Programme gegen Lampenfieber

Suggerierte Spiellust und Spannungsabbau

Violine
Geige: Wer damit auftreten will, muss nicht nur spielen können, sondern auch starke Nerven haben - oder etwas für diese tun © picture alliance / Rolf Kremming
Von Karoline Knappe · 14.09.2016
Musik machen ist Hochleistungssport: Deswegen bieten die deutschen Hochschulen Mental- und Auftrittstraining an. Karoline Knappe hat einen Kurs an der Universität der Künste in Berlin besucht.
"Sie setzen sich gemütlich, wer es kann angelehnt, hin ..."
Universität der Künste Berlin. Eine Gruppe von etwa 15 Studierenden sitzt in einem lockeren Halbkreis um Dozentin Ulrike Feld zum Seminar Mental- und Auftrittstraining.
"Sie dürfen auch gerne ohne anlehnen gerade sitzen wie in der Meditation oder im Yoga, und Sie können die Augen schließen, die ersten gähnen schon, weil die Entspannung macht sich schon im Voraus bemerkbar, und es ist schön, wenn Sie jetzt in Ihrem eigenen Rhythmus auf zwei Zählzeiten einatmen und auf drei Zählzeiten wieder ausatmen. Und Ihr Fokus richtet sich nach innen und ich bin eine Weile still und Sie können ganz intensiv Ihre Bilder entwickeln, während Sie ruhig und regelmäßig atmen und einfach da sind."
Die meisten haben die Augen geschlossen und atmen ruhig.
"Bestandteil bei allen meinen Kursen ist die Atemübung, die Fünferatmung, weil ich festgestellt habe, dass mit dieser einfachen Atmung ne große Bandbreite von Selbstkontrolle für alle, die sie machen, möglich wird, und weil ich schon viel gute Rückmeldung über den Nutzen dieser Übung bekommen habe. Das gilt natürlich nicht für alle, aber jeder kann sich ja seine Methode aussuchen und aus dem Übungsfundus mitnehmen, was er oder sie braucht."

Musikphysiologie, Pilates-Kurs oder Mentaltraining

Das Seminar ist ein Angebot des Kurt-Singer-Instituts für Musikergesundheit. Die Studierenden wählen aus dem gesamten Angebot des Instituts zwei Kurse aus – und dabei ist es egal, ob sie sich für eine Vorlesung zu Musikphysiologie, für einen Pilates-Kurs oder für das Mental- und Auftrittstraining entscheiden.
In letzterem erarbeitet Ulrike Feld gemeinsam mit den Studierenden ein Programm, das den Studierenden helfen soll, sicherer mit Auftrittssituationen umzugehen. Dazu fragt Ulrike Feld gleich am Anfang nach Wünschen und Erwartungen, aber auch nach Unsicherheiten und Problemen.
"Ich bekomme meistens ziemlich offen gesagt, wo die Schwierigkeiten sind, also, dass man schon schlechte Erfahrungen gemacht hat, dass man noch die Aufnahmeprüfung im Magen liegen hat, dass man sich fürchtet, allein aufzutreten, aber es im Orchester völlig genießt und solche Dinge mehr."
Neben der Atemübung, die in jeder Sitzung geübt und vertieft wird, werden Strategien des mentalen Übens besprochen und Auftrittssituationen mit und ohne Instrument simuliert. Dazu kommt ein Kameratraining. Die Studierenden wählen ein Stück, das sie spielen wollen und Ulrike Feld filmt den Auftritt mit der Kamera.

Einen hilfreichen Satz immer wiederholen

Doch zuvor wird die Atemübung geübt. Heute geht es darum, während der Übung einen hilfreichen Satz mantraartig vor sich her zu sprechen.
"Was auf jeden Fall wichtig ist, ist, dass der Satz kurz und eindeutig ist. 'Ich habe Freude und Begeisterung.' So. Wichtig ist auch, dass man keine Verneinungen nimmt. Also nicht: Ich bin nicht unsicher und nicht ängstlich, sondern ich bin sicher und mutig. Das kapieren wir in so nem Zustand der Entspannung viel besser."
Und dann geht es richtig zur Sache. Ein junger Bratschist betritt die Bühne.
"Es war für mich 'ne sehr ungewohnte Situation, so ein Stück, das ist so unangenehm zu spielen mit so wenig Einspielzeit, und das ist dann am Ende vor allem was Psychologisches gewesen, dass das Vibrato nicht funktioniert hat, dass ich im Trio, in diesem langsameren Mittelteil nicht richtig hochgehoben hab' und dadurch das Ganze so'n bisschen geschliffen hat, die ich mir psychologisch eingeredet hab: Du bist nicht eingespielt, die Stelle kann nicht funktionieren, und dann hat's blockiert irgendwie. Aber ansonsten hat's auch zwischendurch n bisschen Spaß gemacht."
"Klingt, als wär's 'ne Strafe gewesen, so wie Sie's gerade berichtet haben. Wie ist es bei den Übrigen angekommen? So wie er gesagt hat? Überhaupt nicht? Okay, kleine Flüchtigkeiten, die Verschleifungen, klar, aber wie könnten wir beschreiben, was da war auf der Bühne bei Friedemann?"
"Also ich bin da absolut Laie, ich kann da jetzt auch gar nicht sagen, das war jetzt irgendwie hier technisch und so, aber das war eigentlich, und wahrscheinlich auch für jemanden, der sich damit auskennt, fast egal, weil Dein Ausdruck unglaublich intensiv war und sehr, sehr gestimmt hat. Und dann verzeiht man auch mal, wenn da mal irgendwas schleift oder so."

Sich der eigenen Bühnenwirkung bewusst sein

Je bewusster sich die Studierenden ihrer Bühnenwirkung sind, desto sicherer können sie auftreten. Zudem hilft die Atemübung dabei, Spannung abzubauen und sich gezielt positive Gefühle zu suggerieren.
"Also dieser Satz vorhin war eigentlich ganz gut: Ich freue mich drauf oder ich hab Lust zu spielen, das hab ich mir davor gesagt und das hat schon geholfen, so die Energie, die ich so habe, in einem extremen Maß dann umzuwandeln."
"Ich hab zwischendurch wirklich probiert, im Stück, mich an diesen Gedanken zu erinnern, den wir aufgeschrieben haben, und das hat erstaunlicherweise ziemlich gut geholfen."
Auch wenn es hilft: Ausreichend sei das Angebot nicht, findet Ulrike Feld.
"Es fehlt, dass ich nach einem Semester mitten im Prozess aufhören muss, mit den Studierenden zu arbeiten, und dass nicht alle den Prozess allein fortsetzen können. Dass wir also was anfangen, um zum Beispiel Angst zu bewältigen oder auch wirklich körperlich zu üben, und dann die Zeit vorbei ist."
Auch sei es schwierig, einen Rahmen für Einzelberatungen und -behandlungen anzubieten – zum Beispiel bei Auftrittsangst. Dennoch:
"Für die allermeisten gibt es Möglichkeiten, die Auftrittsangst so weit zu lindern, dass sie nicht mehr stört, dass sie nur noch wie ein normales Lampenfieber betrachtet werden kann, also dass man, was weiß ich, noch etwas Magenkribbeln hat oder nervös ist, und dieser Zustand ist auch sehr gut, weil der hilft, die Höchstleistung im Auftrittsfall gut abzurufen."
Und das ist schließlich das Ziel dieses Kurses.