Rabbiner an die Front

Von Alice Lanzke · 10.05.2013
Im Ersten Weltkrieg zogen nicht nur Soldaten in den Kampf, sondern auch Geistliche. Neben der evangelischen und katholischen gab es auch eine jüdische Feldseelsorge. Sabine Hank und Hermann Simon stellen erstmals die Biografien und die Berichte der Rabbiner vor.
"Euer Hochwohlgeboren bitte ich davon Kenntnis nehmen zu wollen, daß für den Fall einer Vacanz oder Veränderung in der Besetzung der jüdischen Feldrabbinate ich bereit wäre, ein solches zu übernehmen. Ihr hochachtungsvoll ergebener Wilhelm Lewy."

"An den Verband der Deutschen Juden, Berlin: Hierdurch richte ich an Sie die ergebene Anfrage, ob noch Feldrabbinerposten zu besetzen sind, und ob ich für einen solchen in absehbarer Zeit in Frage käme. Mit vorzüglicher Hochachtung, Rabbiner Dr. Moritz Winter."

Am 4. August 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, fragt der Verband deutscher Juden seine Rabbiner, ob sie bereit wären, als Feldseelsorger zu arbeiten – mit überwältigender Resonanz: Schon im ersten Monat der Umfrage stellen sich 81 Rabbiner schriftlich zur Verfügung. Briefe wie die von Wilhelm Lewy und Moritz Winter zeugen von der Bereitschaft der jüdischen Geistlichen. Mit ihren Biografien und Berichten beschäftigt sich der Band "Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges".

Doch was war die Motivation der Rabbiner, sich freiwillig zu melden? Mitautorin Sabine Hank meint dazu:

"Sie wollten Teil der Gesellschaft sein. Sie wollten integriert sein, sich sogar assimilieren, und haben sich da sehr dafür eingesetzt, dass die jüdischen Soldaten eben gleichgestellt sind, dass sie möglichst auch einen Aufstieg in Offiziersränge bekamen, eben auch entsprechend versorgt waren. Es gab also ganz viele Aufgaben, die sie da wahrgenommen haben. Und für sie war das eine Ehre."

Ökumene auf dem Schlachtfeld
Tatsächlich war der Aufgabenbereich der Feldrabbiner groß: Die Seelsorge gehörte genauso dazu wie Besuche der Verletzten in den Lazaretten, die Organisation von Gottesdiensten und Veranstaltungen, die Verteilung von Liebesgaben wie Zigaretten und natürlich die Durchführung von Beerdigungen. Unter den Bedingungen des Krieges kam es dabei zu erstaunlichen Arbeitsteilungen mit den Feldgeistlichen anderer Konfessionen, wie Sabine Hank weiß:

"Man kann schon sagen, dass es eine Art kleine Ökumene gab. Weil, es ist ja so, dass wenn jemand im Kriegsgebiet unterwegs war und es gab Beerdigungen und es war derjenige der Konfession gerade nicht da, dann haben die das durchaus auch übernommen. Also sie haben sich gegenseitig vertreten, das gab es schon. Und das ist ziemlich einzigartig und ein Phänomen."

Und dennoch mussten die Feldrabbiner zu Beginn um Anerkennung kämpfen: Gehalt stand ihnen nicht zu, ebenso wenig Mittel für ihre Ausrüstung. Die Kosten dafür übernahmen die jüdischen Gemeinden und andere unterstützende Organisationen. Erst im August 1915 bewilligte das preußische Kriegsministerium eine monatliche Aufwandsentschädigung und schließlich auch eine einmalige Ausrüstungsbeihilfe.

Doch das Buch erzählt durch die Briefe der Feldrabbiner auch von ihren alltäglichen Sorgen. So schreibt etwa Bruno Italiener im November 1914:

"Sehr geehrte Herren! Empfangen Sie meinen herzlichsten Dank für die 250 Mark, die Sie meiner Frau vor einiger Zeit als Vergütung für Ausrüstungskosten gütigst übersandten. Leider muß ich Ihnen bei dieser Gelegenheit mitteilen, daß der von dem Schneider für die Reithose gewählte Stoff miserabel ist; er war nach 6 Wochen durchgeschabt, und dabei habe ich noch auf keinem Gaul gesessen!"

Es sind Briefe wie dieser, die beim Lesen des Bandes einen außerordentlich lebendigen Eindruck von der Arbeit der Feldrabbiner schaffen – von ihren Erfahrungen im Feld, ihren Problemen im Dienst, den Sorgen, aber auch Lichtblicken mitten im Kriegsgeschehen.

Biografien, Briefe und ausgewählte Dokumente
Elf Jahre arbeiteten Simone und Uwe Hank sowie Hermann Simon an dem umfangreichen Band und stützten sich dabei vor allem auf das Archiv des Centrum Judaicum. Das Ergebnis sind die detaillierten Biografien von 30 Feldrabbinern und 15 Feldhilfsrabbinern, ergänzt um Briefe, ausgewählte Dokumente und Protokolle der Feldrabbinerkonferenzen.

Vor allem die Briefe zeichnen ein Bild, das von Vaterlandsliebe und Stolz geprägt ist. So berichtet Rabbiner Italiener:

"Der Jude ist gern Soldat. Besonders stolz ist er auf das Eiserne Kreuz. Ich habe Mannschaften im Lazarett gesprochen, die mir leuchtenden Auges, trotz der Verwundung, trotz der Schmerzen, die sie quälten, von der Auszeichnung erzählten, mir die Glückwunschbriefe ihrer Angehörigen und Bekannten zeigten. (...) Christen und Juden halten gute Kameradschaft. Die gemeinsame Gefahr und die gemeinsamen Leiden scheinen die frühere Trennung beseitigt zu haben. Hoffentlich für immer."

Wie sehr diese Hoffnung trog, zeigte sich bereits während des Krieges bei den sogenannten "Judenzählungen", wie Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicum, erklärt:

"Und das ist schon im Grunde nicht aufgegangen – wir machen das in dem Buch auch deutlich - durch die Judenzählung, die es gegeben hat, wo ja eigentlich rauskommen sollte, dass die Juden Drückeberger sind. Und das ist ja kein Zufall, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung am Ende nicht veröffentlicht wurden."

Zwischen Integration und antisemitischer Ablehnung
Obwohl die Judenzählungen in der Rückschau wie die Vorboten des kommenden Unheils wirken und die Feldrabbiner bei ihren Konferenzen auch den Antisemitismus thematisierten, überraschte Historiker Uwe Hank vor allem eines bei der Arbeit an dem Buch:

"Es war immer wieder in der Retrospektive doch sehr erstaunlich, wie sehr sie integriert waren und wie sehr sie auch für Deutschland, für ihr Vaterland in den Krieg gegangen sind."

Der Dienst für das Vaterland, die Ehrungen und Orden, die sie dafür erhielten – all das konnte die Feldrabbiner, Feldhilfsrabbiner und jüdischen Soldaten später nicht vor der Verfolgung schützen. So stellt auch Sabine Hank fest:

"Es gab schon einen gewissen Stolz. Und es war ja auch so, dass später sich sogar Weltkriegsteilnehmer eben diese Orden angeheftet haben und haben gesagt: 'Hier. Also ihr könnt uns doch nicht einfach irgendwo hinschicken oder deportieren.' Und das hat auch eine Zeitlang funktioniert – aber eben nur eine Zeitlang."

Sabine Hank, Hermann Simon: Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges
Hentrich & Hentrich, Berlin 2013
624 Seiten, 48 Euro


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