Prall-buntes Sittengemälde ohne Voyeurismus

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 18.05.2006
Tanja Kinkel versteht ihr Geschäft und beherrscht neben Fantasy-Literatur auch das Genre des historischen Romans bravourös. Dafür spricht ihr Erfolg von 5 Millionen verkauften Exemplaren. Auch ihr neues Buch "Venuswurf" spielt in historischen Gefilden und zeigt den Kampf zweier ungleicher Frauen im antiken Rom um Macht und Aufstiegschancen.
Das Buch ist das, was man als einen veritablen Schinken bezeichnet, 500 Seiten stark, voll praller Schilderungen des Lebens in einer fernen Zeit, in diesem Falle des Alten Rom, und doch nicht so entrückt, als dass sich nicht Bezüge zum Hier und Jetzt herstellen ließen. Tanja Kinkel, die bislang an die zehn Romane vorgelegt hat, die in den unterschiedlichsten Epochen spielen, versteht ihr Geschäft. Sie beherrscht die Genres Fantasy-Literatur und Zeitroman, ganz besonders geschickt aber spielt sie auf der Klaviatur des historischen Romans. Dafür spricht der phänomenale Erfolg von mehr als bislang 5 Millionen verkauften Exemplaren, die überdies in ein Dutzend Sprachen übersetzt wurden.

Da diese Art von Romanen bevorzugt von Frauen gelesen wird, wählt sie auch in "Venuswurf" zwei Protagonistinnen als Identifikationsfiguren, die unterschiedlicher nicht sein können. Die Zwergin Andromeda, die von ihren Eltern als Sklavin nach Rom verkauft wird und die schöne Julilla, Enkelin des Kaisers Augustus. Verbunden sind sie miteinander durch einen Wunsch, der beide gleichermaßen bestimmt: Beide, die rechtlose Sklavin und die selbstbewusste Herrin, werden endlich ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Sie werden die Gelegenheit für den Venuswurf beim Schopf ergreifen, jenen Moment, wenn man nicht nur beim Spiel alles gewinnen oder alles verlieren kann.

Zunächst lernt man die andere Seite der Ewigen Stadt kennen, die dampfende, stampfende Subura, wo mit allem gehandelt wird, was sich zu Geld machen lässt, mit Waren, exotischen Tieren und mit Menschen. Gladiatorenkämpfe, Bordelle, Garküchen, das Zeremoniell von Begräbnissen, Straßengaukler. Andromeda erlebt eine fremde Welt, in der untergeht, wer kein Ziel hat.

Anpassungsfähig und intelligent gleichermaßen gelingt es ihr, das Interesse der kaiserlichen Enkelin zu erwecken und zu einer bevorzugten Stellung in deren Haus aufzusteigen. Julilla, ihre anfängliche Gönnerin, verwandelt sich nach und nach in ihre Gegenspielerin, verfolgt sie doch ein ehrgeiziges Ziel: nämlich ihren Bruder durch eine geschickt eingefädelte Intrige an die Spitze der Macht zu bringen und somit ihre eigene Position, die bislang von der Angst vor dem Bannstrahl des Imperators, ihres Großvaters, bestimmt war, zu stabilisieren. Als Instrument ihrer Machtspiele soll Andromeda dienen.

Doch die hat unterdessen gelernt, dass nur überlebt, wer mit List das Kalkül der Reichen zum Schein bedient. Denn deren Welt, die des Luxus und der dekadenten Feste, ist nichts anderes als eine Welt der Lüge und der Manipulation, in der nur gewinnt, wer diese Waffen gleichfalls geschickt und am Ende mit größerer Raffinesse zu führen weiß.

Tanja Kinkel bedient nicht die üblichen Klischees, die gerne Sklaven als Geknechtete zeigen, die, vor allem so sie weiblich sind, geschlagen, ausgebeutet und sexuell missbraucht werden. Kein möglicher Voyeurismus wird bedient. Keine ausufernden Schilderungen von blutrünstigen Kämpfen im Circus Maximus, keine schlüpfrigen Details aus Hurenhäusern. Stattdessen anschauliche Szenen aus dem Alltag, den Geheimnissen der römischen Küche, dem Kunstmarkt, der Malerei und Poesie, Festen und Gastmählern, und natürlich spielt auch die Liebe eine Rolle.

Die Rahmenhandlung, auch mit politischen Ereignissen wie der Lex Julia, dem sittenstrengen Regiment des ersten Kaisers, ist historisch verbürgt, das Leben Andromedas und ihrer Gespielen hingegen frei erfunden.

Wie immer, so hat Tanja Kinkel auch für "Venuswurf" gewissenhaft recherchiert, sie kennt die Literatur der Zeit, Ovids Metamorphosen und seine "Ars amandi", Sueton, Plinius und Dio Cassius, auch hat sie sich bedient bei der Altertumswissenschaft sowie bei Biografien über Caesar, Augustus, Tiberius und bei Robert Graves Roman "Ich, Claudius, Kaiser und Gott." Dabei gelingt es ihr, das Alte Rom bilderreich und lebensnah wiederzuerwecken. Ein durchaus spannender, flüssig erzählter und überraschungsreicher Roman.

Wer gerne abtaucht in prall-bunte Sittengemälde, kommt hier auf seine Kosten, fühlt sich keinesfalls unter Niveau gut unterhalten und lernt obendrein neben dem Alltag im Schatten des Palatin so manches über die Innenansichten der menschlichen Seele, die immer schon ähnlichen Gesetzen folgte, heute ebenso wie im Augusteischen Zeitalter, das so golden gar nicht war.


Tanja Kinkel: Venuswurf
Knaur Verlag 2006,
494 Seiten, 19,90 Euro