Psychologe über radikale Taten

Warum extreme Ideen uns weiterbringen können

Rosa Parks
Die afroamerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks tat 1955 etwas Radikales, Extremes: Sie setzte sich in einem Bus auf einen Platz, der Weißen vorbehalten war. Und trat damit eine Lawine los. © imago/UIG
Peter Kagerer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.12.2018
Der Begriff der Radikalisierung ist heute negativ besetzt. Dabei haben laut dem Psychologen Peter Kagerer manche extreme Aktionen erst dazu geführt, dass Demokratie entstehen konnte. Es gebe gegenüber radikalen Ideen jedoch auch Grenzen der Toleranz.
Liane von Billerbeck: Warum schließen sich Menschen Bewegungen wie dem Salafismus oder dem Rechtsextremismus an? Welche Rolle spielt dabei Ideologie und welche die Biografie? Und welche Alternativen zum Radikalen kann die Gesellschaft bieten?
Mit Fragen wie diesen beschäftigt man sich heute in Saarbrücken bei einer Veranstaltung. "Radikalisierung! Auch ohne Islam? Demokratie! Auch ohne Radikalität?" heißt sie, und der Psychologe und Psychotherapeut Peter Kagerer wird dabei sein, von respect.lu, einem in Luxemburg ansässigen Zentrum gegen Radikalisierung, das auch einer der Veranstalter in Saarbrücken ist.
Und sein Impulsreferat trägt den interessanten Titel "Radikalisierung – nur Katastrophe oder auch Chance?". Jetzt ist Peter Kagerer am Telefon. Schönen guten Morgen!
Peter Kagerer: Schönen guten Morgen, Frau Billerbeck!
von Billerbeck: Das ist ja eine fast provozierende Frage. Wo sehen Sie denn die Chancen, wenn es um Radikalisierung geht?
Kagerer: Ich sehe da eine Menge Chancen. Vor allen Dingen, wenn ich mal rückwärts blicke, hatten wir in den letzten 100 bis 150 Jahren ganz viele radikale Ideen, die sich durchgesetzt haben. Dass wir in einer Demokratie leben, dass Frauen Wahlrecht haben – ich hab' Rosa Parks vor Augen, die sich in den Bus setzte und keinem Weißen Platz machen wollte.
Das war eine für diese Zeit extrem radikale Idee und hat ganz viel vorangebracht. Ich glaube auch, dass wir heute mit Ideen, die ich sag mal einfach neu sind, die ungedacht sind, zu tun haben werden, die uns voranbringen, die die Demokratie voranbringen, die den Rechtsstaat voranbringen und die Europäische Union voranbringen können.

Die Grenzen des Tolerierbaren

von Billerbeck: Das heißt, Sie führen Beispiele an, die positiv sind für Radikalisierungsformen, die also auch unsere Demokratie erst möglich gemacht haben. Für die meisten ist der Begriff aber heutzutage eher negativ besetzt. Wann hat denn dieser Deutungswandel stattgefunden?
Kagerer: Das lässt sich gar nicht wirklich festmachen. Das hat, glaube ich, schon unter Bismarck oder früher stattgefunden. Ich glaube, für unsere Zeit war der Punkt des Radikalenerlasses in der RAF-Zeit. Da wurde eine ganz offizielle Verknüpfung zwischen negativer Konnotation und dem Wort radikal geschaffen, die ja teilweise auch richtig ist. Da, wo es über die Grenze zur Gewalt geht, ist Radikalität natürlich abzulehnen.
von Billerbeck: Da fallen uns natürlich aktuell die Proteste der Gelbwesten in Frankreich ein. Forderungen berechtigt, aber die Umsetzung eben doch manchmal sehr gewalttätig. Da hat es eine Menge Zerstörungen gegeben, eine Menge Verhaftungen und Verletzte. Verläuft denn genau an diesem Punkt die Grenze des Tolerierbaren?
Kagerer: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Vor allen Dingen, wenn ich sehe, dass die Gewalt sich ja gegen Dinge oder Menschen richtet, die mit dem eigentlichen Ziel des Protestes gar nichts mehr zu tun haben. Da, wo es zu Gewalt führt, glaube ich, ist der Protest, den wir in einem Rechtsstaat, in einer Demokratie machen können, verlassen worden und da ist das Ende der Toleranz.

Orientierung an Mythen

von Billerbeck: Sie beschäftigen sich ja heute in Saarbrücken auf der erwähnten Fachtagung mit unterschiedlichen Formen der Radikalisierung. Salafismus ist eine, Rechtsextremismus eine andere. Welche Gemeinsamkeiten gibt es da, wenn man da nach den Motiven schaut der Leute, die sich auf diese Weise radikalisiert haben, in die eine oder in die andere Richtung?
Kagerer: Wir haben auf beiden Seiten Menschen, die ihren Blick sehr nach hinten richten, die mit der jetzigen Gesellschaft sehr unzufrieden sind, die oft auch mit sich selber, ihren Lebensumständen sehr unzufrieden sind und die davon überzeugt sind oder sich davon überzeugen lassen. Manchmal ist es eine Überredung, dass das, was früher war, mit den klaren Regeln, mit dem "Früher war alles besser", dass man damit besser leben kann. Und was sie beide gemeinsam haben, ist, dass sie sich eher an Mythen orientieren als an den Werten der Aufklärung. Dass Dinge nachweisbar müssen und, dass man – Hallo …
von Billerbeck: Oh, jetzt ist unser Gesprächspartner verschwunden. Peter Kagerer war das. Wir haben versucht mit ihm darüber zu sprechen, ob es auch positive Momente der Radikalisierung gibt. Ich hätte jetzt noch ein paar Fragen gehabt, die fallen jetzt leider aus, weil die Verbindung zusammengebrochen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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