Finanzpolitik

Die "nächste Kreditkanone" von Mario Draghi

Ein Archivfoto zeigt, wie sich das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main im Eurozeichen-Kunstwerk des Künstlers Otmar Hoerl spiegelt.
Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main im Eurozeichen © dpa picture alliance / Mauritz Antin
Lars Feld im Gespräch mit Korbian Frenzel · 11.06.2014
Dass EZB-Chef Mario Draghi weitere 400 Milliarden Euro in das europäische Bankensystem pumpen wird, sei bei einer Inflationsrate von 0,5 Prozent verständlich, meint Lars Feld, Leiter des Walter Eucken Instituts und einer der fünf Wirtschaftsweisen.
Korbinian Frenzel: Wenn die Ticketpreise für Belle and Sebastian bei der nächsten Tournee niedriger sein sollten als bei dieser, dann, ja dann hätten wir ein ganz praktisches Beispiel dafür, wovor sich Politiker und Zentralbanker in ganz Europa Sorgen machen: sinkende Preise, Deflation, also das Gegenteil von dem, was gerade wir Deutschen offenbar als Urangst in uns tragen, die Angst vor der Inflation, also der Tatsache, dass das Geld an Wert verliert.
Heute treffen sich relativ kurzfristig anberaumt zwei, die die Fäden in der Hand halten, was die ökonomischen Dinge in Europa angeht. Angela Merkel trifft sich mit Mario Draghi, dem Chef der Europäischen Zentralbank, und dass sie es tun, beweist wohl einmal mehr, dass die Lage kritisch ist. Das wäre zumindest eine Lesart, die unser Gesprächsgast möglicherweise teilt, möglicherweise auch nicht: Lars Feld, einer der fünf Wirtschaftsweisen, Professor in Freiburg. Erst mal einen schönen guten Morgen!
Lars Feld: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Muss uns das beunruhigen, dass Merkel und Draghi offenbar dringenden Gesprächsbedarf haben?
Feld: Nein, das ist ein ganz normaler Austauschprozess, in dem die Bundeskanzlerin sich sicher darüber informieren wird, warum die Europäische Zentralbank die Entscheidung in der letzten Woche getroffen hat, um sich in ihren eigenen wirtschaftspolitischen Entscheidungen darauf einzustellen.
"Die Maßnahmen sind zum Teil kosmetisch"
Frenzel: Bevor wir in diese Feinheiten einsteigen, dieser Beschlüsse, eine Frage stellt sich dem die Inflation fürchtenden deutschen Laien natürlich schon: Warum sind sinkende oder stagnierende Preise überhaupt ein Problem? An sich klingt das ja erst mal gut.
Feld: Nun, wenn die Preise auf breiter Front sinken, wir eine Deflation also haben, dann werden die Leute sich mit ihren Konsumentscheidungen zurückhalten. Sie hatten eben das Beispiel von Ticketpreisen. Wenn ich bei der nächsten Tournee erwarten darf, dass die Ticketpreise meiner Lieblingsband sinken, dann werde ich dieses Jahr eben nicht auf die Tournee gehen. Und das betrifft nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Investoren, sodass insgesamt das Wirtschaftswachstum negativ werden wird.
Frenzel: Sie haben die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank angesprochen, der Leitzins wurde gesenkt, Strafgebühren wurden eingeführt, wenn Banken dort Geld parken – das klingt alles ziemlich schlüssig, oder?
Feld: Na ja, also man muss sehen, erstens, dass wenn die EZB eine Zielgröße von knapp unter zwei Prozent für die Inflationsrate hat und im Euroraum die Inflation bei 0,5 Prozent liegt, die Zentralbank etwas tun muss. Sie muss schon etwas unternehmen, um eine höhere Inflation insgesamt hinzubekommen, um keine Gefahr der Deflation hervorzurufen. Auf der anderen Seite: Die Maßnahmen, die ergriffen worden sind, sind zum Teil kosmetisch. Also wenn man die Leitzinssenkung betrachtet oder den negativen Einlagenzins für Banken, muss man sagen, dass damit relativ wenig verursacht wird.
Frenzel: Warum?
Feld: Na ja, also ob Sie nun noch mal ein paar Pünktchen nach dem Komma niedrigere Zinsen haben, das wird die Investoren nicht anregen, mehr zu investieren, und es wird auch den Banken letztlich keinen Anreiz geben, mehr Geld auszuleihen, und das ist auch bei dem negativen Einlagenzins letztlich so. Wird der zu stark negativ, also würden wir bei minus 0,5 oder noch weiter darunter liegen, dann würden die Banken viel stärker Bargeld halten. Damit haben wir also auch keinen besonders starken Anreiz für die Banken, Geld auszuleihen.
Frenzel: Das heißt, Sie haben Zweifel, dass diese Maßnahmen letztendlich greifen. Was müsste denn dann stattdessen passieren?
Feld: Nun, die Maßnahme, die die EZB vergangene Woche beschlossen hat, die sicherlich mehr verursachen wird, mehr Effekt haben wird, das ist die nächste Kreditkanone, die Mario Draghi ausgepackt hat. Er will ja bis zu 400 Milliarden Euro in das europäische Bankensystem pumpen, allerdings im Unterschied zu den letzten großen Tendern, die er ausgegeben hat, mit Auflagen für die Banken: Sie sollen dieses Geld an die Unternehmen verleihen, und wenn sie das nachweisen können, dann müssen sie es eben nicht zurückzahlen.
Frenzel: Also das heißt, die große Geldkanone wird wieder rausgeholt.
Feld: Genau.
Mehr Kapitalismus wagen?
Frenzel: Muss Ihnen da nicht angst und bange werden, Sie gehören ja eher einer Wirtschaftsschule an, die sagt, hey, seid mal besser vorsichtig mit den großen Geldkanonen.
Feld: Ja, ich bin etwas vorsichtiger an dieser Stelle, denn das hat natürlich auch ein Problem. Wenn Sie sich jetzt vorstellen, heute geben die Banken kein Geld raus, weil die Investitionsprojekte, die man mit finanzieren könnte, es einfach nicht wert sind, weil das keine aussichtsreichen Projekte sind. Und dann kommt die Kreditkanone im nächsten Schritt, die Banken müssen nachweisen, dass sie das Geld an diese Unternehmen verliehen haben, dann finanziert man vielleicht Investitionsprojekte, die schnell in den Sand gesetzt werden, und man produziert damit gleich schon die nächste Krise. Dieses Problem hat man an der Stelle, aber wie gesagt, ich hab relativ viel Verständnis dafür, dass bei einer Inflationsrate von nur 0,5 Prozent die EZB etwas unternehmen muss.
Frenzel: Aber täuscht das vielleicht oder macht die Europäische Zentralbank mittlerweile die Wirtschaftspolitik in Europa?
Feld: Nun, das ist sicher bisschen mehr als die Hälfte der Geschichte, die wir im Moment in Europa sehen. Die Staats- und Regierungschefs haben zwar mit einer Reihe von Rettungsmaßnahmen ebenfalls viel getan, und man muss schon auch sehen, dass in der nationalen Verantwortung in vielen Problemländern durch Strukturreformen, durch Konsolidierungspolitik relativ viel getan wird. Aber der Zusammenhalt des Euro, der Zusammenhalt der Europäischen Währungsunion, der wird derzeit im Wesentlichen durch die Europäische Zentralbank garantiert.
Frenzel: Was müssten denn die Länder tun? Wenn ich das so aus den Zahlen heraushöre, klingt das so ein bisschen wie, mehr Kapitalismus wagen.
"Die Kanzlerin wird für die Politik der EZB werben müssen"
Feld: Wir sehen zumindest in einem Teil der Problemländer, dass die Reformen langsam greifen. Wenn Sie Spanien beispielsweise anschauen, da sieht man doch, dass dort die Trendwende erreicht ist, dass der Arbeitsmarkt mittlerweile reagiert, also die Arbeitslosigkeit beginnt langsam und leicht zurückzugehen. Man muss ja immer überlegen bei solchen Entwicklungen, dass Arbeitslosigkeit, so wie wir das sagen, ein nachlaufender Konjunkturindikator ist. Wenn also schon alles läuft, wenn die Aufträge eingehen, wenn die Industrieproduktion angesprungen ist, wenn das Wirtschaftswachstum positiv geworden ist, dann reagiert irgendwann die Arbeitslosigkeit. Und das sehen wir schon in Spanien, das ist ein gutes Zeichen. Ich hoffe schon, dass wir im Laufe des Jahres auch in dem ein oder anderen Problemland noch ein bisschen mehr sehen, dass sich Griechenland nun langsam auf ein Ende des wirtschaftlichen Rückgangs einstellen kann. Die Länder, die mir eben noch Sorgen machen, sind Italien und Frankreich, und wenn dort Reformen endlich umgesetzt werden, dann werden wir auch wieder Wirtschaftswachstum sehen.
Frenzel: Sie haben anfangs gesagt, Angela Merkel wird sich wahrscheinlich bei Mario Draghi über diese Maßnahmen informieren, das klingt recht neutral. Mal andersrum gefragt: Was wird denn Mario Draghi der Kanzlerin mitgeben oder mitgeben müssen als politischen Auftrag?
Feld: Na ja, einen Auftrag kann er ja nicht geben, die beiden ...
Frenzel: Einen Wunsch, nennen wir es einen Wunsch.
Feld: Die beiden sind so unabhängig voneinander, wie es nur gehen kann, also politisch unabhängig voneinander. Aber es ist natürlich wichtig im Hinblick auf die Entwicklung der Eurozone, zu sehen, welche Sorgen die Europäische Zentralbank hat, welche Hoffnungen sie verbindet mit diesen Maßnahmen. Die Kanzlerin wird ja an der ein oder anderen Stelle auch für die Politik der Europäischen Zentralbank in Deutschland werben müssen, damit die eurokritischen Parteien und Tendenzen, die wir in Deutschland haben, nicht noch weiter Auftrieb bekommen.
Frenzel: Sagt Lars Feld, Wirtschaftsweiser und Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg. Vielen Dank für das Gespräch!
Feld: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema