb gegangen - heute gilt sie als gefährdet.© Deutschlandradio / Johannes Kulms
Zusammen mit den Bürgermeistern von drei weiteren Gemeinden rund um die Brücke fordert er Nachbesserungen. Bei den Ausgleichsmaßnahmen für den Neubau, aber auch beim Thema Gewerbesteuer.
"Denn wir wollen damit Schulen, Kitas, Kindergärten beziehungsweise auch Infrastruktur schaffen und unterhalten. Insofern kann gar nicht anders sein, dass da, wo der Unmut stattfindet, da muss er auch entschädigt werden! Und nicht woanders", betont Lütje.
Nachbesserungsbedarf fordern die Gemeinden Rade, Schülldorf, Ostenfeld, und Schacht-Audorf auch beim Lärmschutz. Flüsterasphalt, Schallschutzfenster, Erdwälle zur Abschirmung des Autobahnrauschens – es gebe doch verschiedene Möglichkeiten. Darüber stehen Lütje und die anderen Bürgermeister im Austausch mit der DEGES und dem Verkehrsministerium in Kiel.

"Wir operieren am offenen Herzen"

Versuchen hier die Dorfoberhäupter auf Teufel komm raus den größten Nachschlag zu verhandeln? Hans-Stefan Lütje schüttelt mit dem Kopf.
"Wir bauen jetzt nicht irgendwo eine neue Autobahntrasse, wo kein Mensch das sozusagen vorhergesehen hat. Hier operieren wir am offenen Herzen und wir sind der Meinung, dass dabei außerplanmäßige Sachen passieren werden, das ist ganz normal. Ich denke, dass es einen Kompromiss geben muss, dass sich alle Beteiligten in die Augen gucken können. Und dann wird das Projekt auch zügig von beiden Seiten abgewickelt und gut begleitet."
Der gesetzliche Anspruch auf Lärmschutz werde für die betroffenen Gemeinden erfüllt, verspricht Projektleiter Mario Schönherr. Dabei helfen sollen vor allem die drei bis fünfeinhalb Meter hohen Lärmschutzwände. Die DEGES könne nun mal nicht jeden Wunsch erfüllen, macht Schönherr deutlich.
"Na ja, letztendlich sind wir ja keine private Gesellschaft, sondern wir als DEGES arbeiten mit den Finanzmitteln des Bundes, praktisch mit Steuereinnahmen. Und deshalb sind uns da an dieser Stelle natürlich gewisse finanzielle und rechtliche Grenzen gesetzt."
In wenigen Tagen wird es wieder Gespräche zwischen den Gemeinden, der DEGES und dem Kieler Verkehrsministerium geben. Dort ist man zuversichtlich und sieht den Neubau der Rader Hochbrücke auf gutem Weg. Zeitlich und finanziell seien Puffer eingebaut, die erste Ersatzbrücke werde rechtzeitig im Jahre 2026 fertig, heißt es aus dem Ministerium.
Wo dann Ingrid Marsau und ihr Partner Heinz Fritz wohnen werden, ist noch offen. Das Paar aus Borgstedt sucht derzeit nach einer neuen Bleibe.
"Am liebsten natürlich mit einer schönen Terrasse. Drei Zimmer. Dass man schön Platz hat."
Immerhin würden die Kosten für den Umzug von den Brückenbauern übernommen, freut sich die 86-Jährige. Auch soll das Haus stehen bleiben und schon bald Platz für Büros und Arbeiterunterkünfte bieten.
Für Heinz Fritz ist nach seinem Schlaganfall das Sprechen schwieriger geworden. Doch die Antwort auf die Frage, wie traurig er über den bevorstehenden Umzug sei, ist klar. Norddeutsch klar.
"Nützt ja nichts!"
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