Preisverleihung mit Überraschungen

Von Julia Eikmann · 17.03.2011
Die Leipziger Buchmesse erreicht seit 2005 bereits an ihrem ersten Messetag einen Höhepunkt: Dann nämlich, wenn der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen wird. Die Auszeichnung wird in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung verliehen.
"Vielen Dank an die Jury, ja, ich zittere, ich bin aufgeregt"

Er hatte wohl am allerwenigsten damit gerechnet, dass er den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik gewinne würde: Clemens J. Setz. Und es war auch eine knappe Entscheidung, wie die Jury betonte. Dennoch: Sein Buch "Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes", ein Buch von täuschenden Nachbarn, Prügelorgien und verrückten Maschinen, lobten die Juroren für seine kühne Konstruktion und die Eigenwilligkeit der Sprache. Der Autor, so die Laudatorin Ingeborg Harms, agiere als Exorzist, als moderner Schamane, der die Schmutzarbeit des Zuende-Denkens übernimmt.

Der junge Österreicher Clemens J. Setz empfindet die Auszeichnung als Bestätigung:

"Eine wirklich großartige Bestätigung, dass ich mich Dinge trauen darf, ich darf ruhig Risiken eingehen. Das kann ja auch bestraft werden. Das Risiko ist, genau da, wo man das Gefühl hat: Das dürfte ich nie meinen Eltern vorlesen, da muss man dann weiter gehen."

Auch wenn Setz bereits früher für seine Arbeiten ausgezeichnet wurde, sein Roman "Die Frequenzen" war 2009 für den Deutschen Buchpreis nominiert: So früh hatten auch Kritiker kaum mit dem Buchpreis für 28-Jährigen gerechnet. Deutschlandradio Literaturexperte Denis Scheck:

"Setz ist ein Autor, der sicherlich noch nicht so fertig ist, wie man das vielleicht erwarten würde, von einem ganz zentralen Literaturpreis. Aber es ist ja nicht der Büchnerpreis. Und letztlich hat er mit den Frequenzen doch einen so beachtenswerten Roman geschrieben, dass ich doch sehr glücklich über diese mutige, kühne aber letztlich wagemutige Entscheidung bin. Ich hatte unmittelbar vor der Preisverleihung mit ihm gesprochen und gesagt, ich glaube Sie müssen jetzt noch ein paar Mal hier antreten. Aber dass es jetzt beim ersten Mal geklappt hat, freut mich dann doch."

Erfreut waren auch die Preisträger der beiden weiteren Kategorien des Leipziger Buchpreises. Barbara Conrad legte nach 50 Jahren eine neue Übersetzung von Lew Tolstois "Krieg und Frieden" vor. Besser als alle Vorgänger, lobte die Jury. Ein Diamant, der roh erscheint – und zwar deshalb, weil Tolstois Originaltext genau so knorrig ist, weil Tolstoi ihn genau so haben wollte.
Als bestes Sachbuch zeichnete die Jury Henning Ritters "Notizhefte" aus. Sie sind genau das, was der Titel sagt: Die Hefte, in denen der Schriftsteller und ehemalige Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" über Jahre Einfälle und Aphorismen sammelte. Eigentlich nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

Dass er für seine Notizen nun den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat, freut Henning Ritter weniger für sich als für das Genre:

""Das hat keine, kaum Parallelen, und das ist ein altmodisches, vergessenes Buchgenre, das man früher Common-Place-Books nannte, also die Sammlung von solchen Reflexionen oder auch nur Zitaten. Und dass dieser Buchtyp hier Anerkennung findet, freut mich natürlich."

Die Verleihung der Buchpreise mag für viele der Höhepunkt zumindest des heutigen Messetages gewesen sein. Andere hat sie überhaupt nicht interessiert.

Vor allem die vielen jungen Menschen haben sich lieber durch die Messehallen treiben lassen. Was sie hier her treibt?

"Schule!"

Ungezählte Schulklassen sind typisch für das Leipziger Buchmessetreiben. Und die bunten Tüten voll mit Give-aways, die sie über den Schultern tragen. Liz Jüngling vom Marie-Curie-Gymnasium in Bad Berghas bei Weimar ist mit ihrer Klasse um acht Uhr früh losgefahren, um pünktlich zum Messestart in Leipzig zu sein. Die 16-Jährige gewährt einen Blick in ihre Papiertüten:

"Also zum einen haben wir hier von Faust einen Kalender, und dann hab ich noch was für die Schule mitgenommen, zum einen für meine Seminarfacharbeit, und zwar machen wir da die Lesemethoden in der Grundschule. Und dann für den Chemielehrer ein Periodensystem und dann auch sehr viel politisches Zeug, sag ich mal, so von Geldpolitik und allem - und dann eben Tüten."

Während der Lesenachwuchs mit Postern und Heftchen noch sehr zufrieden scheint, machen sich Verleger, Händler und der Branchenverband auf der Buchmesse Gedanken, wie die Zukunft des Lesens aussehen wird. Dieses Jahr, da sind sie sich einig, wird das E-Book wirklich den Durchbruch erleben. Haben die digitalen Bücher im vergangenen Jahr nicht einmal ein Prozent zum Umsatz beigetragen, erwartet die Branche bis 2016 einen Marktanteil von 16 Prozent. Nicht zuletzt durch neue Lesegeräte wie das iPad. Das hat auch Auswirkungen auf das Berufsfeld rund ums Buch. Die Ausbildung zum Buchhändler beispielsweise wurde komplett umgebaut. Ab August sollen hier neue Inhalte vermittelt werden.

Monika Kolb-Klausch, Bildungsdirektorin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, geht von ganz neuen Anforderungen an Berufseinsteiger aus:

"Also, der Buchhändler muss natürlich immer noch große Liebe zu Büchern mitbringen, selbstverständlich, Ausrufezeichen! Aber, er muss eben auch eine ganz hohe Medienkompetenz mitbringen, dass er Lust hat, eben auch über Bücherrand hinaus Dinge zu gestalten, was Vermarktung angeht, was aber auch Formate angeht. Nicht nur Bücher zu verkaufen, sondern eben auch zu sagen: Du kannst bei uns E-Paper oder E-Books bekommen. Also, dieser Markt ist so in Bewegung, da sind so viele Chancen, da kann man eigentlich nur gewinnen, auch als kleiner Buchhändler."

Die Liebe zum Buch soll also ausgewalzt werden zu einer Liebe zu Medien jeglicher Couleur. Für einige Buchhändler bereits beruflicher Alltag. Christoph Paris etwa: Vor fünf Jahren hat er seine Ausbildung bei Ravensbuch absolviert, nach dem alten Muster. Jetzt arbeitet er für den gleichen Händler im Bereich neue Technologien, verkauft E-Books, pflegt die Webseite, betreut die Facebook-Community mit über 1000 Freunden und bringt Lesungen auf Youtube. Und das, obwohl viele befürchtet haben, die Digitalisierung der Bücher würde den Fachhandel überflüssig machen, globale Player wie Amazon den Buchladen an der Ecke ablösen.

Christoph Paris: "Das würde ich überhaupt nicht so sehen, einfach weil, natürlich gibt es diese Anbieter, natürlich werden sie einen gewissen Prozentsatz behalten und vielleicht auch ausbauen, aber es braucht die Emotionen, ich will doch auch Menschen treffen oder einfach als Treffpunkt, zum Wohlfühlen. Ich kann natürlich alles am Rechner machen, ohne mich jemals aus dem Haus zu bewegen, aber das ist doch kein Leben!"

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