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Bachelor vs. Diplom
Kehrt der Diplom-Ingenieur nach 20 Jahren zurück?

Ist in den Ingenieurswissenschaften die Rückkehr des Diploms sinnvoll? Während eines Modellversuches an der TU Ilmenau wählt die Hälfte der Studierenden den Diplomstudiengang. Manche sehen das flexiblere Studium als Vorteil, andere warnen vor strengen Prüfungsfristen und Anerkennungsschwierigkeiten.

Von Henry Bernhard | 24.06.2019
Inszeniert wie ein Kunstwerk: Der Verbrennungsmotor, von deutschen Ingenieuren wohlwollend begutachtet
Der Diplom-Ingenieur gilt immer noch als Marke in der Welt (Deutschlandradio / Marietta Schwarz)
Michelle Kuhaupt aus Nordhessen hat 2016 in Ilmenau ihr Studium des Maschinenbaus begonnen. Die Technische Universität bot damals den üblichen Bachelor/ Master-Studiengang an. Sie begann also mit dem Bachelor, hörte aber schon etwas von einem Diplomstudiengang, der irgendwann möglich wäre.

"Ich war zu diesem Infotag für Studienbeginn 2016. Und da hieß es, dass es mit dem Diplom noch nicht eingeführt würde, aber man könnte später eventuell wechseln."

Nach zwei Semestern war es soweit: Die TU Ilmenau hatte vom Erfurter Wissenschaftsministerium die Zusage erhalten, für drei Studiengänge – Maschinenbau, Elektrotechnik und Ingenieurinformatik – einen Modellversuch zu starten: 6 Jahre lang dürfen die neu Immatrikulierten wählen, ob sie einen Bachelor/Master-Studiengang absolvieren oder einen zehnsemestrigen Diplom-Studiengang belegen.
Junge Frau steht vor einer großen Lupe vorm Haupteingang der TU Ilmenau
Michelle Kuhaupt hat an der TU Ilmenau vom Bachelor und Masterstudiengang auf Diplom gewechselt (Deuschlandradio /Henry Bernhard)
"Für uns war das ein attraktives Angebot. Wir sind auch gewissermaßen Versuchskaninchen. Aber man hat mehr Freiheiten, man hat später eine sehr freie Gestaltung in seinem Studiengang, hat ein halbes Jahr Praktikum anstatt nur 16 Wochen. Und das schien mir ganz attraktiv."
Autor "Was sind das für Freiheiten, die Sie da mehr haben?"
"Man hat z.B. ein Nebenfach, wo man frei studieren kann, was man möchte. An einer deutschen Uni oder ausländischen Uni, wo man 30 Leistungspunkte für bekommt. Und man kann z.B. auch in die Theologie reinstudieren oder in andere Richtungen schauen."
Wahlmöglichkeiten im Bachelorstudium sind beschränkt
Theologie wird es bei ihr dann vermutlich nicht sein, sondern eher Medizintechnik. Ihr Kommilitone Robert Kräuter, der auch zum Diplom-Studiengang gewechselt ist, will im Nebenfach Energietechnik belegen. Auch für ihn war nach den ersten beiden Semestern klar, dass er auf Diplom weiterstudieren möchte.
"Na ja, im Bachelor/ Master ist es so: Man hat seine Module, die muss man abarbeiten; es gibt einen Wahlkatalog, aber der ist auch beschränkt. Von daher: Ja, es ist wie ein Stundenplan, was man normalerweise immer hätte, ein Semester folgt auf das Nächste, es ist eigentlich immer alles klar. Es ist tatsächlich etwas verschult, könnte man sagen. Da würde ich auch sagen, dass es im Diplom weniger der Fall ist, weil es z.B. mit dem angesprochenen Nebenfach schon die Möglichkeit gibt, da komplett auszubrechen, also sich nicht auf das Angebot der TU Ilmenau zu beschränken oder auf das Angebot von einem studiengangspezifischen Wahlkatalog."
Bologna-Reform gibt nicht die richtige Form vor
Der Modellversuch Diplomstudiengang in Ilmenau ist für Klaus Zimmermann, Vorsitzender der Studiengangkommission Maschinenbau, eine logische Folge aus den Erfahrungen nach der Bologna-Reform. Die gebe für mache Studienrichtungen nicht die richtige Form vor.
"Das Hauptdefizit in dem Bachelor/ Master-Modell ist dieser Bruch nach dem Bachelor. Vollkommen unnötig! Nach einer Zeit, wo das Studium – wie wir gesagt haben und auch die Studenten sagen – richtig anfängt, ist das Studium beendet. Mit dem Masterstudium geht ja etwas völlig Neues los, es startet bei Null! Es können keine Fächer übernommen werden und ähnliche Dinge. Die Idee von Bologna, glaube ich, war sehr vernünftig. Aber die Umsetzung … Im Bildungsbereich kann man nicht alle Dinge machen wie im Unternehmensbereich. Deswegen hat uns das eher eingeengt."
Das Bachelor/Master-System habe nicht mehr, sondern weniger Internationalität gebracht, so Zimmermann. Außerdem habe die Marke des deutschen Diplomingenieurs auch 20 Jahre nach dessen Abschaffung noch einen Ruf in der Welt, den man nicht ohne Not aufgeben solle. Etwa die Hälfte der neu Immatrikulierten entscheidet sich für das Bachelor/Master-Studium, die andere Hälfte geht den zehnsemestrigen Diplom-Studiengang an. Für den Rektor der TU Ilmenau, Peter Scharff, kann das auf Dauer nicht so bleiben. In vier Jahren endet der Modellversuch.
Möglichkeit in der Mitte des Diplomstudiums auszusteigen
"Die Entscheidung könnte sein, dass wir mit dem Diplom wieder aufhören. Hoffen wir nicht, aber könnte sein. Es könnte auch sein, dass wir sagen, 'Wir stellen die entsprechenden Bachelor/ Master-Studiengänge ein'. Theoretisch könnte auch sein, dass wir beides nebeneinander führen, was schwierig wird – einfach wegen der Ressourcen. Also, wenn sie nach einer Spekulation fragen: Ich denke, man wird sich entscheiden, die Diplom-Studiengänge beizubehalten. Man wird nach wie vor eine Möglichkeit vorsehen, nach ungefähr der Mitte des Studiums in einer Art Bachelor auszusteigen. So etwas könnte ich mir vorstellen."
Der Studierendenrat aber widerspricht vehement: Keinesfalls gäbe es im Diplom-Studiengang mehr Freiheiten; stattdessen strengere Prüfungsfristen und automatische Prüfungsanmeldungen. Die Anerkennung erbrachter Leistungen an anderen Hochschulen sei schwierig; die öffentliche Darstellung der Diplom-Studiengänge als "Elite-Studiengänge" werte andere Abschlüsse ab.
Michelle Kuhaupt dagegen kann nicht verstehen, wie man das Diplom schlecht finden kann. Aber andere sähen das anders.
"Aber das ist ja auch gut so. Und aktuell haben wir die gute Lage, dass man beides machen kann."