Psychoanalytikerin Eva Jaeggi

"Wir haben Identitäten auf Zeit"

Eva Jaeggi, emeritierte Professorin für klinische Psychologie und Verhaltensforschung, Psychotherapeutin, Sachbuchautorin
Die Psychologin und Psychotherapeutin Eva Jaeggi © picture-alliance / dpa / Uwe Zucchi
Eva Jaeggi im Gespräch mit Ulrike Timm · 03.04.2017
Wir leben in einer Zeit des Psycho-Booms. Das weiß wohl niemand besser als Eva Jaeggi. Die 1934 in Wien geborene Psychologin ist seit mehr als 50 Jahren eine der führenden Therapeutinnen im deutschsprachigen Raum. Eines ihrer Hauptthemen: Beziehungen.
Die 82-jährige Psychoanalytikerin Eva Jaeggi, die schon lange in Berlin lebt und auch über 20 Jahre als Professorin an der dortigen Technischen Universität lehrte, betreut noch heute Patienten.
"Ich müsste nicht arbeiten, aber es macht mir große Freude, sehr unterschiedliche Typen von Menschen kennenzulernen, sehr unterschiedliche Altersstufen."
Sie sei eine "Menschenbummlerin", so wie Weltenbummler immer wieder neugierig auf neue Länder seien, sei sie bis heute neugierig auf das Leben und die Geschichten anderer Menschen: "Eigentlich kann ich davon gar nicht so schnell genug bekommen."

Jaeggi lernte zwei Welten kennen in der Nazi-Zeit

Ein Auslöser für ihr Interesse: ihre frühen Erlebnisse im Elternhaus. Beide Eltern waren Nazi-Gegner, zu Hause wurde offen darüber gesprochen.
"Es gab immer einen doppelten Boden. Man hat vor mir gar nichts verschwiegen, meine Eltern haben mir vertraut, dass ich nichts weitersagen werde. Da war ich fünf Jahre und es war wirklich so, ich habe nie etwas weitergesagt. Ich wusste, dass Auslandsradio gehört wurde, man hat über Hitler und die Nazis permanent geschimpft. Es sind Freunde gekommen, Gesinnungsgenossen. Ich wusste das alles und ich wusste gleichzeitig, in einer anderen Umgebung muss man sich anders verhalten. Man muss nicht mitmachen, es hat nie jemand mitgemacht. Aber wenn es wirklich einmal nötig war, dann grüßt man vielleicht einmal auch mit 'Heil Hitler', was wir sonst vermieden haben."
So lernte sie früh, zuzuhören, zu beobachten – eine Fähigkeit, die ihr bis heute zugute kommt.

"In der Therapie zu lachen, ist schon die halbe Miete"

Eva Jaeggi ist auch bekannt für ihre populären Sachbücher, die sie gern mit einer Prise Humor versieht. Davon zeugen Titel wie "Tritt einen Schritt zurück und du siehst mehr", in dem sie sich mit den Fragen des Alterns beschäftigt. Oder "Wer bin ich? Frag doch die anderen!", in dem sie die Frage nach dem Ich und der sich wandelnden Identität stellt. Ihre Erfahrung:
"Wir haben Identitäten auf Zeit, dass wir uns für kurze Zeit zu etwas zugehörig fühlen, aber immer die Freiheit haben, in ein anderes Programm zu switchen, auch was uns selbst anbelangt."
Lachen, so ihre Erfahrung, sei der beste Weg zu Selbsterkenntnis – gerade auch in der Therapie.
"Wenn es einem gelingt, in der Therapie zu lachen und einen Patienten zum Lachen zu bringen, das ist schon mehr als die halbe Miete. Es gibt Patienten, bei denen diese Selbstdistanzierung ein ganz großer Schritt ist, wo man wirklich sagen kann: Das ist das große Ziel der Therapie, da können hinterher noch alle möglichen Ängste und Schwierigkeiten und Hypochondrien übrigbleiben. Aber wenn man erstmal den Schritt gemacht hat, sich nicht so wichtig zu nehmen und Distanz von sich und seinen Problemen zu bekommen – dann ist schon sehr viel erreicht."

Wie wurde sie von der Klosterschülerin zur einer der bekanntesten Psychotherapeutinnen?
Was hat sie als Therapeutin auch über sich selbst gelernt?
Das möchte Ulrike Timm von Eva Jaeggi erfahren; Im Gespräch, 4. April, ab 9 Uhr 07.

Mehr zum Thema