Predigtpreis

Feuer und Leidenschaft für die Botschaft der Kirche

Regionalbischof Christian Stawenow spricht in Erfurt (Thüringen) die Predigt während des Kantatengottesdienstes im Augustinerkloster.
Manchmal vielleicht auch zu weit weg: Predigt im Erfurter Augustinerkloster © dpa/ picture-alliance/ Marc Tirl
Erik Flügge im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 22.11.2017
Der jährlich verliehene Predigtpreis ehrt Pfarrerinnen und Pfarrer, die dem Kirchenvolk eine besondere Rede gehalten haben. Das, meint der Kommunikationsberater Erik Flügge, passiert viel zu selten.
Liane von Billerbeck: Heute Vormittag wird in der Bonner Schlosskirche der diesjährige Predigtpreis verliehen, und wir wissen auch schon, an wen die Preise gehen, es sind nämlich zwei: Für die beste Predigt 2017 wird Pfarrer Thomas Muggli-Stokholm ausgezeichnet, und für die beste Traupredigt Pfarrvikarin Alexandra Pook.
Anlass für uns, darüber zu reden, was das eigentlich ist, eine gute Predigt – was macht sie aus, und warum gelingt es so selten, gut zu predigen? Erik Flügge ist mein Gesprächspartner. Er ist Politikberater, berät nicht nur Parteien im Wahlkampf, sondern auch Kirchen in ihrer Kommunikation, und im vorigen Jahr ist von ihm das Buch "Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt" erschienen. Jetzt ist der Mann klarer Worte am Telefon, leider mit nicht so guter Telefonqualität. Schönen guten Morgen, Erik Flügge!
Erik Flügge: Guten Morgen!
von Billerbeck: Dann stelle ich mal zuerst die sogenannte Balkonfrage: Was, bitte, macht eine gute Predigt aus?

Der Zuhörer entscheidet über die Qualität

Flügge: Ich glaube, das entscheidet sich am Ende im Adressaten. Diejenigen, die zuhören, müssen begeistert sein. Das ist natürlich von Kirche zu Kirche unterschiedlich, das ist von Publikum zu Publikum unterschiedlich, das macht es am Ende auch so schwer, einen solchen Preis zu vergeben, weil ich in genau diesem Moment eben die Kirchengemeinde nicht mehr vor mir habe, sondern eine Fachjury, ein Fachpublikum, das jetzt abstrakt eine solche Predigt beurteilen muss.
von Billerbeck: Das heißt also, Sie könnten gar nicht entscheiden, wenn Sie nur den Text sehen einer Predigt, Sie müssten diese Predigt auch hören?
Flügge: Ich finde es ziemlich logisch, zu sagen, dass jemand, der eine Predigt hält, Teil dieser Predigt ist, also dass es nicht nur um den Text allein geht. Aber natürlich kann man auch an dem Text bestimmte Dinge festmachen.

Überprüfung der eigenen Ethik

Ich glaube, dass eine Predigt dann gut ist, wenn sie eine Verbindung von mehreren Dimensionen gleichzeitig hinkriegt, wenn sie tatsächlich sich mit dem beschäftigt, was christlicher Glaube ist, dann mit Feuer und mit Leidenschaft diese Botschaft vorträgt und am Ende auslöst, dass mein Gegenüber entweder nachdenkt über die Sache, die ich zu sagen hatte, und damit seine eigene Ethik überprüft, oder vielleicht sogar diakonisch ins Wirken kommt, also rausgeht und Dinge für andere Menschen besser macht.
von Billerbeck: Sie haben zum Reformationstag vor Pfarrern in Gießen gesprochen und gesagt, ich will sie wieder hören, die Predigt, die den Raum erschüttert. Warum gibt es denn aus Ihrer Sicht zu wenig gute Predigten?
Erik Flügge - politischer Stratege mit eigenem Unternehmen
Kommunikationsexperte Flügge: An die Kraft der eigenen Worte glauben© Deutschlandradio/David Sievers, Squirrel & Nuts GmbH
Flügge: Ich glaube, was da de facto passiert, ist, dass eine Mutlosigkeit sich eingeschlichen hat, eine Mutlosigkeit, die sich vor allem in so einer inneren Entscheidung ausdrückt, dass die Leute selbst nicht glauben, dass ihre Predigten was bewirken.
Das ist das Häufigste, was mir Pfarrerinnen und Pfarrer sagen, dass sie Predigten halten, aber selbst gar nicht wissen, ob die eine Wirkung erzielen können. Und wenn ich selbst nicht glaube, dass mein Sprechen eine Wirkung erzielt, dann werde ich auch tatsächlich keinen Erfolg damit haben.
von Billerbeck: Machen sich die Pfarrer und Pastoren und Pastorinnen zu wenige Gedanken über den Ort und vor allem auch darüber, für wen sie eigentlich predigen?
Flügge: Ich glaube, dass man sich darüber tatsächlich zu viele Gedanken macht, also zu viele Gedanken darüber macht, an welchem Ort spreche ich, und dann will man eine besondere Würde aufbauen für den Kirchenraum, in dem man spricht. Und dass man schon zu sehr den Kompromiss mitdenkt, wenn man überlegt, wer sitzt denn in meiner Kirchengemeinde drin, und was kann ich den Leuten zumuten und was nicht.

Kompromisslose These erwünscht

Aber eine echte Rede zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch ignoriert, was man den Leuten zumuten kann, und kompromisslos eine bestimmte These vorbringt. Deswegen finde ich auch ganz spannend, dass im Zuge dieser Preisverleihung auch Norbert Lammert einen Sonderpreis für sein Lebenswerk bekommen wird. Und der hat das als Parlamentspräsident immer sehr deutlich hinbekommen, auch Texte zu sprechen, die seiner eigenen Fraktion nicht gefallen, einen Anspruch zu formulieren, für den er viel Lob und viel Zuspruch gefunden hat für das gesamte Parlament, aber natürlich auch, kritische Linien einzuziehen in Richtung Regierung.
von Billerbeck: Das heißt, eine Parlamentsrede von Lammert war auch eine Predigt?
Flügge: Wahrscheinlich war eine Parlamentsrede von Norbert Lammert die wesentlich bessere Predigt als das meiste, was in den Kirchen gesagt wird, weil er eine große philosophische, ethische Grundsatzrede hält, weil er gleichzeitig die Leviten liest, weil er kritischen Anspruch hat und sie mit Feuer und Leidenschaft vorträgt.
von Billerbeck: Müssen sich Predigten auch deshalb verändern weil sich die Kirchen verändern? Also wenn wir zum Beispiel in gewisse ostdeutsche Regionen schauen, die sind zwar voller Kirchen, aber ohne Kirchenmitglieder. Kann auch die Predigt, von einem oder einer charismatischen Pfarrerin gehalten, wieder Menschen in die Kirchen ziehen?

Einige Kirchen sind voller als andere

Flügge: Nachweislich ja. Es gibt Kirchen, die sind voller als andere, und das hängt auch mit denjenigen zusammen, die dort predigen. Und wir haben einzelne Figuren in Deutschland, zum Beispiel den Pfarrer Schießler in München, dessen Kirche ist proppenvoll.
Das heißt aber nicht, dass die Gesamtzahl derjenigen, die eine Predigt hören wollen, größer wird, sondern die Leute gehen dann halt von anderen Kirchengemeinden in die, wo sie gute Predigten hören. Das heißt nicht, dass wir deswegen die Kirchen voller bekommen. Aber die Kirchen, in denen gut gepredigt wird, sind voller.
von Billerbeck: Die Jury des diesjährigen Predigtpreises hebt ja hervor, dass die klare politische Predigt sich wieder in den Vordergrund gedrängt habe. Was können denn Politiker von guten Predigern lernen?
Flügge: Bin ich mir gar nicht so sicher, ob man da so viel voneinander lernen kann, und ehrlich gesagt bin ich auch verwundert über die Predigt, die nun den ersten Preis bekommen hat, weil die nun alles ist, aber nicht politisch, und zweitens tatsächlich meines Erachtens eine sehr starke Kunstform darstellt, bei der ich mich ernsthaft frage, wer das größere Publikum dafür sein soll.

Entfremdung von der akademischen Sprache

Ich glaube, das, was wir uns für Predigten gleichermaßen wie für die Politik anschauen können, ist, dass es zwischen akademischer Sprache und breiten Teilen der Bevölkerung eine Entfremdung gegeben hat.
Das merken wir ja auch an Wahlergebnissen für extreme Parteien am Rand, für eine Verrohung in der Sprache, die stattfindet. Die Leute suchen eigentlich wieder ein Zuhause in der Sprache von Politik und vielleicht auch in der Sprache von Kirche und kriegen das aktuell nicht angeboten, weil das alles so durchdacht, so akademisch, so schon im vorgängigen Kompromiss gefangen ist.
von Billerbeck: Der Politik- und Kommunikationsberater Erik Flügge über den Kern guter Predigten und den Abstand zwischen akademischer und Alltagssprache. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Flügge: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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