Pressefreiheit

Bedrohter Wächter

Vor der Redaktion vom Guardian in London
Englische Zeitung The Guardian: Das Blatt deckt auf und steht daher unter Beschuss. © picture alliance / dpa
Von Jochen Spengler · 05.05.2014
Die Enthüllungen von Edward Snowden machten die englische Zeitung The Guardian weltberühmt. Die journalistischen Glanztaten brachten aber auch Probleme, denn die Cameron-Regierung wehrte sich – teils mit rabiaten Methoden.
"Here now are the winners in journalism ..."
Am 15. April verkündete Sig Gissler, wer in diesem Jahr den Pulitzer Preis erhält, die weltweit renommierteste Auszeichnung im Journalismus.
"... the Guardian US and the Washington Post. Two prices in the public service categorie."
Guardian und Washington Post hätten sich um das öffentliche Wohl verdient gemacht durch ihre Berichterstattung über den Abhörskandal des amerikanischen Geheimdienstes NSA.
Die Regierung hält die Entlarvung der Spionagemethoden für unverantwortlich
"Das ist eine große Genugtuung, das ist ein Durchbruch, und natürlich ist das auch ein Preis, der seltener ist als viele andere Preise, die der Guardian schon öfter mal gewonnen hat."
Sagt Wolfgang Blau, Mitglied der Geschäftsführung und der Direktor für Digitalstrategie beim Guardian. Genugtuung und Durchbruch deswegen, weil der Guardian mit den Enthüllungen über Snowden in Großbritannien publizistisch fast allein auf weiter Flur stand und von der Politik in bis dahin kaum vorstellbarer Weise eingeschüchtert wurde.
Eine Aktion zwischen Stasi und Komödie
Samstag, 20. Juli 2013. Die Regierung macht ernst. In einem fensterlosen Betonraum im Keller des Guardian-Gebäudes müssen Journalisten mit der Schleifhexe mehrere Laptops zerschneiden auf denen die Snowden-Dokumente gespeichert sind – unter den wachsamen Augen und den Anweisungen von Ian und Chris – so jedenfalls nennen sich die zwei Aufpasser des britischen Geheimdienstes
"It's harder to smash up a computer than you might think."
Es ist schwieriger als man denkt, einen Computer zu zerstören, erzählt Chefredakteur Alan Rusbridger, als er im Dezember vor den Innenausschuss des Parlaments zitiert wird.
"Ich habe dem Kabinettssekretär von Premierminister Cameron, ganz klar gesagt, dass es anderswo Kopien gibt. Und dass die Vernichtung der Computer die Berichterstattung nicht stoppen wird; dass der Gedanke, damit würde nichts mehr veröffentlicht, einfach lächerlich ist. "
Doch die Regierung ihrer Majestät besteht auf der Zerstörung der Laptops, eine Aktion, die man irgendwo zwischen Stasi und Komödie ansiedeln muss. Und die eben völlig sinnlos ist, denn längst befinden sich die 60.000 Geheimdokumente Snowdens auch bei der Washington Post, der New York Times und in der US-Redaktion des Guardian. Im Parlament aber interpretiert Regierungschef David Cameron den Zwangsakt kühn als Beleg dafür, dass die Zeitung mit der Selbstzerstörung ihre Missetat eingeräumt habe.
650 Journalisten in London, den USA und Australien
"Wir haben uns dafür entschieden, mit der Presse zu reden und ihr klarzumachen, wie schädlich Dinge sein können, weswegen ja auch der Guardian tatsächlich einige der Informationen zerstört hat. Ich möchte keine einstweiligen Verfügungen, sondern halte es für besser, an das soziale Verantwortungsgefühl der Zeitungen zu appellieren. Und wenn sie das nicht zeigen, dann wird es für die Regierung sehr schwer, sich zurückzuhalten und nicht zu handeln."
Camerons unverhohlene Drohung, die Pressefreiheit einzuschränken, beschädigt die internationale Reputation des Landes. Aber sie liegt auf Parteilinie. Im Königreich fordern Konservative ein Verfahren gegen den Guardian. Das steht im krassen Gegensatz zu der weltweiten Anerkennung, die die Tageszeitung erfährt.
Dafür sorgen 650 Journalisten, die vor allem in London, aber auch den USA und Australien arbeiten. Professor Brian Cathcart, selbst früher Journalist und immer noch Kolumnist:
"Wenn Du etwas Falsches machst, dann ist der Guardian die britische Zeitung, die Du wahrscheinlich am meisten fürchten musst."
Der Guardian sieht seine Zukunft in der digitalen Entwicklung
Der Guardian, auf Deutsch: Beschützer, steht für einen meinungsstarken, linksliberalen Journalismus, der immer wieder auch investigativ vorgeht, erklärt Digitaldirektor Wolfgang Blau.
"Es gibt bei uns primär investigativ arbeitende Journalisten, die schreiben aber auch Reportagen über Themen, an denen nichts investigativ ist, sondern das sie einfach interessiert. Und was an Reporterlegenden wie David Leigh oder Nick Davies auffällig ist, ist dass man oft ein Jahr nichts von ihnen hört und plötzlich stehen sie mit einer Riesengeschichte in der Tür. Diese Freiheit jemanden einfach mal machen zu lassen... das erfordert natürlich Ressourcen, wie sie kleinere Häuser in der Regel nicht haben."
Dabei kann sich der Guardian allein durch die Zeitungsverkäufe nicht tragen. Er wird finanziert von der milliardenschweren Scott-Stiftung; frühere Eigentümer haben darin ihr Vermögen eingebracht, Nachfolger haben es durch geschickte Investitionen vermehrt. Einzige Stiftungs-Aufgabe ist es, die Existenz des Guardian in alle Ewigkeit sicherzustellen. Dieses einzigartige Modell sorgt dafür, dass die Zeitung nicht auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen ist, Gewinn zu machen, sondern sie kann Durststrecken und Existenzkrisen einigermaßen wegstecken.
Tatsächlich ist die gedruckte Auflage mit knapp 200.000 Exemplaren täglich eher bescheiden – ein Blick nach Deutschland zeigt, dass die Süddeutsche Zeitung jeden Tag doppelt soviel verkauft. Da ist es nicht verwunderlich, dass der Guardian seit Jahren rote Zahlen schreibt – zuletzt aber mit positivem Trend.
"Der Verlust im Geschäftsjahr, das im März 2012 zu Ende ging, waren 44 Millionen, das Geschäftsjahr, das im März 2013 zu Ende ging, waren 30 Millionen, und was ich sagen kann, ist, dass sich diese positive Entwicklung fortsetzt."
„Unsere Presselandschaft wird dominiert durch neun Männer."
Inzwischen aber, so glaubt der Direktor für Digitalstrategie, sei der Guardian trotz der Verluste auf gutem Weg. Dafür sorge vor allem, dass er sich nicht zuletzt der englischen Sprache wegen online als globale Marke etablieren konnte, die nicht mehr allein auf den britischen Markt angewiesen sei. Eigenen Angaben zufolge wird seine Webseite monatlich 90 Millionen mal angeklickt.
Damit ist der Guardian unter den sogenannten Zeitungswebsites die drittgrößte weltweit. Maßgeblich verantwortlich für den Erfolg im Netz sind neben den Investigativ-Reportern auch die Entwickler in der dritten Etage des modernen Neubaus nahe dem Bahnhof King's Cross. Wolfgang Blau kam vor einem Jahr von der Elbe an die Themse – er war Online-Chef der Wochenzeitung Die Zeit.
"Die dritte Etage des Guardian ist die, die mich aufgrund meiner früheren Besuche und auch heute noch ganz besonders beeindruckt. In Deutschland ist es eben doch so, dass wir aufgrund unserer kleineren Budgets in der Regel ein oder zwei Handvoll Software-Entwickler beschäftigen können, aber natürlich nicht ein Team wie es der Guardian beschäftigen kann von schätzungsweise 150 Entwicklerinnen und Entwicklern.
Das sind nicht nur software-Programmierer, sondern auch user-interface-Designer, Experten was usability-testing betrifft; wir haben auch unser eigenes UX-Lab, das heißt wir können Apps auch hier im Haus testen und Testkunden einladen und die beobachten. Das ist schon besonders, dass wie unsere sämtlichen Apps – Android, IOS und auch die Guardian-App, die hier sehr erfolgreich ist, alle hier im Haus permanent weiterentwickeln können."
Derzeit tüfteln die Entwickler an sich anpassenden Werbebannern, je nachdem ob die Inhalte nun am Computer, Smartphone oder Tablet gelesen werden. Besonderes Augenmerk legt der Guardian auch auf die Vermarktung. Alle Produkte – werden anders als in Deutschland üblich – selbst vertrieben. Zuständig ist die vierte Etage. Hier verkaufen 400 Mitarbeiter der Sales-Abteilung Anzeigen für die verschiedenen Plattformen an Kunden aus aller Welt. Nur so konnten die Erlöse aus der digitalen Werbung im vergangenen Geschäftsjahr auf 80 Millionen Euro steigen – ein Drittel mehr als im Vorjahr.
Allein mit dem heimischen Zeitungsmarkt sähe es aber düster aus für den Guardian. Der wird beherrscht von wenigen finanzstarken Gruppen, deren Produkte bis zu zehnmal höhere Auflagen erzielen.
Marktführer ist das Boulevardblatt Sun des Murdoch-Konzerns mit einer täglichen Auflage von mehr als zwei Millionen, gefolgt von der Daily Mail mit 1,7 Millionen; sie gehört zum Medienimperium des 4. Viscounts Rothermere. Auf Platz drei der Daily Mirror mit etwas unter einer Million Exemplaren, er wird vom Trinity Konzern herausgegeben. Abonnementzeitungen mit höherem Qualitätsanspruch haben deutlich niedrigere Auflagen: der Daily Telegraph kommt auf eine gute halbe Million, die Times auf knapp 400.000. Allen genannten Zeitungen und Verlagen gemein ist ihre rechts-konservative Ausrichtung. Der Journalistik-Professor Brian Cathcart fällt ein vernichtendes Urteil:
"Unsere Presselandschaft wird dominiert durch neun Männer hat mal jemand gesagt. Vielleicht sind es auch 20. Aber die sind es gewohnt in diesem Land eine Macht zu haben, die weder der Demokratie noch gutem Journalismus dienlich ist."
Forderung nach einer Presseaufsicht
Brian Cathcart spricht von einem rechten Kartell, das über unliebsame Themen einfach nicht berichte. Deswegen habe man die NSA und Snowden dem Guardian überlassen.
"Das sind zum überwiegenden Teil konservative Zeitungen. Die stehen auf der Seite des konservativen Teils der Regierung; sie hassen den Guardian, sie sind obrigkeitsgläubig und haben sehr wenig Bedenken wenn es um die nationale Sicherheitspolitik geht. Wenn der Premierminister die Nationale-Sicherheits-Karte ausspielt, werden diese Zeitungen sagen: das reicht uns, lass ihn all das tun, was er will – und sie kümmern sich nicht um die Folgen für Minderheiten."
Diesem pauschalen Urteil mag sich Wolfgang Blau vom Guardian so nicht anschließen. Er begrüßt die Polarisierung und Härte der Medien und verweist auf Produkte wie die Financial Times, den Economist, die BBC oder Reuters, die auch heute noch für den beispielhaft unbestechlichen britischen Journalismus stünden.
"Es ist natürlich unangenehm, so hart angegangen zu werden wie hier. Aber ich glaube der Journalismus profitiert davon. So gesehen finde ich das gar nicht so schlimm, dass mit so harten Bandagen gekämpft wird. Der Journalismus ist dadurch pointierter, wettbewerbsorientierter und das bringt bessere Journalisten hervor."
Dass der Guardian zum Hassobjekt der rechten Presse wurde, rührt daher, dass er es war, der den sogenannten Phonehacking-Skandal aufdeckte. Um an Sensationsgeschichten zu kommen, drangen Journalisten, vor allem die des Murdoch-Blatts News of the World, jahrelang in die Mailboxen von Prominenten, Politikern, Soldatenwitwen und Verbrechensopfern ein und hörten sie ab. Guardian Chefredakteur Alan Rusbridger:
"Die Bedeutung der Phonehacking-Story lag für mich darin, dass alle Kontrollinstanzen in Großbritannien – Polizei, Parlament, Presse, Presse-Selbstregulierer – weggesehen haben oder schlimmer noch: der Presseregulierer hat uns beschuldigt, nicht die News of the World. Und ich übertreibe nicht: ich sah die nackte Angst in den Augen jener Menschen, die ich in diese Geschichte einbeziehen wollte. Die wollten sich einfach nicht mit dem Murdoch-Konzern anlegen – ob Journalisten, Abgeordnete oder die Polizei."
Am Ende aber führt die Enthüllung des Skandals zur Einstellung des Murdoch-Blatts News of the World, zur Kündigung des Regierungssprechers, eines ehemaligen Murdoch-Chefredakteurs, zu Strafprozessen gegen ihn und andere und: zu einem Untersuchungsausschuss unter Lordrichter Brian Leveson, der ein Pressegesetz empfiehlt. Das Mutterland der Pressefreiheit kommt ohne aus seit der Abschaffung der Zensur im Jahre 1695; nirgendwo sonst auf der Welt ist die Presse freier.
Doch sie ist nach dem Urteil Levesons der damit einhergehenden Verantwortung nicht gerecht geworden. Die Selbstregulierung habe versagt, ein von den Verlagen unabhängiger Presserat sei notwendig. Erstmals sollten Rechte und Pflichten der Zeitungen, aber auch die Entschädigungs- und Gegendarstellungs-Ansprüche der Opfer falscher Berichterstattung per Gesetz geregelt werden.
Selbsthilfegruppe der Opfer der Boulevardpresse
Die Opfer der Boulevardpresse, unter anderem der Schauspieler Hugh Grant, fordern die Umsetzung der Leveson-Empfehlungen, gründen eine Selbsthilfegruppe namens Hacked Off und machen den Journalistik-Professor Brian Cathcart zu ihrem Geschäftsführer.
"Das Ziel von Hacked Off ist es zu gewährleisten, dass Großbritannien eine freie Presse hat, freien Journalismus, aber auch einen, der nicht Missbrauch treibt und völlig unschuldigen, normalen Menschen Leid zufügt, die nichts falsch gemacht haben."
Vor einem Jahr schon einigen sich die beiden Regierungsparteien, Konservative und Liberaldemokraten, sowie die oppositionelle Labourpartei im Parlament auf eine sogenannte Royal Charter, mit der Levesons Vorschläge umgesetzt und der unabhängige Presserat geschaffen werden soll. Doch das Kartell der Verlage und Zeitungen spielt auf Zeit und weigert sich bislang Charter und Presserat anzuerkennen. Es fürchtet die Entschädigungszahlungen und behauptet, die Pressefreiheit stehe auf dem Spiel. Brian Cathcart hält dagegen:
"Nein, ganz im Gegenteil. Gerade die Royal Charter erschwert es der Regierung, in die Presseregulierung einzugreifen. Sie erst sorgt für eine Barriere und den Schutz, um sicherzustellen, dass die Presse unabhängig von politischer Einmischung ist."
Zwar soll das Presserecht vor allem die Interessen der Opfer schützen – zugleich aber wären damit Drohungen und Einschüchterung der Politik, wie sie der Guardian im letzten Jahr wegen der Snowden-Berichte erfahren musste, künftig sehr viel weniger wahrscheinlich in Großbritannien.
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