Projekt "Ghettospuren"

Nachrichten aus Theresienstadt

Theresienstadt heute
Theresienstadt heute - doch die Gebäude bergen noch viele Geschichten aus der Zeit des Dritten Reichs. © imago / imagebroker
Von Ariane von Dewitz · 07.01.2015
Die deutsche Stadtplanerin Uta Fischer reist im Rahmen des Projekts "Ghettospuren" jede Woche nach Theresienstadt im heutigen Tschechien, um dort Überbleibsel aus der Ghettozeit zu finden und zu erforschen. Die Bewohner der Stadt sind davon nicht immer begeistert - erinnert Fischer sie doch an eine Geschichte, die sie lieber vergessen würden.
Uta Fischer spürt trotz Daunenjacke die feuchte Kälte, die ihr unaufhaltsam in die Knochen kriecht. Doch die Stadtplanerin aus Berlin ist zäh, sie will auch an diesem grauen Winter-Nachmittag wieder bis zum Einbruch der Dunkelheit auf unbeheizte Dachböden in Terezin steigen. Einmal wöchentlich reist die 40-Jährige, die sich seit ihrer Studienzeit mit dem alten Ghetto Theresienstadt befasst, an diesen Ort, um nach Spuren ehemaliger jüdischer Häftlinge zu suchen. Anders als die Gedenkstätte will Uta Fischer vor allem Privathäuser untersuchen – und so auch hier verhindern, dass durch Renovierung und Verwitterung letzte, wertvolle Zeugnisse aus der Ghettozeit verloren gehen.
Eines dieser Häuser gehört Jolana Tothová, einer jungen Tschechin, die momentan ihren Dachstuhl ausbaut – und bereits vor ein paar Wochen persönliche Dinge im Bauschutt gefunden hat, die von ehemaligen Häftlingen aus der NS-Zeit stammen müssen.
"... weil dort auch Fundstücke sind, die mit Namen versehen wurden, die also eindeutig der Ghetto-Zeit zuzuordnen sind. Und das habe ich jetzt auch schon ein bisschen recherchiert. Vor allem zu dem einen Namen - das ist Georg Mutolsky - würde ich jetzt gerne der Jolana schon ein paar Sachen erzählen – weil ich glaube, sie ist schon ganz gespannt zu hören, welches Schicksal oder welcher Mensch dahinter steckt."
Ein vergilbtes Kofferschild, mit schwarzer Tinte beschriftet
Inzwischen ist Uta Fischer an der Haustür von Jolana Tothovás altem Stadthaus angelangt, nach kurzer Begrüßung steigen sie gemeinsam mit einer Dolmetscherin die staubbedeckte Treppe zum Dachboden hinauf.
Uta Fischer hat ein vergilbtes Kofferschild in der Hand, auf dem mit schwarzer Tinte und in altmodischer Schrift der Name "Georg Motulsky" zu lesen ist.
"Die Motulsky-Familie, das ist also eine sehr große Familie gewesen, die stammt aus Sachsen, das waren Kaufleute, die in der Textilbranche tätig waren. Die ganze Familie war jüdisch, die sind dann verfolgt worden und Georg Motulsky kam dann über Umwege auch nach Theresienstadt, hierher. Und wurde dann 1944 nach Auschwitz deportiert. Und er gilt als verschollen. Also ich vermute, er ist dort vergast worden."
Uta Fischer blättert ein weiteres Papier aus ihrem Ordner hervor, erzählt weiter:
"Es gibt Angehörige – und zwar gibt es einen Bruder, der noch die Zeit genutzt hat, um in die USA zu emigrieren. Sein Name war Paul Motulsky. Und der hat zwei Kinder, Erich und Heinz. Und ich vermute, dass die Enkelkinder und weitere Verwandte in den USA ausfindig zu machen sind. Ja – und das machen wir jetzt?"
Reste eines "Kumbals" (Zimmerchen) auf einem Dachboden im heutigen Terezín / Theresienstadt. Die provisorischen Bretterwände ermöglichten ein Minimum an Privatsphäre. Im Getto galt das bereits als Privileg.
Reste eines "Kumbals" (Zimmerchen) auf einem Dachboden im heutigen Terezín / Theresienstadt. Die provisorischen Bretterwände ermöglichten ein Minimum an Privatsphäre - im Getto bereits ein Privileg.© WILDFISCH, Roland Wildberg, Uta Fischer
Jolana Tothová hat inzwischen ein verstaubtes Kästchen in Größe einer Walnuss hervor geholt, es liegt auf ihrer Handfläche. Daraus hervor lugt eine winzige, verblichene Papierrolle. Uta Fischer hatte von diesem Fund bereits gehört. Für sie ist das hier eine kleine Sensation.
"Das ist also eine Tefila, das ist ein Teil von den jüdischen Gebetsriemen, die man Tefillin nennt. Das tragen gläubige Juden zum Morgengebet, die legen das an Arm und Kopf an, binden das mit Lederriemen um – und man sagt: Das ist wirklich heilig. Also das ist wirklich ein besonderer Fund."
Die Funde der Forschung zur Verfügung stellen
Darum interessiert die deutsche Stadtplanerin nun vor allem eines: Was hat Jolana Tothová, selber studierte Historikerin, nun damit vor?
Die möchte den Fund erstmal einem Restaurator geben – und vor allem das Kästchen gerne in Terezin behalten. Uta Fischer zeigt Verständnis, äußert dann aber vorsichtig ihre eigenen Vorstellungen.
"Was natürlich wünschenswert wäre, wenn diese Tefila der Forschung international zur Verfügung gestellt wird. Und dass das wirklich bekannt wird und jeder, der sich damit befasst, die Möglichkeit hat, sich darüber zu informieren und Zugang zu bekommen."
Diplomatisch und geduldig muss Uta Fischer mit den Bewohnern in Terezín sein, das weiß sie genau – denn häufig haben die Hausbesitzer kein großes Interesse daran, mit den Funden aus ihren privaten Dachböden an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele hier wünschen sich, unbehelligt von den historischen Narben dieses Ortes ein normales Leben führen können. Jolana Tothova erklärt es so:
"Wissen Sie, wenn die Leute mitbekommen, dass ich in Theresienstadt wohne, dann fragt man mich oft: Wie können Sie da nur leben – an einem Ort, wo so viele Menschen gestorben sind? Wenn man so ein Dach renoviert, wollen viele gar nichts davon mitbekommen. Alleine, wenn man hier so einen Zettel findet, wo ein Namen drauf steht, rückt einem das alles viel näher, es wird personifiziert. In solchen Momenten muss man sich dann innerlich Abstand schaffen, anders geht es nicht."
Reste eines "Kumbals" (Zimmerchen) auf einem Dachboden im heutigen Terezín / Theresienstadt. Die provisorischen Bretterwände ermöglichten ein Minimum an Privatsphäre. Im Getto galt das bereits als Privileg.
Auch hier Reste eines "Kumbals" (Zimmerchen) auf einem Dachboden im heutigen Terezín / Theresienstadt. © WILDFISCH, Roland Wildberg, Uta Fischer
Einig sind sich die beiden Frauen vor allem in einer Sache: Viele Stadtbewohner sind schlicht mangels Aufklärung unsicher, wie sie mit unerwarteten Fundstücken aus der Ghetto-Zeit umgehen sollen. Auf deren historische Bedeutung für die Nachwelt will Uta Fischer sie noch in möglichst vielen Gesprächen hinweisen, die Gedenkstätte Theresienstadt hilft ihr zunehmend bei dieser Arbeit.
Doch gibt es noch ein größeres Problem als die historische Unkenntnis der Bewohner: Die Fördergelder der Kulturstiftung des Bundes sowie einiger anderer Vereine laufen im Mai diesen Jahres aus. Wie es dann für das Projekt "ghettospuren" und seine inzwischen mehr als fünfzehn Mitarbeiter weitergeht, weiß Uta Fischer noch nicht. Aufgeben kommt für sie jedenfalls nicht in Frage.
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