Prostituierte in der Coronakrise

Am härtesten trifft es den Straßenstrich

05:32 Minuten
Blick in die leere Herbertstraße bei Nacht. Nur eine rote Laterne leuchtet in der dunklen Straße.
So leer ist es derzeit auf der Reeperbahn in der Herbertstraße. Sonst sitzen in den Fenstern oft Prostituierte. © imago / Manngold
Von Axel Schröder · 26.03.2020
Audio herunterladen
Wegen der Coronakrise ist auch in Hamburg zurzeit Prostitution untersagt. Sexarbeiterinnen, die ein Gewerbe angemeldet haben, dürfen auf staatliche Zuschüsse hoffen. Die Illegalen und Drogenabhängigen, die auf der Straße anschaffen gehen, aber nicht.
Erst hatte Josefa Nereus die Gedanken an das Coronavirus und die Folgen für ihren Beruf noch beiseitegeschoben. Dann aber, am Montag letzter Woche war ihr klar, was auf sie zukommt:
"Ich war vorher im Urlaub und es ging daran, Kundenanfragen, die E-Mails zu beantworten. Und dann fiel mir so auf: Meine Kunden gehören zur Risikogruppe, viele sind auch in dem Alter, wo die Gefahr größer ist, dass das nicht einfach nur eine leichte Erkältung ist."
Deshalb zweifelt die Hamburger Sexarbeiterin auch nicht am Sinn der Allgemeinverfügung, die alle Formen der Prostitution bis Ende April untersagt. Das Interview ist per Skype, per Videokonferenz möglich. Dass sie ihre Einnahmeausfälle nun aber durch erotische Live-Schalten mit Kunden kompensieren könnte, sei illusorisch, sagt Josefa Nereus:
"Ich kann es mir für mich tatsächlich nicht vorstellen, zum Beispiel nackt vor einer Webcam zu posieren. Das ist nicht die Art von Arbeit, die ich machen möchte. Obwohl ich Sexarbeiter bin und gerne mit Sexualität arbeite. Aber es ist ja was völlig anderes, wenn das tatsächlich auf Video gebannt wird."

Den Verdienstausfall korrekt beziffern – nur wie?

Josefa Nereus hat ihr Gewerbe angemeldet, sie ist selbständig und will versuchen, die von der Hamburger Wirtschaftsbehörde zugesagten Zuschüsse für Unternehmen und so genannte Soloselbständige zu bekommen. Auch ihre Berliner Kollegin Salomé Balthus, die als Escort arbeitet, hat das vor und fragt sich, wie sie die Verdienstausfälle nun den Ämtern gegenüber konkret beziffern soll.
"Jetzt der März ist der umsatzstärkste Monat und wir können schlecht erklären, welche spontanen Buchungen wir nicht hatten. Genauso wenig wie ein Buchhändler erklären kann, welche Bücher er vielleicht verkauft hätte in Zeiten der Buchmesse, die ausgefallen ist. Das kann man eben alles gar nicht wirklich beziffern."
Die beiden Frauen, Josefa Nereus wie Salomé Balthus, gehören dabei noch zu einer privilegierten Gruppe von Prostituierten. Beide gehen offen mit ihrem Beruf um, treten in Talkshows auf, sind organisiert im Bundesverband Sexarbeit.
Die Frauen, die in großen Bordellen arbeiten, können nicht darauf hoffen, von Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld zu profitieren, sagt Emilija Mitrovic, die sich bei der Gewerkschaft verdi um die Belange von Prostituierten kümmert.
"In der Regel arbeiten Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter frei. Und insofern fällt sowohl Kurzarbeitergeld wie auch Arbeitslosengeld weg. Kurzarbeitergeld auch deswegen, weil es in der Regel gar keinen Arbeitgeber in dem Sinne gibt."

Drogenprostituierten sind faktisch obdachlos

Schon deshalb müssten auch sie Zuschüsse aus dem Corona-Rettungsfonds bekommen. Aus der Hamburger Wirtschaftsbehörde heißt es dazu: selbständig arbeitende Prostituierte haben den gleichen Anspruch auf die Zahlungen wie alle anderen Freischaffenden. Ganz anders, viel härter trifft das coronabedingte Prostitutionsverbot die Frauen, die rund um den Hamburger Hansaplatz anschaffen gehen.

Sie verkaufen Sex, um ihre Drogensucht zu finanzieren, halten sich oft illegal in Deutschland auf und verstoßen auch ohne die neuen Restriktionen gegen das schon seit Jahren geltende so genannte Kontaktverbot. Die Anlaufstelle für diese Frauen, die Beratungsstelle "Ragazza" in Hamburg St. Georg wird von Gudrun Greb geleitet. Seit auch die Stundenhotels schließen mussten, sind die Drogenprostituierten faktisch obdachlos:
"Und jetzt haben die nirgends mehr eine Möglichkeit, irgendwo hinzugehen und sich auszuruhen und mit dieser Schließung der Steigen keine Möglichkeit der Quarantäne, keine Möglichkeit, zu sagen: ‚Ich bleib zuhause!‘ – es gibt kein Zuhause für die Frauen!"

Keine Chance, Geld zu verdienen

In der Hamburger Sozialbehörde ist das Problem bekannt. Zusammen mit den anderen Bundesländern sei ein Weg gefunden worden, der die Situation von drogenabhängigen Prostituierten verbessern soll, sagt Behördensprecher Martin Helferich. Die Betreiber der eigentlich geschlossenen Stundenhotels seien angeschrieben und um Hilfe gebeten worden.
"Wir haben die Betreiber in einem Schreiben darum gebeten, dass die Räumlichkeiten für die Unterkunft der dort tätigen Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter weiter zur Verfügung steht. Und wissen von etlichen Fällen, in denen das nun unentgeltlich zur Verfügung steht. Grundsätzlich ist das aber richtig: Es handelt sich um eine Situation, die noch nicht vollständig gelöst ist."
Die Frauen, die bei der Beratungsstelle Ragazza Hilfe suchen, haben von diesen Angeboten bislang noch nichts gehört. Auch Gudrun Greb weiß nichts von solchen Hilfen. Geld verdienen dürfen die Prostituierten in den Stundenhotels im Moment ohnehin nicht. Und dazu kommt, sagt Gudrun Greb, dass derzeit kaum Menschen in den Straßen unterwegs sind. Keine Chance für die Frauen, wenigstens um ein bisschen Kleingeld zu betteln.
Mehr zum Thema