Putins Körpersprache

"Man kann ihn leicht lesen"

Der russische Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit dem Journalisten Hubert Seipel in Wladiwostok am 13. November 2014
Der russische Präsident Wladimir Putin im Gespräch mit dem Journalisten Hubert Seipel © dpa / picture alliance / Mikhail Klementyev / Ria Novosti
Moderation: Dieter Kassel · 17.11.2014
Beim ARD-Interview mit Wladimir Putin hat der Pantomime Norman Ruch einen besonderen Blick auf den russischen Präsidenten geworfen - und dessen Körpersprache. Er ist sich sicher: Putin war alles andere als entspannt.
Was hat Putin gesagt - mit Worten, vor allem aber mit seinem Körper? Das hat der Pantomime Norman Ruch genau beobachtet. Zu Beginn des ARD-Interviews sei Putin "ziemlich kontrolliert" erschienen, er habe sich als Analyst dargestellt. Die körperlichen Erkennungszeichen für die rationale Seite, so Ruch, seien eine aktive rechte Hand und ein aktives rechtes Bein.
Doch entspannt sei der Präsident nicht gewesen. Dafür sprächen die "vielen Fluchtbewegungen nach unten, links und rechts". Ruch hat auch "viele Ersatzhandlungen" beobachtet: So habe sich Putin an Nase, Hinterkopf und Ohr gefasst. "Sein Körper hat mehr gesprochen als man mit der Sprache gehört hat", ist sich der Pantomime sicher. In der zweiten Hälfte sei der Präsident "viel aggressiver" gewesen: So sei Putins Zeigefinge oft mahnend nach oben gegangen. Ruchs Fazit. "Man kann ihn leicht lesen."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Ein Gespräch und seine Hintergründe - Thomas Franke berichtete über das Interview mit Wladimir Putin, das nun gestern Abend um 21.45 Uhr im ersten Fernsehprogramm zu hören und zu sehen war. Es ist ja nun mal Fernsehen, und gerade über diesen Aspekt dessen, was da zu sehen war – wie der Körper von Wladimir Putin gesprochen hat –, wollen wir jetzt reden mit Norman Ruch. Er ist selbst Pantomime und arbeitet auch als Körpersprache-Trainer. Schönen guten Morgen, Herr Ruch!
Norman Ruch: Ja, schönen guten Morgen!
Kassel: Was hat Putin über seinen Körper gesagt, was er mit Worten nicht gesagt hat?
Ruch: Ich würde mal sagen, relativ viel oder für mich sehr viel. Also ich fand es für mich eine ganz interessante, spannende Geschichte. Was wir gesehen haben, ist erst mal so eine analytische Körpersprache, also er hat sich als Analyst auch dargestellt, in der ersten Phase war er auch ziemlich kontrolliert, also solche Kleinigkeiten wie, er hat so einen kleinen Kopfhörer im Ohr gehabt, den er dann abgesetzt hat, während er gesprochen hat, dann eindeutig als Rechtshänder mit seiner rechten Hand sehr, sehr aktiv gewesen, also auch so diese rationale Seite sozusagen da ganz massiv eingesetzt, auch sein rechtes Bein war sehr aktiv, und insofern - das ist die erste Phase gewesen. Das fand ich sehr, sehr spannend.
Kassel: Entschuldigen Sie - mein Eindruck als Laie war genau wie Ihrer: Es gab große Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Hälfte des Gesprächs.
Ruch: Genau.
Kassel: Aber um ganz kurz bei der ersten zu bleiben - mein Eindruck war: Er war für so einen großen Staatsmann relativ unentspannt. Hatten Sie auch diesen Eindruck?
Ruch: Absolut. Ich habe genau den gleichen Eindruck wie Sie. Er war am Anfang, wie gesagt, kontrolliert, aber sofort hatte er so Ausweichbewegungen gehabt. Mit den Augen war er maximal auf Augenhöhe mit diesem Herrn Seipel, mit dem Reporter. Allerdings hat er ganz viele Fluchtbewegungen nach unten, nach links und nach rechts gehabt, das haben Sie natürlich auch beobachten können, ist auch seitwärts stark nach rechts und links gekippt und hat auch viele Bewegungen, solche Ersatzhandlungen gezeigt, also zum Beispiel an der Nase gehabt, hat sich am Kopf, am Hinterkopf zum Beispiel auch hingelangt, am Ohr.
Also man hat relativ viele solche Ersatzbewegungen gesehen, die dafür sprechen, dass er nicht entspannt war. Er hat sich erst mal also entspannt gezeigt, war eigentlich auch fast nie progressiv nach vorne gelehnt. Ich denke, das war so ein bisschen trainiert. Aber sein Körper hat mehr gesprochen, als man praktisch so mit der Sprache gehört hat.
Kassel: Was hat sich dann in der zweiten Hälfte verändert? Ist er sicherer, ist er ruhiger geworden?
Ruch: Nein, nicht unbedingt ruhiger, aber viel aggressiver. Also da haben Sie auch mehr den Zeigefinger gesehen, der mahnend nach oben gegangen ist. Er hat viel mit dem Handrücken auch gearbeitet, was auch zeigt, dass er sich da ganz stark abgrenzt.
Ob das jetzt trainiert war, weiß ich nicht genau. Bei der Analyse in der zweiten Phase hat er sich mehr inhaltlich abgeschottet und ist auch dann aggressiver geworden, wobei: Die Vorwärtsbewegung, die hat er vermieden. Allerdings: Den Kopf, den konnte er nicht zurückhalten, also ist er mit dem Kopf leicht nach vorne gegangen. Also ich habe da mehr Aggression gespürt.
Und, wie gesagt, auf der anderen Seite hat er auch noch so ein Bedauern ausgesprochen, dass diese Zuwendung zu Frau Merkel und so, dass das ja ... Er hat wieder dran erinnert, da ist er auch wieder mit dem Kopf mehr nach unten gegangen, die Augen sind direkt auch nach unten gegangen. Ich fand es sehr, sehr spannend – ein bisschen aggressiver, wie gesagt, im zweiten Part, und dann noch ein bisschen impulsiver mit dem Einsatz des Zeigefingers auf der rechten Hand. Vielleicht haben Sie das auch gesehen.
"Der steht mit dem Rücken zur Wand"
Kassel: Hatten Sie denn den Eindruck, wenn man auch überlegt, was Putin erlebt hat in Brisbane auf dem G20-Gipfel, wo er ja ziemlich isoliert gewesen ist und auch schlicht so aussah – teilweise war er der Mann am Katzentisch in einigen Fernsehbildern –, hatten Sie gestern Abend dann auch noch mal den Eindruck, da sitzt wirklich ein Mann, der ein bisschen mit dem Rücken zur Wand steht langsam?
Ruch: Ja, den Eindruck hatte ich schon. Also ich habe schon den Eindruck gehabt, der steht mit dem Rücken zur Wand und fordert natürlich auch irgendwo ein Stück weit ein, dass man seine Seite oder die russische Seite eben auch betrachtet. Das hat er deutlich eingefordert. Und da ist er ja nicht der Einzige, das haben wir ja auch vorhin im Radio gehört. Also ich denke mal, das passt schon.
Kassel: Bezogen auf gestern oder auch bei anderen Bildern, die Sie von ihm gesehen haben – ist denn jemand wie Wladimir Putin für Sie jemand, der relativ leicht zu lesen ist? Ich meine wir wissen alle, er hat lange für Geheimdienste gearbeitet, ich nehme an, der ist ja auch durchaus trainiert und weiß im Prinzip, wie ein Körper wirkt.
Ruch: Ja, genau. Also er hat, sagen wir es mal so, diese bewusste Körpersprache als bewusste Kompetenz, die setzt er auf jeden Falle ein. Hören Sie mich noch?
Kassel: Ja, ich höre Sie noch.
Ruch: Entschuldigung, da habe ich einen Klick drin gehabt. Er setzt das ganz bewusst ein. Man kann ihn leicht lesen meiner Meinung nach. Wenn man sich damit viel beschäftigt, so wie ich das tue, kann man ihn gut analysieren, sehr gut sogar, finde ich.
Kassel: Das haben Sie versucht zu tun in den letzten sechs Minuten. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch. Das war der Pantomime und Körpersprache-Coach Norman Ruch mit seinen Eindrücken von dem Interview mit Wladimir Putin, das gestern im deutschen Fernsehen zu sehen war. Herr Ruch, vielen Dank und schönen Tag noch!
Ruch: Ich bedanke mich auch. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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