Psychologische Folgen des Terrors

Warnung vor "phobischem Verhalten"

Die Polizei zeigt Präsenz vor dem Brandenburger Tor in Berlin nach den Attentaten in Paris.
Die Polizei zeigt Präsenz vor dem Brandenburger Tor in Berlin nach den Attentaten in Paris. © dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Jens Hoffmann im Gespräch mit Dieter Kassel · 16.11.2015
Die Unkalkulierbarkeit der Pariser Anschläge hat unser Sicherheitsgefühl auf den Kopf gestellt, sagt der Psychologe Jens Hoffmann. Man müsse jetzt lernen, bewusst mit der Angst umzugehen. Dazu gehöre es auch, sich weiterhin frei im öffentlichen Raum zu bewegen.
Der Psychologe Jens Hoffmann rechnet mit einer längeren Auseinandersetzung mit dem Thema Terrorismus auch in Deutschland. Solche Terroranschläge wie in Paris riefen häufig Nachahmer auf den Plan, sagte Hoffmann im Deutschlandradio Kultur. Er warnte vor Einzeltätern und deren gefährlichem Denken. Sie könnten auf die Idee kommen, dass ein terroristischer Akt die Lösung ihrer persönlichen Probleme sei.
"Also ohne Panik zu verbreiten, ist das jetzt, glaube ich, eine Gefahr, dass solche Attentate uns in der nächsten Zeit immer mal wieder beschäftigen."
Das Gefühl der Bedrohung, das viele Menschen empfinden, sei eine völlig normale Reaktion auf "ein für uns alle extremes Erleben", äußerte Hoffmann. In West- und Mitteleuropa sei man es glücklicherweise gewohnt, im Alltag mit relativ wenig Gewalt rechnen zu müssen:

"Und schon gar nicht mit plötzlichen Attacken oder Überfällen , in denen uns jemand umbringen will. Das verunsichert natürlich, weil sozusagen unser Sicherheitsgefühl dadurch fundamental auf den Kopf gestellt ist."
Bewusster Umgang mit der Angst
Hoffmann plädierte für einen bewussten Umgang mit der Angst. Man solle nicht versuchen, sie wegzuschieben:

"Weil dann ist die Gefahr, dass sie praktisch durch die Hintertür wieder mit anderen Masken auftaucht. Also das erst einmal anerkennen und würdigen."
Warnung vor "Vermeidungsverhalten"
Wichtig sei darüber hinaus, auf Dauer kein Vermeidungsverhalten zu zeigen, betonte Hoffmann. Man sollte seine Alltagsroutine und den öffentlichen Raum, in dem man sich frei bewegt habe, nicht aufgeben. Sonst könne eine "Spirale, eine selbsterfüllende Prophezeiung der Angst" entstehen:
"Wenn ich jetzt praktisch mir Gedanken mache: 'Oh, wenn ich jetzt in ein Restaurant gehe oder wenn ich auf ein Konzert gehe, könnte wieder so etwas passieren.' Und wenn ich dann diese Orte meide, kann sich das verfestigen und tatsächlich auch so solchem phobischen Verhalten führen."
Jens Hoffmann ist Diplom-Psychologe und einer der Geschäftsführer des "Team Psychologie und Sicherheit", einem Verbund von Kriminal- und ehemaligen Polizeipsychologen.


Das Interview im Wortlaut:

Dirk Kassel: Wer in München ins Restaurant geht, in Köln in ein Konzert oder sich in Chemnitz ins Café setzt, der tut nichts anderes als das, was die Menschen in Paris taten - die Menschen, die am Freitag zu Opfern der verheerenden Terroranschläge wurden. Unter anderem deshalb scheint – so kommt es mir vor, so höre ich es in vielen Gesprächen –, scheint die Bedrohung auch für viele in Deutschland jetzt viel konkreter zu sein, scheint sich das Leben wirklich verändert zu haben. Wie gehen wir damit um, das will ich jetzt von Jens Hoffmann wissen, er ist Diplom-Psychologe und einer der Geschäftsführer des Teams Psychologie und Sicherheit, einem Verbund von Kriminal- und ehemaligen Polizeipsychologen. Herr Hoffmann, schönen guten Morgen!
Jens Hoffmann: Guten Morgen!
Kassel: Ist es grundsätzlich ganz normal, sich jetzt auch persönlich bedroht zu fühlen? Ist das vielleicht sogar was Positives?
Hoffmann: Es ist zunächst einmal, wie Sie sagen, eine völlig normale Reaktion auf ein für uns alle extremes Erleben, was wir da haben. Wir sind es glücklicherweise gewohnt in West- und Mitteleuropa, dass wir eigentlich relativ wenig mit Gewalt rechnen müssen im Alltag. Und schon gar nicht mit plötzlichen Attacken, Überfällen, in denen uns jemand umbringen will. Und das verunsichert natürlich, weil unser Sicherheitsgefühlt dadurch fundamental auf den Kopf gestellt ist, und das ist auch normal so.
Das Kalkül der Terroristen
Kassel: Ich beobachte bei mir selber und höre es von anderen, dass die Wirkung diesmal aber anders ist als es zum Beispiel nach Nine-Eleven war, nach den Anschlägen in Madrid und in London. Woran liegt das? Doch sicherlich nicht nur daran, dass Paris noch ein paar Kilometer näher ist.
Hoffmann: Doch, auch, natürlich. USA ist doch weit weg. Einmal die räumliche Nähe spielt eine Rolle, aber sicherlich auch das Kalkül der jüngsten Terrorwelle. Dort waren ja, wie in Madrid die Vorortszüge, wie in London der öffentliche Nahverkehr oder wie die beiden Twin-Towers, sehr spezifische Ziele attackiert worden. , und hier war der Plan der Angreifer offensichtlich, in der Öffentlichkeit, in Restaurants, auf der Straße relativ unkalkulierbar anzugreifen. Das erhöht natürlich das Gefühl von Unkontrollierbarkeit und damit auch ein Gefühl von Angst, Unruhe und Besorgnis.
Kassel: Aber gerade angesichts dieser Tatsache und angesichts der Tatsache, wie Sie schon gesagt haben, es ist erst mal normal, diese Bedrohung zu empfinden – wie geht man nun damit um? Nur noch zu Hause essen, nicht mehr ins Café, nicht ins Konzert zu gehen kann doch nicht die Lösung sein.
Hoffmann: Ganz sicher ist, da stimme ich Ihnen zu. Erst mal wichtig ist, die Angst zu akzeptieren, dass es eine normale Reaktion ist und nicht versuchen, sie wegzuschieben, weil dann ist die Gefahr, dass sie praktisch durch die Hintertür wieder mit anderen Masken auftaucht. Also, das erst mal anerkennen und würdigen.
Dann, denke ich, ist auch wichtig, kein Vermeidungsverhalten zu zeigen auf Dauer. Wenn ich jetzt praktisch mir Gedanken mache, oh, wenn ich jetzt in ein Restaurant gehe oder wenn ich auf ein Konzert gehe, könnte wieder so etwas passieren und dann diese Orte meide, kann sich das verfestigen und kann tatsächlich auch zu solchem phobischen Verhalten führen. Das heißt, dass man jetzt erst mal Orte meidet, ist nicht schlimm, aber man sollte schauen, dass man seine Alltagsroutine, seinen öffentlichen Raum, in dem man sich frei bewegt, nicht aufgibt, weil das kann sonst eine Spirale, eine selbsterfüllende Prophezeiung der Angst werden.
Menschen denken nicht in Statistiken
Kassel: Aber was hilft praktisch dabei? Man kann hingehen, man kann sich ins Restaurant setzen, aber man kann sagen, ich fühle mich da jetzt nicht mehr so wohl wie noch vor ein paar Tagen – was hilft dagegen? Wir hören immer die im Prinzip ja korrekten Statistiken, die Wahrscheinlichkeit, bei einem Haushaltsunfall von der Leiter zu fallen und zu sterben ist signifikant höher als Opfer eines Terroranschlags zu werden. Aber nützt einem so ein Gedanke was?
Hoffmann: Nur ein bisschen. Als Menschen denken wir nicht in Statistiken, sondern in konkreten in Ereignissen. Da wäre die Strategie, dass man sagt, okay, mir ist mulmig, das ist auch völlig normal und in Ordnung. Und wenn ich erst mal die nächsten Tage nicht hingehe ist auch in Ordnung. Aber ich lasse mir mein Leben auch nicht wegnehmen, und das mulmige Gefühl wird dann schon mit der Zeit wieder verschwinden. Man muss sich daran gewöhnen, und dann wird das Gefühl auch weniger werden.
Und vielleicht auch wichtig: Nicht die ganze Zeit darüber nachdenken, was kann mir passieren, oh, da, schaut, jemand hat keine weiße Hautfarbe und trägt vielleicht auch noch arabische Kleidung – also, dass man nicht in so eine Art permanenten Alarmzustand gerät, sondern dann auch bewusst an etwas anderes denkt und sich ablenkt.
Aufmerksamkeit darf nicht zu Verfolgungswahn führen
Kassel: Nun hat aber ganz konkret, unter anderem, der Vorsitzende der deutschen Innenministerkonferenz schon auch gesagt, Aufmerksamkeit ist angemessen, man sollte schon darauf achten, wer einem begegnet und wie der sich benimmt. Sie haben gerade zu Recht gesagt, das darf natürlich nicht zu Vorurteilen und Verfolgungswahn führen, aber kann man denn konkret als Laie wirklich sogenannte Gefährdung an irgendeiner Form erkennen?
Hoffmann: Auf der Straße sicherlich nicht, das wäre eine Falschannahme. Aber vielleicht schon mit Leuten, die man kennt, beispielsweise jetzt auf der Arbeit, in den Schulen, in den Universitäten, bei den Behörden. Wenn man Leute kennt und dort charakteristische Veränderungen praktisch feststellt, dann sollte man vielleicht schon mal nachfragen, Kontakt aufnehmen oder gegebenenfalls auch Fachleute mit einbinden.
Kassel: Das heißt, nachfragen, Kontakt aufnehmen, damit meinen Sie zunächst mal die Person, bei der man diesen Verdacht hat?
Hoffmann: Sicherlich, wenn ich sie kenne, kann ich ja nachfragen. Wenn ich sage, okay, du hast deine Kleidung verändert und weißt du, das beunruhigt mich jetzt etwas, aber ich will mal nachfragen, vielleicht sitze ich da auch irgendeinem Vorurteil auf. Wenn jemand immer rigider wird, schwarz-weiß beginnt, auch andere Volksgruppen abzuwerten, andere Religionen, wenn er auf einmal sich für solche Terroristen interessiert, sie versteht, sich mit ihnen identifiziert, dann sollte man sicherlich genauer hinschauen, ja.
Furcht vor möglichen Nachahmern
Kassel: Nun gibt es ja diesen schönen Spruch, die Zeit heilt alle Wunden. Nun mag sie gewisse Wunden nicht heilen. Aber ist das jetzt nur eine Frage der Zeit, bis der Alltag in Deutschland wieder normal wird und wir das mehr oder weniger alles vergessen haben oder bleibt da doch was?
Hoffmann: Ich befürchte, dass dieses Thema länger beschäftigen wird. Das Bedauerliche ist ja, dass ein solcher Anschlag Nachahmer manchmal auf den Plan ruft. Das heißt, gerade diese Einzeltäter, die wir als lone actor bezeichnen, häufig destabile Leute - wir haben ja einen solchen Fall beispielsweise in Frankfurt gehabt, am Frankfurter Flughafen –, in einer Krise, die dann auf die Idee kommen: Hier gibt es eine Lösung für mich, ich kann was Großes erreichen und es gibt ein schwarz-weiß Weltbild für mich.
Ohne Panik zu verbreiten, ist das, glaube ich, jetzt eine reale Gefahr, dass solche Attentate uns in der nächsten Zeit immer wieder mal beschäftigen. Aber Deutschland hat das ja auch schon mal durchgestanden mit den RAF-Attentaten. Solche Terrorwellen gehören wahrscheinlich auch in einer freien Welt, in der wir leben, dazu.
Kassel: Jens Hoffmann, vom Team Psychologie und Sicherheit über echte und gefühlte Bedrohungen und über den Umgang damit. Herr Hoffmann, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Hoffmann: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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