Psychologe über Google Maps

Blindes Vertrauen macht orientierungslos

08:08 Minuten
Ein älterer Mann befestigt ein Smartphone zur Navigation an seinem Fahrrad.
Keine Radtour ohne Navi: Google Maps ersetzt in vielen Fällen das eigene Nachdenken über die Streckenplanung. © dpa-tmn / Christin Klose
Stefan Münzer im Gespräch mit Shanli Anwar · 08.02.2020
Audio herunterladen
Google Maps hat seit seinem Start vor 15 Jahren unseren Orientierungssinn und Blick auf die Welt beeinflusst. Nicht unbedingt zum Guten, sagt Bildungspsychologe Stefan Münzer. Die Abhängigkeit von Navigationsdiensten mache deren Nutzer orientierungslos.
Einige Autofahrer haben vielleicht noch den guten alten Straßenatlas im Handschuhfach liegen. Doch der wird zu einer aussterbenden Spezies. Lieber vertrauen wir – ob Autofahrer, Fußgänger oder Radler – Google Maps oder irgendeinem andere Navigationsprogramm.
Weltweit gibt es schätzungsweise 100 Millionen Straßenkilometer. Der Kartendienst Google Maps hat einen großen Teil davon erfasst – und 15 Jahre nach seiner Inbetriebnahme verzichtet kaum jemand noch auf seine Dienste. Egal, ob man sich nun per Auto durchs Ruhrgebiet navigieren möchte oder bei einer Wandertour durch einen südostasiatischen Dschungel – Google Maps ist via Tablet oder Smartphone immer dabei. Manch einen hat das System schon in einen Fluss geleitet statt auf die richtige Landstraße – vielleicht, weil die Koordinaten falsch eingegeben wurden. Doch statt sich auf die eigenen Augen zu verlassen, denken viele: Das Navi wird’s schon wissen.

Lieber den eigenen Augen vertrauen

Der Bildungspsychologe Stefan Münzer, der nach eigenem Bekunden auch gerne auf Google Maps zurückgreift, wenn er eine Tour via Laptop plant, sagt, die Navigationshilfen seien schnell, praktisch und gut für die Vorplanung geeignet – doch überall dort, wo man sich blind nur noch darauf verlasse, werde es kritisch, denn Kartendienste machten uns orientierungslos.
Die Fähigkeit, Karten zu lesen, sei unterschiedlich gut ausgeprägt. "So was wie Kartenlesen zum Orientieren und Navigieren habe ich in der Schule nicht gelernt. Das heißt, der Erwerb dieser Fähigkeiten ist sehr unsystematisch", sagt Münzer. Deshalb sei es eigentlich gut und wichtig, sich im Kartenlesen zu schulen:
"Wenn ich allerdings wieder anfange, das abzugeben an ein intelligentes System, dann ist ganz klar: Das findet in meinem Kopf nicht mehr statt. Das findet dann in diesem Gerät statt, und ich muss mich immer mehr darauf verlassen. Darin sehe ich eine Gefahr."

Dienste mit kritischem Blick nutzen

Dennoch sei die Allgegenwart von Navigationsdiensten für ihn kein reines Horrorszenario, betont Münzer. Wenn man deren Vorteile nutze, müsse man sich einfach stets vergegenwärtigen, dass man etwas gegen den kompletten Kompetenzverlust tun müsse.
Der Bildungspsychologe hält es beispielsweise für eine gute Idee, Navigationsapps mit zusätzlichen Funktionen auszustatten, die regelmäßig den Wissensstand des Nutzer abfragen und in ihre Navigation mit einbeziehen. "Das Navigationssystem könnte mit mir kleine Spiele spielen. Es könnte mich in Berlin zum Beispiel fragen: In welche Richtung ist der Funkturm?" So ein Lernspiel mache sogar Spaß.
(mkn)
Mehr zum Thema