Früherkennung des Down-Syndroms

Test mit einer "verheerenden Botschaft"

Gisela Höhne, Leiterin und Regisseurin des Theater RambaZamba in Berlin; Aufnahme vom Juni 2006
Gisela Höhne, Leiterin des Theater RambaZamba in Berlin © imago / Rolf Zöllner
Gisela Höhne im Gespräch mit Nana Brink · 18.08.2016
Der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern berät heute darüber, ob ein Bluttest zur Erkennung von Trisomie bei Ungeborenen künftig von den Kassen bezahlt werden soll. Die Theatermacherin Gisela Höhne, selbst Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom, ist strikt dagegen.
Sollen die Krankenkassen künftig einen Bluttest zur Früherkennung des Down-Syndroms bei ungeborenen Kindern bezahlen? Das wird heute im Gemeinsamen Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern diskutiert.
Gisela Höhne, Leiterin des Theaters RambaZamba, einer Gruppe von Schauspielern mit Trisomie 21, warnt vor den Folgen einer solchen Entscheidung. Im Deutschlandradio Kultur sagt sie, man könne davon ausgehen, dass viele Familien einen solchen Test machen würden.
Mit dem Test werde aber klar die "verheerende" Botschaft geschickt: "Die sind gar nicht lebenswert. "Es sei "ganz furchtbar, dass gerade diese besonderen und wunderbaren Menschen nicht mehr geboren werden sollen", betonte sie: "Wir werden einen großen Verlust erleben, wenn das so weitergeht."
Höhne, selbst Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom, sagt, sie hätte diesen vermutlich nicht bekommen, wenn sie vorher von der Behinderung gewusst hätte. Sie sei deswegen "froh" darüber, es nicht gewusst zu haben.
"Denn: Das man es nicht schafft angeblich, kann überhaupt keiner sagen, der es nicht ausprobiert hat", sagt Höhne. Sie plädierte dafür, dass sich Frauen in den ersten drei Monaten für oder gegen ein Baby entscheiden können. Eine Entscheidung gegen ein Kind wegen Behinderung möchte sie aber ausschließen: "Und dazu dürfte man es nicht wissen."

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Es gibt ja wohl keine heiklere Entscheidung für ein werdendes Elternpaar als die Entscheidung: Lasse ich nachsehen, ob das Kind eine Behinderung hat? Dazu gibt es ja mehrere Möglichkeiten, und am Ende steht aber immer die Frage: Was mache ich, wenn das Ergebnis nicht so ausgeht, wie ich es mir wünsche? Wenn zum Beispiel das Kind ein Down-Syndrom hat?
Heute berät der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen über einen Bluttest zur Erkennung des Down-Syndroms. Und die Frage ist: Soll dieser Test von den Krankenkassen übernommen werden? Bislang kosten diese Tests, die es seit zwei Jahren relativ neu gibt, zwischen 500 und 800 Euro.
Viele Behinderten- und Sozialverbände haben sich ja in einem offenen Brief dagegen ausgesprochen, und ihr Argument: Diese Tests seien keine Arzneimittel, sondern sie dienten dazu, die Geburt behinderter Kinder zu verhindern. Und gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Down-Syndrom wenden sich auch die Schauspieler vom Theater RambaZamba in ihrem Stück "Am liebsten zu dritt", da überfallen nämlich drei Frauen mit Down-Syndrom ein Hotel, nehmen die männlichen Gäste als Geisel und wollen sie zum Sex zwingen, um schwanger zu werden.
O-Ton Theater RambaZamba: Wir sind zu äußersten Maßnahmen bereit! Wir haben beschlossen, selber viele Babys zu bekommen! Und da brauchen wir Männer ohne Trisomie, uns zu befruchten, damit Babys mit Trisomie geboren werden! Und wir verlangen, dass das Morden der Babys mit Trisomie 21 ein Ende hat! Und bis das so weit ist, werdet ihr dafür sorgen, dass unsere Frauen Sex bekommen!
Brink: Das Theater RambaZamba mit dem Stück "Am liebsten zu dritt". Und die Leiterin des Theaters ist Gisela Höhne, sie leitet die Gruppe von Schauspielern mit Down-Syndrom und ist selbst Mutter eines erwachsenen Sohnes, der das Down-Syndrom hat. Ich grüße Sie, guten Morgen!
Gisela Höhne: Guten Morgen!
Brink: Ist das Gedankenspiel, was wir da in diesem Ausschnitt gehört haben, ein Protest gegen diesen Früherkennungstest, wie er heute im Bundesausschuss debattiert wird?
Höhne: Ja, natürlich. Erst mal sind gerade Menschen mit Down-Syndrom sehr friedfertig und würden wahrscheinlich kein Hotel überfallen und Sex erzwingen, sondern es ist wirklich ein Symbol gewesen, auch ein Aufschrei gegen den - das Stück existiert ja schon zwei Jahre - gegen diese Tests und gegen diesen Test.
Brink: Was befürchten Sie denn bei einer Kostenübernahme?

Ein Bluttest ist kein großer Eingriff

Höhne: Also, wir können davon ausgehen, dass unglaublich viele Frauen und Familien das machen werden. Denn die Vorstellung … Es ist ja so kurz, es ist ja kaum ein Zellhaufen, dass man das beseitigen kann, was quasi das ungestörte Glück oder die Karriere trüben könnte, das ist so naheliegend.
Es ist nicht mal ein großer Eingriff. Also, als mein zweites Kind geboren wurde, gab es die Fruchtwasserpunktierung, das ist schon ein unangenehmer Eingriff. Das überlegt man sich auch schon. Da gab es auch Gefahren, dass das Kind einen Schaden davon haben könnte. Das ist ja jetzt überhaupt nicht mehr.
Brink: Genau, aber diese Tests gibt es ja schon sehr lange, also die Fruchtwasseruntersuchung, die Sie angesprochen haben, ja schon seit 30 Jahren. Das ist jetzt ein neuer Test. Wird es den nicht weiter geben und wird der nicht auch weiter genutzt, wenn die Kostenübernahme kommt?
Höhne: Also, die Fruchtwasserpunktierung gibt es schon 40 Jahre. Also, mein Sohn ist 40, und als das zweite Kind geboren wurde, gab es das schon. Aber trotzdem kann man ja eine Haltung dazu haben und das nicht richtig finden. Dass gerade nach dieser … Es ist ja mehr ein Zufall, weil es leicht findbar ist. Dass nach dieser sogenannten Behinderung so geforscht wird pränatal und so klar auch die Botschaft geschickt wird: Die sind gar nicht lebenswert … Also, da kann man ohne schlechtes Gewissen sagen, sogar bis zur Spätabtreibung gilt das ja, das brauchen wir nicht mehr und sie brauchen auch gar kein schlechtes Gewissen zu haben, das ist in der Botschaft verheerend.
Das heißt ganz klar, diese Menschen sind nicht so lebenswert wie andere. Sie bedrohen die Familie, sie bedrohen die Frau, also, das ist ja immer die Begründung bei der Spätabtreibung, also, wenn das Leid für die Frau im Vordergrund steht. Und das ist ganz, ganz furchtbar, dass gerade diese besonderen und wunderbaren Menschen nicht mehr geboren werden sollen. Zumal – man muss sich das auch mal überlegen – es ist doch im Grunde genommen eine kleine Anzahl an überhaupt Behinderungen, die geboren werden, und überhaupt, die meisten werden nach der Geburt erworben, das wissen viele Menschen nicht.
Brink: Aber muss das nicht jedes Elternpaar dann doch für sich selbst entscheiden?

Adoptiv-Eltern warten auf Kinder mit Down-Syndrom

Höhne: Ja, das ist natürlich die reine Wahrheit und darin liegt die Krux der Situation. Ich wusste es natürlich vorher nicht. Und in dem Moment, ich war gerade Schauspielerin geworden, ich hätte vermutlich Moritz nicht bekommen. Und ich bin so froh darüber, dass ich es nicht wusste.
Denn dass man es nicht schafft angeblich, kann überhaupt keiner sagen, der es nicht ausprobiert hat. Und diese Gesellschaft ist so entwickelt, dass auch, wenn ich merke nach einem Jahr oder nach einiger Zeit, ich schaffe diese ganzen Termine für Therapien und was es noch so gibt nicht, ich bin überfordert, ist die Gesellschaft in der Lage, ein solches Kind aufzuziehen und zu übernehmen. Es gibt sogar Adoptiveltern, die warten auf solche Kinder.
Es gibt überhaupt kein Argument dafür, außer dass die Wissenschaft es kann gerade. Es werden … Wir werden einen großen Verlust erleben, wenn das so weitergeht, an Menschen, die zu den liebenswertesten überhaupt unter den Menschen zählen, die so zärtlich sind, die so witzig sind, die so viel von der Welt verstehen, ohne sie zu idealisieren.
Aber ich erlebe es seit 40 Jahren mit meinem Sohn, ich erlebe es seit 25 Jahren mit dem Theater RambaZamba und ich möchte nicht auf sie verzichten. Und jeder, der sie kennt, sagt das. Aber die Wissenschaft will da ihre Sache durchziehen, die Industrie verdient daran und spielt im Grunde genommen mit der Angst dieser Eltern. Und soll ich Ihnen sagen, was ich denke, wie ich es machen würde?
Brink: Dazu sind Sie da, natürlich, Ihr Wort!
Höhne: Ja, okay! Also, ich bin der Meinung, dass man sich entscheidet für oder gegen ein Kind. Drei Monate kann man sich entscheiden. Nicht weil ein Kind behindert ist, und dazu dürfte man es nicht wissen.
Brink: Aber trotzdem noch mal die Frage, weil Sie greifen ja … weil Sie sagen, das ist die Wissenschaft und das ist die Industrie und auch die Ärzteschaft … Aber beschneiden Sie da nicht auch die Autonomie von werdenden Eltern, dass es eine ganz subjektive Entscheidung ist?

Ob ein Kind behindert ist, darf nicht zur Debatte stehen

Höhne: Ja, darum würde ich ja diese Entscheidung nicht fällen lassen, bevor also … Ich sage ja so, ein Kind zu bekommen oder nicht, das müsste die Entscheidung, das müsste möglich sein, dass Frauen … in einer Situation sagen, ich kann im Moment kein Kind gebrauchen, aus welchen Gründen auch immer, es geht nicht. Und das müsste akzeptiert werden in dieser Dreimonatsfrist. Dann dürfte erst bekannt werden, dass das Kind behindert ist. Das dürfte gar nicht zur Debatte stehen, dass ein Kind, das behindert ist, abgetrieben wird.
Brink: Vielen Dank, Gisela Höhne, Leiterin des Theaters RambaZamba, in dem Schauspieler mit Down-Syndrom spielen. Danke für Ihre Einschätzungen, und der gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen berät heute über einen Bluttest zur Erkennung des Down-Syndroms, ob er von den Krankenkassen übernommen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

In der Diskussion um von Krankenkassen finanzierte Bluttests zur Früherkennung des Down-Syndroms äußerte sich der Remscheider Gynäkologe Walter Brinker im Deutschlandradio Kultur:
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Brinkers Praxis gehört zu den 70 Referenzzentren für pränatale Untersuchungen. Die Entscheidung über Bluttests müsse man nach wie vor den Paaren überlassen, sagte der Arzt:
"Und es gibt auch nicht wenige Paare, die nach der Diagnose eines Down-Syndroms die Schwangerschaft fortgeführt haben. Das sind natürlich deutlich weniger als Paare, die sich zu einem Abbruch entscheiden. Aber auch diese Möglichkeit gibt es noch. Ich sehe das auch noch von einer anderen Seite: Mittlerweile gibt es ja kaum noch eine Schwangere unter 35. Und das war bisher immer der Schnittpunkt für die Frage einer Fruchtwasseruntersuchung. Eine vierzigjährige Schwangere hat ja nur ein einprozentiges Risiko, dass das Kind eine Chromosomen-Fehlbildung hat. Das heißt: Zu 99 Prozent ist das Kind ja gesund."
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