Premiere in Bonn

Kreuzzug des Lichts

Eine Mine im Kongo, in der unter anderem Coltan geschürft wird. Um diese Rohstoffe gibt es immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen in dem Land.
Wegen seiner Bodenschätze ist der Kongo seit dem 19. Jahrhundert ein begehrtes Land: Hier eine Mine, in der unter anderem Coltan geschürft wird. © JUNIOR D. KANNAH / AFP
Von Dorothea Marcus · 23.04.2015
Eine mystische Schifffahrt zum europäischen Abgrund im Kongo und ein komplexer, großartiger, wichtiger Abend: "Das Herz der Finsternis" nach Joseph Conrad am Theater Bonn, inszeniert von Jan-Christoph Gockel.
Im Kolonialklub langweilt man sich gerne gepflegt mit Hawaiihemd vor sich hin, Laura Sundermann ist die perfekte Patiencen legende Großbürgergattin. Sanft plätschert die Klaviermusik (Jacob Suske) im Hintergrund. Nur Schatzkiste und Totenkopf auf dem Tisch deuten an, dass das bei der von Jan-Christoph Gockel frei erfundenen Rahmenhandlung um jenes Verbrechen geht, das eines der schwersten Erben des aufgeklärten Europas ist: der Völkermord an 10 Millionen Kongolesen.
Ein harmlos-zynisches Bild. Es eröffnet den komplexen Abend über den Kolonialismus auf der Basis von Joseph Conrads schmalem Weltroman von 1899, der seine atemberaubende Aktualität und tiefe Wahrheit bis heute nicht eingebüßt hat. Alsbald wird dann auch Schauspieler Benjamin Grüter mit Rauschebart und Goldmantel als König Leopold II. ausstaffiert, das belgische Monster, der den Kongo 1895 zum Privatbesitz erklärte. Verwöhnte Kleinkind-Egos balgen sich um den riesigen Kuchen in Afrika-Form – was war die Kongo-Konferenz 1885 von Berlin, die den Grundstein legte für den euphemistisch "Wettlauf um Afrika" genannten Genozid, letztlich anderes als ein Kindergeburtstag.
Kolonialismus aus Langeweile
Die These, dass Europa die Katastrophe Kolonialismus aus reiner Langeweile begann, legt die pädagogisch-didaktische und zugleich zynische Bildungsfolie für alles, was folgt. Denn dann verwandeln sich die fünf Darsteller in Charles Marlowe, Conrads Alter Ego, und seine Reisegenossen auf dem Fluss Kongo auf der Suche nach Colonel Kurtz, jenem erfolgreichsten Elfenbeinhändler und Massenmörder, der im Sterben liegt und irgendwie aus dem Ruder gelaufen scheint, auch wenn er in Europa so ein allseits geschätzter und gebrauchter Zeitgenosse ist. Und dann geht sie los, die mystische Schifffahrt zum europäischen Abgrund: Hellgrüne Plastikfolie wird wellenartig bauschig über die Bühne geblasen, das Licht flackert dunkel, Dschungelgeräusche werden mit afrikanischen Instrumenten gemacht. Das schiefe zweistöckige Holzschiff scheint sich in Bewegung zu setzen, als Flagge trägt es gelben Stern auf blauem Grund: Gockel geht es vor allem um jenen von Europa geführten "Kreuzzug des Lichts", der bis heute so katastrophal nachwirkt.
Originaltext ist in da nicht mehr viel zu finden, das "Herz der Finsternis" wird mit Schauspielerdialogen, Filmausschnitten und Tagebuchtexten von Conrad versetzt. Doch die verstörendsten Stellen sind alle da: als Marlowe – Hajo Tuschy ist ein lakonisch-naiver Ich-Erzähler – im Kongo landet und die sterbenden Schwarzen sieht, sitzt der schwarze Schauspieler und Musiker Komi Togbonou zusammengesunken vor dem Schiff – um gleich darauf alle zu erschrecken und die Afrikareisenden zur Tanzparty aufzufordern.
Regisseur Gockel ist ein Meister der Atmosphären und Brüche. Togbonou ist es auch, der über Colonel Kurtz' wahre letzte Worte „Das Grauen, das Grauen" aufklärt. Er ist aber auch der Musiker des Abends sowie diverse Wasserleichen, das wandelnde Opfer – oder ein "whitegefaceter" Kolonialherr in Belgien-Uniform, der die hechelnden, bananenfressenden weißen "Äffchen" mit großen schwarzen Penissen und bunten Klischeemasken mühevoll erziehen muss ("Nein, nicht schon wieder trommeln, sonst muss ich schießen"). Souverän und effektvoll wird hier mit Opfer- und Täterrollen, schwarzen und weißen Zuschreibungen gespielt.
Söldner wie der Altnazi "Kongo-Müller"
Versetzt werden die Texte zudem mit Conrads eigenen Tagebuchaufzeichnungen, der, als er selbst im Kongo weilte, nur banale technische Aufzeichnungen der Schiffsfahrt machte – und erst acht Jahre später, krank und reiseunfähig, genug Distanz hatte, um seine visionäre Erzählung über das bösartige Tier Mensch zu schreiben. Und es werden schließlich Ausschnitte jener DEFA-Dokumentarfilme auf die Kajüte projiziert, in der Söldner wie der Altnazi "Kongo-Müller" ganz unverblümt von ihren Folterungen aus dem Kongo-Krieg von 1965 berichten und sich anschließend in den gerade gegründeten Goethe-Instituten bei Beethoven erholten – das koloniale Verbrechen hörte nach dem 1. Weltkrieg lange nicht auf. In der Bundesrepublik waren Filme wie "Kommando 52" verboten, in der DDR als Propaganda eingesetzt. Das wird an diesem Abend in Bonn vielleicht nicht klar genug gekennzeichnet.
Doch klar wird, wie sehr sich alle aktuellen Weltkatastrophen aus dem kolonialen Erbe nähren. Da braucht es Colonel Kurtz, der hinter orangen Kajütenlicht eine Leerstelle bleibt, nicht, Raubbau und Ausbeutung gehen auch ohne ihn weiter, das Elfenbein von damals ist das Coltan von heute. Zum Schluss wird das Schiff schiefgestellt zum kenternden Flüchtlingsboot − auch diese Katastrophe haben wir Europäer selbst zu verantworten. Mahnend steht Togbonou zum Schluss ganz allein auf dem Schiff − die Welt wird noch finsterer werden.
Informationen des Theaters Bonn zur Inszenierung von "Herz der Finsternis"
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