Produktiver Hass auf die Bourgeoisie

07.06.2007
Joris-Karl Huysmans (1848-1907) schrieb mit "Gegen den Strich" die Lieblingslektüre aller Dandys und Lebemänner. In seinem Frühwerk "Trugbilder" zeigt er sich noch als naturalistisch geprägt: Detailgenaue Beschreibungen vom Elend einer Bohéme-Existenz zeigen die Kehrseite Paris' in der Belle Epoche.
Zu den großen Figuren der beginnenden Moderne gehört der hierzulande relativ unbekannte Erzähler Joris-Karl Huysmans (1848-1907), dessen unaussprechlicher Name sich durch die Abkunft von Flamen erklärt. Er ist allerdings eine durch und durch pariserische Erscheinung gewesen. Dort geboren, aufgewachsen, früh mit den Naturalisten um Zola in Berührung gekommen, dann zu den "Décadents" umgeschwenkt, war er sein Leben lang eine skurrile Type des Pariser Literaturbetriebs, viel verspottet, aber auch heiß bewundert.

Am Ende seiner literarischen Eskapaden in naturalistischen und symbolistischen Gefilden fand er in den Schoß der Mutter Kirche zurück, nicht ohne zuvor satanische Messen gefeiert und sich für okkulte Riten interessiert zu haben. Diverse Klosteraufenthalte schufen ihm aber auch nicht den erhofften Seelenfrieden, und so starb er denn vor ziemlich genau 100 Jahren in seiner kleinen Wohnung unweit vom Boulevard St. Germain, also in einer Gegend, wo sich die Hauptstadt Paris am hauptstädtischsten, am urbansten und belebtesten zeigt.

Huysmans ist vor allem mit seinem Dekadenz-Roman "Gegen den Strich" in die Annalen der Literaturgeschichte eingegangen. Als der 1884 erschien, machte er sofort Epoche. Oscar Wilde lässt ihn Leib- und Magenlektüre seines Dorian Gray werden, und alle Dandys, Lebemänner und Ästheten haben das Buch bisher auf ihrem Nachttisch liegen, sofern sie sich, was heute eben, anders als vor 120 Jahren, nicht mehr selbstverständlich ist, für Literatur interessieren.

Wenn jetzt aus Anlass des 100. Todestages auch der deutsche Buchmarkt des Joris-Karl Huysmans gedenkt, ist es klar, dass "Gegen den Strich" nicht fehlen darf. Es gibt eine Neuübersetzung des Erfolgstitels bei Zweitausendeins, unsinniger- und überflüssiger- und verwirrender Weise unter einem neuen Titel: Caroline Vollmann hat sich für den Namen "Gegen alle" entschieden, was denn doch einen Unterschied macht.

Hier soll es aber um ein anderes Buch von Huysmans gehen. Um ein Frühwerk, das noch ganz im Banne Zolas steht, aber doch die Obsessionen und Ticks des merkwürdigen Huysmans schon deutlich erkennen lässt. Es trägt im Französischen den Titel "En ménage", was soviel wie "Im Haushalt", "in den eigenen vier Wänden" heißt. Wiederum nicht ganz verständlich, hat sich der Verlag dieses Buches (dtv) für die Übersetzung "Trugbilder" entschieden.

"En ménage" ist natürlich ein typischer Naturalistentitel, ein bisschen nach Waschküche und Dienstmädchenkammer riechend. Das war damals Kult, heute lockt es niemanden hinter dem Ofen hervor. Dabei geht es genau darum: Um einen scheiternden Schriftsteller, der, nachdem er seine Frau beim Ehebruch ertappt hat, aus dem gemeinsamen Haushalt auszieht, und wieder wie ein Junggeselle (in dem entsprechenden Haushalt!) zu leben beginnt. Eine Haushälterin gehört auch dazu - sowie im Laufe des Romans diverse Mätressen, die wiederum den Single in ihre Haushalte einführen. Diese Haushalte, man könnte auch sagen: Lebensräume, Lebensformen werden alle mit der minutiösesten Genauigkeit geschildert und mit einem geradezu aberwitzigen Interesse am hässlichen Detail.

Ja, so gewöhnungsbedürftig es klingt: Der Roman badet, fast ist man versucht zu sagen: er suhlt sich in Hässlichkeit. Der ganze antibourgeoise Hass der bürgerlichen Epoche, dem auch Flaubert und Zola so heftig huldigten, ist in diesem Buch - überboten durch eine Ekel-Obsession des Autors, der hier bereits die Vorform jener Abscheu vor allem Weltlichen bekundet, der ihn zehn, 15 Jahre später in die Arme der katholischen Kirche zurücktreiben wird.

Dem Leser von heute verschafft das Buch allerdings die anschaulichsten Einblicke in die Glanz abgewandte Seite der Belle Epoque, die man sich denken kann. Ganze Stadtviertel von Paris, abseits seiner Vorzeigeviertel, werden lebendig. Das Leben und Arbeiten der Frauen aus dem Volke, die armselige Existenz einer alles andere als romantischen Künstler-Bohème (dem Schriftsteller ist ein Malerfreund beigegeben, der zum Zauderer den Draufgänger gesellt), schließlich die verlogenen Spießer-Idyllen der so genannten respektablen Leute: All das wird so lebendig und farbig beschrieben, dass man sich vor der Meisterschaft dieses Naturalisten nur verbeugen kann.

Mit Gesellschaftskritik hat das nur wenig zu tun, dafür ist es viel zu subjektiv, zu idiosynkratisch. Man muss das Buch einfach als Ergebnis eines produktiven Hasses auf alle und alles lesen - einschließlich der eigenen Leute, denn wie Huysmans seine beiden Künstler-Protagonisten, den Schriftsteller wie den Maler, zeichnet, wie er sie schließlich in einer Art Kapitulation vor allen ihren Künstler-Idealen in spießigen, dumpfen Ehe-Arrangements enden lässt (der Schriftsteller kehrt natürlich zu seiner Frau zurück): Das ist so voller Ingrimm geschrieben, dass man schon wieder erheitert wird. Ein sehr originelles, ungewöhnliches Buch also, brillant geschrieben, gerade weil es sich so intensiv der Kraft der Verneinung überlässt.

Rezensiert von Tilman Krause

Joris-Karl Huysmans: Trugbilder
Roman. Übersetzt von Caroline Vollmann
dtv, München 2007
336 Seiten, 9,50 Euro