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Terrorangst in Frankreich
Salman Rushdie: "Ich packe die Angst in eine Schachtel"

Die Terrorangst können viele Franzosen nur schwer aus ihrem Alltag verbannen. Um Jugendlichen zu helfen, besser damit umzugehen, hat sich der Autor Salman Rushdie in Paris einen Abend lang ihren Fragen gestellt. Die Angst sei ein Diktator, so Rushdie. Aber sie dürfe den Alltag nicht bestimmen.

Von Eberhard Spreng | 11.09.2016
    Der britische Autor Salman Rushdie
    Der britische Autor Salman Rushdie will jungen Franzosen helfen, mit ihrer Terrorangst umzugehen. (picture alliance / dpa / Foto: Helmut Fohringer)
    Die Welt ist aus den Angeln, ein Supersturm ist mit apokalyptischer Macht über die Erde gekommen. Plötzlich ist dann auch noch die Schwerkraft weg, wie Mr. Geronimo eines Morgens erschreckt feststellt. Unter die Menschen haben sich die Geister, die Dschinns gemischt und fechten einen fundamentalistischen Kampf der Giganten aus. Es ist der Streit des persischen Al-Ghazali mit dem aufgeklärten andalusischen Ibn-Rushd, auch Averroës genannt.
    In seinem letzten Roman hat Salman Rushdie die Konflikte der Gegenwart in ein wild fabulierendes Märchen verpackt. Es soll vor allem den jungen Franzosen, die sich im Saal des Théâtre de la Colline versammelt haben, Mut machen, die beängstigende französische Gegenwart besser zu bewältigen.
    Junges Publikum soll angesprochen werden
    Der neue Intendant des Hauses, der Kanado-Libanese Wajdi Mouawad will ein vor allem junges Publikum an das Haus binden. Drei von ihnen sitzen mit auf der Bühne, auf einem Sofa und lauschen den Lebensweisheiten des Schriftstellers, der mit charmanter Gelassenheit die Literatur als Ordnungsmacht gegen den Wirbel der Terrorwirklichkeit stellt. Auch indem er den im Roman angelegten Kampf der großen und wichtigen islamischen Denker Ibn-Rushd und Al-Ghazali philosophisch fundiert.
    Im Kern geht es um die Frage nach der Natur Gottes. Al-Ghazali denkt, dass Gott so groß ist, dass er den Gesetzen der Welt nicht unterworfen ist. Das Gegenargument sagt, dass Gott mit der Schaffung der Welt auch deren Regeln festgelegt hat. Auch Gott muss dann innerhalb dieser von ihm geschaffenen Regeln agieren. Was also ist die Natur des Allmächtigen? Findet er seine Grenzen in der Welt, die er schuf? Wenn ja, dann ist den Menschen vieles erlaubt: Logik, Vernunft, Wissenschaft, denn die Welt muss den von Gott geschaffenen Regeln folgen.
    Grundlinien eines fundamentalen Konflikts
    Unschwer lassen sich hier die Grundlinien eines fundamentalen Konflikts erkennen, der bis in die gegenwärtigen Kulturkämpfe zwischen einem fundamentalistischen Islam und einem rationalistischen Okzident hineinreicht. Dessen Reaktion auf die Herausforderung endet oft genug selbst in einer Flucht zurück in ein enges kulturelles Selbstbild, in eine rechte Politik der vermeintlichen Rückbesinnung auf eigene alte Werte.
    "Ich bin über die neue identitäre Politik besorgt. Denn es sieht so aus, als wolle sie uns auffordern, unser Sein immer enger zu fassen. Ich denke, dass ein Mensch immer vieles gleichzeitig ist. Unsere Identität verändert sich doch ständig in jeder neuen Situation. Das ist gut so, so ist das, wenn man ein Mensch ist. Und wenn man Identität in diesem weiten Sinne begreift, wird es leichter, Gemeinsamkeiten mit Anderen zu entdecken und ihnen zu vertrauen. Je enger man sich selbst sieht, umso unwahrscheinlicher wird dies und umso größer wird die Gefahr von Konflikten."
    Ganz unaufgeregt und mit einem stillen Vergnügen beantwortet Rushdie die Fragen des Theatermannes und Autors Wajdi Mouawad, der sich eigener Einschätzungen an diesem Abend enthält. Für Momente hat man den Eindruck, dass hier ein netter Onkel an all die Lebensweisheiten erinnert, die das Publikum im Wirbel der medialen Erregungen einfach vergessen hat.
    Jugendliche stellen Fragen
    Endlich dürfen dann auch noch die drei Jugendlichen Fragen stellen, die von Anfang an ebenfalls auf der Bühne Platz genommen hatten. Und die zielen auf das Gefühl der fundamentalen Verunsicherung, die u.a. die Anschläge in Frankreich in ihren Herzen ausgelöst haben.
    "In den Jahren, in denen ich selbst einer Bedrohung ausgesetzt war, habe ich verstanden, dass Angst ein Diktator ist, Angst ist ein Tyrann. Wenn man Angst hat, kann man nichts anderes mehr tun, als Angst zu haben. Die übernimmt dann die Herrschaft. Jeder Mensch muss lernen, zu akzeptieren, dass die Welt beängstigend ist. Und dass das wohl so bleiben wird. Aber das darf uns nicht davon abhalten, weiter zu leben. Ich habe gelernt, mental einen Trick anzuwenden: Ich packe die Angst in eine Schachtel und lege sie in eine Ecke des Zimmers."
    Am Ende des von Wajdi Mouawad äußerst pädagogisch konzipierten Abends bleibt ein, wenn nicht neuer, so doch heute angenehm optimistischer Gedanke: Die Literatur kann die Welt nicht verändern, aber die Leser und deren Fähigkeit, sich eine andere Welt vorzustellen.