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Fortpflanzung
Warum manche Tierarten ihre Nachkommen töten

Biologie.- Kindestötungen werden bei einer Vielzahl von Säugetierarten dokumentiert und es ist klar: Auch dieses Verhalten kann zum natürlichen Repertoire einer Art gehören. Wie verbreitet sie im Tierreich sind, das analysiert eine aktuelle Arbeit in "Science".

Von Volkart Wildermuth | 14.11.2014
    Paviane im Okavango Delta. Elise Huchard vom Nationalen Französischen Forschungszentrum in Montpellier hat sie intensiv studiert und dabei auch Kindstötungen beobachtet.
    "Bei den Bärenpavianen im Okavango Delta sind Kindstötungen eine wichtige Todesursache von Jungtieren, bis zur Hälfte der Kleinen können so sterben. Aus einer evolutionären Perspektive ist das für diese Paviane wichtiger als Krankheiten oder Raubtiere."
    So ein Verhalten ist nicht ungewöhnlich, wie Elise Huchard in einer Studie zusammen mit Dieter Lukas von der Universität Cambridge in England dokumentierte. Von 260 untersuchten Säugetierarten sind Kindstötungen bei 119 Arten bekannt.
    "Bei Löwen und anderen Raubkatzen, bei Bären. Es kommt häufig bei Primaten vor, bei Schimpansen, Gorillas und Pavianen und bei Nagern wie den Eichhörnchen oder Hausmäusen."
    Als das Forscherteam nach Unterschieden zwischen Arten mit und ohne Kindstötung suchte, fanden sich mehrere Auffälligkeiten. Das Verhalten tritt häufig bei Arten auf, in denen die Weibchen das ganze Jahr über fruchtbar sind. Es findet sich vor allem bei sozialen Arten, die in gemischt geschlechtlichen Gruppen unter Führung eines Männchens leben. Für ein neues Alphamännchen, das die Gruppe übernimmt, sind Kindstötungen dann ein völlig natürliches Verhalten.
    Zeichen für soziale Instabilität
    "Die Männchen machen das, denn wenn sie die Säuglinge töten, werden die Weibchen schneller wieder bereit zur Paarung. So kann das Männchen seinen Fortpflanzungserfolg maximieren, in der Phase, in der es dominant ist."
    Kindstötungen sind verbreitet, wenn die Konkurrenz unter Männchen hoch ist und sie sich nur für kurze Zeit Fortpflanzen können. Wenn Bärenpaviane in stabileren Strukturen leben, wie in der ressourcenarmen Wüste Namibias, dann kommt es kaum zu Kindstötungen. Ein solches Verhalten ergibt sowieso nur aus Sicht der Männchen Sinn. Über den Verlauf von Millionen von Jahren führt die Evolution deshalb zur Entwicklung von Gegenstrategien auf Seiten der Weibchen.
    "Die Weibchen setzten nicht auf feste Paarbindung oder reine Weibchen-Gruppen, um ihre Nachkommen zu schützen. Stattdessen paaren sie sich mit vielen Männchen, um die Vaterschaft zu verschleiern."
    Kein Männchen tötet einen Säugling, der möglicherweise der eigene ist. Wenn die Vaterschaft unklar bleibt, gewinnt die Konkurrenz der Spermien nach der Befruchtung an Bedeutung und die Männchen entwickeln nach und nach größere Hoden, um möglichst viele Spermien in dieses Rennen schicken zu können. Das Hin und Her im Wettrüsten unter den Geschlechtern konnten Elise Huchard und Dieter Lukas bei der Analyse des Stammbaums der Säugetiere nachvollziehen. Dabei bleiben Kindstötungen auf der evolutionären Zeitskala ein vorübergehendes Phänomen. Sie treten auf, wenn sie den Fortpflanzungserfolg der Männchen erhöhen, verschwinden wieder, sobald die Weibchen effektive Gegenstrategien entwickelt haben. Später treten sie vielleicht erneut auf, wenn das Sozialsystem die Männchen zwingt, unter Hochdruck Kinder zu zeugen, wie derzeit bei den Bärenpavianen im Okavango Delta.