Psychologischer Blick auf den Brexit

Das Parlament der Narzissten

06:55 Minuten
Ein Anti-Brexit-Demonstrant hält Plakate von May und Corbyn in den Händen
Wird das Treffen zwischen Theresa May und Labour-Chef Jeremy Corbyn nur zur Konfrontation zweier Narzissten? © www.imago-images.de / Victor Szymanowicz
Brodwin Bandelow im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 03.04.2019
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Um England gehe es May, Corbyn und Co. nur in zweiter Linie, sagt der Psychiater Brodwin Bandelow mit Blick auf die Brexit-Verhandlungen. Die Politiker im britischen Unterhaus seien ausgemachte Selbstdarsteller. Und Bandelow gibt noch einen Tipp.
Der Brexit-Streit geht in die nächste Runde. Beziehungsweise, vielleicht ist doch noch eine Einigung in Sicht, wenn sich Theresa May nun mit Jeremy Corbyn, dem Chef der oppositionellen Labour-Partei, an einen Tisch setzt, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Und im Hintergrund wartet Mays Parteifreund Boris Johnson darauf, ob er die Premierministerin nicht vielleicht im Amt ablösen kann. Von außen betrachtet, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, das Ganze sei vor allem ein Kräftemessen leidenschaftlicher Selbstdarsteller.
Das bestätigt der Psychiater und Angstforscher Borwin Bandelow: Was Theresa May derzeit vor allem umtreibe, sei die Angst mit dem Scheitern der Brexit-Verhandlungen in Verbindung gebracht zu werden und so in Erinnerung zu bleiben. "Aus der Sicht eines Psychiaters gesagt: Es spielt überall Narzissmus eine Rolle. Jeder der Beteiligten, aber natürlich auch alle, die im Unterhaus abstimmen, sind von ihrem Narzissmus geprägt. Es geht ihnen um Ehrgeiz und Geltungsdrang. Es geht ihnen gar nicht darum, dass das Beste für England passiert, sondern wichtig ist für diese Leute vor allem, dass sie besonders gut dastehen."

Je näher man sitzt, desto besser arbeitet man zusammen

Der Brexit-Streit zeige besonders gut, dass jeder seine eigene Haut retten und keiner auf Positionen und Ämter verzichten wolle, sagt der Psychiater. Selbst dass May und Corbyn offenbar aufeinander zugehen wollen, um eine gemeinsame Lösugn zu finden, habe für den Corbynvor allem zum Ziel, seine Labour-Partei gut aussehen zu lassen. Zugleich habe er jetzt aber den "Schwarzen Peter" zugeschoben bekommen: "Bisher war er ja nie in der Verantwortung, was den Brexit angeht. Jetzt muss er reagieren. Das Problem ist, dass natürlich in der Opposition ganz viele Leute sitzen, die eben gar nicht für den Brexit sind." Dennoch müsse Corbyn für einen Pro-Brexit bei Labour werben.
In dieser Situation sei es von Vorteil, dass man im britischen Parlament so beengt sitze, sagt Bandelow weiter. Wenn man so dicht aufeinander sitze, dass man politische Freunde wie Feinde buchstäblich riechen könne, könne man sich nicht so einfach aus der Konfrontation begeben, wie in einem halbleeren Saal oder im Internet: "Je enger der Kontakt desto besser arbeiten Menschen dann eigentlich zusammen."
(mkn)
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