Pretty Woman mit einer Prise Sadomaso

09.07.2012
In den USA und Großbritannien 15 Millionen Mal verkauft, ist der Sadomaso-Roman "Shades of Grey" der Britin E.L. James nun auch auf Deutsch erschienen. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken vergleicht die Geschichte mit Groschenromanen.
Die Studentin Anastasia lernt den reichen, umwerfend attraktiven Unternehmer Christian Grey kennen, verfällt seinem männlichen Zauber ganz und gar, muss aber feststellen, dass ganz spezielle sexuelle Wünsche hegt: Er steht auf harten Sex, Bondage, Peitschen, und er führt Anastasia in eine dunkle erotische, für sie durchaus lustvolle Welt von Dominanz und Unterwerfung. Das ist im Kern die Handlung von "Shades of Grey", einem erotischen Roman der Britin E.L. James, der in der englischsprachigen Welt derzeit alle Verkaufsrekorde sprengt. 15 Millionen, vornehmlich Leserinnen, wollten dieses erotische Buch allein in den USA und Kanada lesen, es ist der spektakulärste literarische Erfolg seit Harry Potter.

Ein erotischer Roman, der sich zunächst nur als E-Book, in der elektronischen Fassung existierte, sich dann verbreitete wie ein Buschfeuer quer durch die angelsächsische Welt und jetzt alle Verkaufsrekorde schlägt.

Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken, die sich in ihren Schriften mehrfach mit Phonographie und Erotik beschäftigt hat, sortiert "Shades of Grey" eher in die Kategorie Bahnhofsliteratur ein. "Man sagt ja, dass Frauen diese Romane lesen und Männer das eher sehen wollen", sagt Vinken. Groschenromane seien auch sehr beliebt und hätten sehr hohe Auflagen.

Die Romanhandlung bezeichnet sie als "älteste aller Geschichten": Ein Prinz trifft auf ein Aschenputtel und sie verlieben sich. "Shades of Grey" sei eine Neuauflage dieses modernen Märchens mit sozialer Aufstiegsgeschichte, "Pretty Woman" nicht unähnlich - nur dass man hier mit einer Prise Sadomasochismus gefesselt werde.

Erotisch findet die Literaturwissenschaftlerin die Geschichte allerdings nicht: "Ich finde das fürchterlich schlecht geschrieben", sagt Vinken. Man könne das Buch nicht mit interessanten pornografischen Büchern wie "Die Geschichte der O." von Pauline Réage, in dem es auch um sadomasochistischen Sex geht, vergleichen. Die sexuelle Darstellung sei klischeehaft, "wahnsinnig repetitiv, man lacht eigentlich."

Vom feministischen Standpunkt aus gesehen empfindet Barbara Vinken "Shades of Grey" als reaktionär. Der Tabubruch sei keine sexuelle Befreiung. Vinken: "Der Erfolg des Buchs zeigt, wie verkrustet die Gesellschaft noch immer ist."

Das vollständige Gespräch mit Barbara Vinken können Sie bis mindestens 9. Dezember 2012 als MP3-Audio in unserem Audio-On-Demand-Player nachhören.

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