Pressefreiheit in Griechenland

Klagen, Zugangsverbote, Anzeigenboykott

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Costas Vaxevanis steht im Kreis griechischer Medienleute und wartet auf den Beginn seines Prozesses am 1. November 2012.
"Das wird so lange anhalten, bis wir dicht machen", sagt Kostas Vaxevanis. Hier wartet er im Kreis anderer Medienleute auf den Beginn eines Prozesses gegen ihn. © AFP / Louisa Gouliamaki
Von Panajotis Gavrilis · 14.10.2019
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Griechenland ist insgesamt kein Hort der Pressefreiheit. Aktuell kämpft die Wochenzeitung "Documento" ums Überleben, das Anzeigengeschäft ist eingebrochen. Herausgeber Kostas Vaxevanis erhebt schwere Vorwürfe gegen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis.
"Es gibt in Griechenland Pressefreiheit nur im Gesetz, auf dem Papier", sagt Kostas Vaxevanis. "Täglich wird die Presse bedroht."
Pressefreiheit in Griechenland – die gäbe es nur im Gesetz, auf dem Papier. Die Presse – sie werde bedroht, täglich. Das sagt Kostas Vaxevanis, Investigativ-Journalist und Herausgeber der griechischen Wochenzeitung "Documento".

Schwere Vorwürfe gegen neue Regierung

Video-Clips im Internet sollen in mehreren Sprachen – auch auf Deutsch – weltweit den Blick auf die Titelgeschichte lenken. Es geht um die eigene Existenz und um schwere Vorwürfe gegen die neue, konservative Regierung.
"In ihrem Titelthema hat sich die Zeitung 'Documento' an ihre Leserschaft gewandt und darüber informiert, dass der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis in persönlichen Telefonaten Unternehmer dazu aufgefordert hat, keine Werbeanzeigen mehr bei 'Documento' zu schalten." Einige Unternehmer hätten ihm das vertraulich erzählt, sagt Kostas Vaxevanis.
"Als wir wissen wollten, wie es zu dieser plötzlichen Abkehr gekommen ist, gab es anfangs sehr verhaltene Reaktionen", erzählt er. "Manche Anzeigenkunden mussten dann aber zugeben, dass ihr Rückzug nicht als Abneigung uns gegenüber verstanden werden sollte. Sondern: Sie hätten ein Problem, weil sie der Ministerpräsident selbst angerufen hatte und ihnen drohte, sollten sie 'Documento' weiter über Werbeanzeigen unterstützen."

Kritische Artikel über die Frau des Ministerpräsidenten

Der Grund für die angebliche Einmischung des griechischen Regierungschefs ist für Vaxevanis klar: kritische Artikel. Unter anderem über mögliche Offshore-Unternehmen der Ehefrau des Ministerpräsidenten, deren Name auch in den Paradise Papers auftauche, so Vaxevanis. Die Folge: weiße, leere Anzeigenseiten, seit mehreren Wochen.
"Ich glaube, das wird so lange anhalten, bis wir dicht machen", sagt er. "Es geht nicht darum, uns zu bestrafen. Das passiert, damit wir schließen. Wir sind die einzige Zeitung, die über die persönliche Rolle des Premiers berichtet und die seiner Familie im Zusammenhang mit Schwarzgeld und Offshore-Unternehmen. Das wird erst enden, wenn wir zum Schweigen gebracht werden."
Schweigen – das tut auch die griechische Regierung. Anfragen des Deutschlandradios zu den Vorwürfen blieben bisher unbeantwortet.

Existenzbedrohender Einbruch bei den Werbeanzeigen

Die Wochenzeitung '"Documento" kämpft indes um ihre Existenz, sagt Vaxevanis. Über 180.000 Euro fehlen bisher, denn die Werbeanzeigen machen den Großteil der Einnahmen aus, nur ein Drittel kommt über den Verkauf.
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis und seine Ehefrau Mareva Grabowski-Mitsotakis 2016 auf den Treppenstufen vor dem Akropolis Museum.
Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis und seine Ehefrau Mareva Grabowski-Mitsotakis © dpa / picture alliance / Pacific Press / Dimitrios Karvountzis
Der Enthüllungsjournalist Vaxevanis gilt in Griechenland als unbequem, vielen Politikern und Politikerinnen ist er ein Dorn im Auge. Seit Jahren berichtet er über Korruption, hatte unter anderem veröffentlicht, wer in Griechenland Konten in der Schweiz hatte, weshalb er verhaftet wurde. Rechtskräftig verurteilt wurde er aber noch nie, betont Vaxevanis.
Das Vorgehen gegen ihn und die mehr als 70 "Documento"-Journalistinnen und Journalisten überrascht ihn aber nicht.

Verleumdungsklagen statt Antworten

"Wir sind bereits mit über 80 Anzeigen von Politikern bombardiert worden", sagt Kostas Vaxevanis. "Anstelle, dass sie auf unsere Enthüllungen antworten, verklagen sie uns. Aus zwei Gründen: Um zu sagen, ich habe meinen Verleumder angezeigt, und um uns finanziell zu zerstören."
Laut Pressefreiheits-Rangliste der Organisation "Reporter ohne Grenzen" belegt Griechenland aktuell Platz 65 von 180 und schneidet EU-weit mit am schlechtesten ab. Das war vor einigen Jahren während der Krise noch schlimmer, sagt Giorgos Pleios, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Athen.
Zentrale Probleme aber bleiben: "Insgesamt haben wir aktuell fast alle Formen der Missachtung der Pressefreiheit im Land", sagt Giorgos Pleios. "Zugangsverbote, Festnahmen, Polizeigewahrsam, der Weg vors Gericht mit Klagen und vieles weitere."
Im Dezember des vergangenen Jahres zum Beispiel explodierte eine Autobombe vor dem Gebäude eines privaten TV-Kanals, 2013 schaltete die damalige Regierung den staatlichen Sender ERT über Nacht ab.
Unter der linken Syriza-Regierung wurden während der Räumung des Flüchtlingslagers Idomeni 2016 Journalistinnen und Journalisten ausgeschlossen. Je nach Regierungs- und Parteienkonstellation werden auch führende Posten beim Staatssender ERT besetzt.

"Weder staatliche noch private Medien unabhängig"

Hinzu kommen Massenentlassungen während der Krise und die Tatsache, dass einige Reeder, Fußball-Clubbesitzer und Großunternehmer die meisten Sender und Tageszeitungen des Landes besitzen.
"In Griechenland sind weder die staatlichen noch die privaten Medien unabhängig", sagt Giorgos Pleios. "Beide sind finanziell zu einem großen Teil von der politischen Macht abhängig. Und diese finanzielle Hilfe kommt über unterschiedliche Wege. Früher zum Beispiel wurden öffentliche Projekte an Firmen vergeben, die auch im Besitz der Medienunternehmer waren."
Ein weiteres Beispiel, wie Journalistinnen und Fotoreporter in ihrer Arbeit behindert werden, beschreibt der Fotograf Alexandros Stamatiou. Als er Ende September im Auftrag der Zeitung "Efimerida ton Syntakton" die Räumung einer von Geflüchteten genutzten leeren Schule dokumentieren wollte, wurde er von Polizisten abgeführt und aufs Polizeirevier gebracht.
"Danach haben sie mir Handschellen angelegt und mich woanders hingefahren, um mir für die Identifizierung Fingerabdrücke abzunehmen und Fotos von mir zu machen", erzählt Alexandros Stamatiou. "Sie haben mich fotografiert, so als wäre ich zur Fahndung ausgeschrieben, als sei ich ein Verbrecher oder sonst etwas."

Von Polizei an der Arbeit gehindert

Der Umgang der Polizei stellt für ihn eine klare Behinderung seiner Tätigkeit und somit auch der Pressefreiheit dar, sagt er.
"Ich habe die Polizisten gebeten, die Räumung fotografieren zu dürfen, und das wurde mir nicht gestattet. Ich durfte meine Arbeit nicht ausüben. Ich glaube, sie wollen möglicherweise eine Botschaft senden: Von hier an, egal was ihr macht, wir werden euch im Blick behalten. Und wir können euch festnehmen unter jeglichem Vorwand, so wie bei mir mit dem Hausfriedensbruch, das total absurd ist."
In einem Schnellverfahren wurde Stamatiou angeklagt. Der Vorwurf: Hausfriedensbruch. Das Urteil: Freispruch. Egal welche Partei gerade die Regierung stellt, sagt er nach den aufwühlenden vergangenen Wochen: Er will sich nicht einschüchtern lassen.
"Wir werden nichts als unsere Arbeit tun. Wenn die Polizei oder die Regierungen uns jedes Mal festnehmen wollen, dann sollen sie es tun, wir werden weiter fotografieren. So wie ich es in meinen bisherigen 33 Berufsjahren getan habe: Es wird uns niemand aufhalten."
Eine Entschuldigung seitens der Regierung oder der Polizei für ihr Verhalten? Das wäre das mindeste, sagt Stamatiou. Hat es aber nicht gegeben, so der Fotograf.
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