Proteste in Ungarn gegen Orbáns Politik

"Das Skandalöse ist die Reichtums-Umverteilung"

Ein Mann hält auf einer Demonstration in Budapest ein Schild mit der Aufschrift "Stop Orban".
Die Proteste in Ungarn richten sich vor allem gegen die Gleichschaltung der Medien und niedrige Löhne © AFP / PETER KOHALMI
Wilhelm Droste im Gespräch mit Gabi Wuttke · 17.12.2018
Schon lange gibt es Proteste in Ungarn gegen die Gleichschaltung der Medien. Doch im Grunde sei der "Kulturkampf" nur ein Ablenkungsmanöver der Regierung, um den Reichtum des Landes umzuverteilen, meint Kulturjournalist Wilhelm Droste.
Gegen die vollkommene Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Medien durch Ungarns Regierung unter Präsident Viktor Orbán habe sich heute der Protest der Demonstranten vor dem Gebäude des staatlichen Rundfunks in Budapest gerichtet, sagte Wilhelm Droste im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur.
"Da gibt's überhaupt nichts mehr, was irgendwie kritisch berichtet. Die Masse hat gefordert, dass das kritisches Meinungsorgan sein soll, sowohl die vielen Fernsehkanäle, als auch die vier großen Radiokanäle."
Die vielen Parlamentsabgeordneten der Opposition, die unter den Protestierenden waren, hätten zwar das Recht, Einrichtungen der staatlichen Medien zu betreten. Den Zugang zu den Studios, wo sie "öffentlich-rechtlich" fünf Punkte einer Forderungen vorlesen wollte – unter anderem die nach einer freien, demokratischen Presse – habe man ihnen verwehrt.
"Und dann gab es Handgemenge. Wie man überhaupt sagen muss, das ist nicht ganz ungefährlich, was hier in Ungarn passiert. Das Moment der Gewalt spielt eine immer größere Rolle."

Desolater Zustand nicht nur für Medienschaffende

Medienschaffende seien meist arbeitslos oder in kleinen Nebenbereichen tätig. "Es gibt keine kritische Tagespresse mehr. Eine einzige Zeitung ist übrig geblieben: die ehemalige Zeitung der sozialdemokratischen Partei 'Die Volksstimme'."
Die Erklärung der ungarischen Regierung, dass der Milliardär George Soros die Demonstrationen organisiert habe und der Protest aus den USA großkapitalistisch gekauft und gesteuert sei, findet Wilhelm Droste absurd.
"Nur ein Blick auf die Menge reicht, um zu wissen, das sind keine Marionetten, das sind Leute, denen es um die lebendigsten Existenzinteressen geht."

Protest gegen Lohndumping per Gesetz

Der Ausgangspunkt des Protests sei diesmal kein kultureller – etwa wegen der Schließung einer Universität oder einer Zeitung – denn es gehe um die Verabschiedung eines Gesetzes, das vorsieht, dass Überstunden in einem expansiven Ausmaß legalisiert werden.
"Das bedeutet, Ungarn will sich als Investitionsland dadurch attraktiv machen, dass es die Löhne und Arbeitsrechte drückt. Noch schlimmer als es die Rumänen und Slowaken, die unmittelbaren Konkurrenten, tun."
Dadurch werde Ungarn heimlich zu einem Billiglohnland. Und das wolle sich der einfache und schlecht bezahlte Arbeiter nicht mehr bieten lassen.
"Das betrifft ganzgesellschaftlich jeden. Und das sind nicht nur Studenten, nicht nur Professoren, nicht nur Schriftsteller, nicht nur Künstler."

Demonstranten aus allen Teilen der Gesellschaft

Dass der Protest Orbán gefährden könnte, glaubt Droste nicht, dazu seien noch zu wenig Menschen auf der Straße. Dafür müsste noch zwanzig weitere Tage so protestiert werden und an jedem Tag müssten zehntausend Leute mehr kommen.
"Aber gefährden tut es ihn in jedem Fall. Es ist schön, dass das aus allen gesellschaftlichen Teilen kommt. Es sind durchaus auch die extrem Konservativen dabei, denn alle mögen diesen Orbán nicht. Diese bunte Menge macht das Ganze sehr, sehr kräftig."
Man wolle die versklavenden Lohngesetze unbedingt abschaffen und die Pressefreiheit reinstallieren.
"Das heißt, all diese Leute bekämen wieder Publikationsmöglichkeiten. Und es geht ja nicht nur um die Schreibenden, sondern auch die Künstler, um die Filme, die nicht mehr auftauchen in der Tagespresse, um die international bekannte ungarische Literatur, die in Ungarn nicht mehr auftaucht, weil sie wegzensiert wird."

Kulturkampf als Ablenkungsmanöver

Besonders sei, dass es diese Demonstrationen nicht nur vor dem Fernsehen in Budapest gegeben habe, sondern landesweit vor Einrichtungen der regierenden Fidesz-Partei. "Das ganze Land macht sich auf, und das ist ein Unterschied zu den Demonstrationen der letzten Jahre."
Die Entwicklungen der letzten acht Jahre sei eine einzige Katastrophe gewesen. Der "Kulturkampf" von dem in Ungarn gesprochen werde, sie im Grunde nur ein Ablenkungsmanöver.
"Das Skandalöse ist, die Reichtums-Umverteilung. Der Staat und die Regierungspartei bedient sich an den Steuern, am Staat. Ungarn hat in der Sozialstruktur fast so eine merkwürdige Struktur erlangt, wie in der Monarchie, wo ein paar Adlige fünf Achtel des ganzen Landes besaßen. Eine solche Geldaristokratie baut sich um die Fidesz-Leute neu auf."
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