Präsidentschaftswahl in Österreich

Ein schlechter Tag für die Hysterie

Der neue österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Anhängern in Wien
Der neue österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Anhängern in Wien © dpa / picture alliance / Christian Bruna
Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 04.12.2016
Alexander Van der Bellen wird neuer Bundespräsident in Österreich - der Rechtspopulist Nobert Hofer hat die Wahl verloren. Erfreulich für die Demokratie, sagt die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Und ein Beweis, dass der Populismus keinen langen Atem hat.
Die Österreicher haben dem Rechtspopulisten Norbert Hofer bei der Wahl um das Amt des Bundespräsidenten eine Absage erteilt. Nicht er, sondern der unabhängige Kandidat Alexander Van der Bellen wird als neues Staatsoberhaupt in die Wiener Hofburg einziehen. Viele sind darüber erleichtert - auch die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz.
Der Ausgang der Wahl zeige, dass es eben doch eine Möglichkeit gebe, sich vernünftig über Dinge zu unterhalten, sagt Streeruwitz im Deutschlandradio Kultur. Gleichzeitig habe der FPÖ wohl der lange Wahlkampf-Zeitraum geschadet. Hysterien können ja nur eine gewissen Zeit aufrecht erhalten bleiben - und dann brechen sie ein." Es sei erfreulich für die Demokratie, dass es nicht nur um "hechelndes Reden" gehe, "bei dem alle nur noch Gefühle haben und niemand mehr denkt".
Trotzdem müsse sich am Stil der politischen Auseinandersetzungen dringend etwas ändern, meint die Schriftstellerin. "Ich glaube, dass die ganze Sprachkultur der Politik - zumindest in Österreich jetzt mal - immer noch in den 50er Jahren stecken geblieben ist - und das wird es etwas sein, worum wir uns in den nächsten Jahren kümmern müssen. Dass es um eine demokratische Auseinandersetzung geht und auch darum geht, der anderen Person Wert entgegen zu bringen, würdig zu behandeln - und nicht einfach dieses aneinander herumstänkern und einander heruntermachen."

"So wird das Leben" - lesen Sie hier Marlene Streeruwitz Fortsetzungsroman zur Wahl in Österreich.


Das Interview im Wortlaut:
Eckhard Roelcke: Wir haben es in den Nachrichten gehört, die Österreicher haben Alexander Van der Bellen zum neuen Präsidenten gewählt, und zwar mit einem vergleichsweise eindeutigen Ergebnis. Vor der Wahl hatte keiner eine Prognose gewagt, oft lagen die Wahlforscher ja in letzter Zeit voll daneben. Über dieses Ergebnis möchte ich nun mit der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz sprechen. Sie hat die Wahl literarisch begleitet und einen Wahlkampfroman in Fortsetzung geschrieben: "So wird das Leben". Jede Woche hat sie auf ihrer Website eine neue Folge veröffentlicht. Ich erreiche Marlene Streeruwitz in New York, dort ist es jetzt später Nachmittag. Guten Tag!
Marlene Streeruwitz: Guten Tag, Herr Roelcke!
Roelcke: Sie haben gesagt, die Österreicher entscheiden mit der Wahl für oder gegen die Demokratie. Hatten Sie denn mit einem so klaren Votum für die Demokratie gerechnet?
Streeruwitz: Nein, natürlich hab ich das nicht, aber ich bin sehr glücklich darüber, und es stellt sich eine gewisse Ruhe ein, dass doch alles nicht so hysterisch gesehen werden muss, wie das in populistischen Wahlkämpfen ja dann immer entsteht. Es entsteht ja so eine Hysterie, in der alle gar nicht mehr denken können. Das ist mir jetzt auch passiert, aber Gott sei Dank, sind wir da jetzt heraus.
Roelcke: Wie erklären Sie sich denn diesen Ausgang, war denn die Aufklärung über die FPÖ, auch so erfolgreichen Aufklärung, an der Sie ja zum Beispiel publizistisch auch mitgewirkt haben?
Streeruwitz: Ja, das hoffe ich schon, dass das klar geworden ist, dass es wirklich darum geht, dass die FPÖ nicht auf dem Boden des vertragstheoretischen Modells der Demokratie steht, das heißt, alle Personen sind gleich und gleichberechtigt, sondern dass es eine Art Ständestaat sein soll, in dem Personen, die drei Generationen Österreicher, Österreicherinnen sind – also ich glaube, da muss man dann eigentlich sagen Österreicher, weil ja da nicht gegendert wird –, es würde eine ganz andere Kultur ausbrechen, dass die bevorzugt behandelt werden und dass alle anderen nachgereiht werden und dass es gar nicht mehr darum geht, dass alle gleich sind und dass die in dieser Konstruktion die Kernfamilie wieder im Mittelpunkt steht und da wird die Organisation rollenmäßig aufgeteilt, und für die Frauen hieße das, dass sie eigentlich nur dazu da sind, sehr viele weiße Babys zu bekommen.

"Hysterien können nur eine gewisse Zeit aufrecht erhalten werden"

Roelcke: Die Wahlbeteiligung lag mit 74 Prozent etwas höher sogar noch als im ersten Durchgang bei der Stichwahl im Mai, damals waren es 72,8 Prozent. 74 Prozent, das ist eine gute Wahlbeteiligung, eine hohe Wahlbeteiligung, auch das ein Erfolg.
Streeruwitz: Ja, das ist doch eigentlich auch irgendwie so ein Weg, der jetzt gegangen wurde. Wenn wir das anschauen, ist ja Hofer überall zurückgegangen, die Entscheidung für ihn ist überall zurückgegangen, das heißt, es gibt schon eine Möglichkeit, sich sehr vernünftig über Dinge zu unterhalten. Und ich glaube, dass der FPÖ der lange Zeitraum auch geschadet hat, weil Populismen eben dann einbrechen. Hysterien können ja nur eine gewisse aufrechterhalten bleiben, und dann brechen sie ein. Hier in Amerika macht ja Trump jetzt wieder Wahlkampf, damit er diese Hysterie wieder hochkriegt und diese Situation herstellt. Das ist eben da nicht gelungen, und das finde ich auch sehr erfreulich für die Demokratie, dass es eben nicht um so ein hässliches Reden geht, in dem alle nurmehr Gefühle haben und niemand mehr denkt.
Roelcke: Danach wollte ich natürlich fragen, nach den Parallelen vielleicht auch zum Wahlkampf in den USA, aber die Frage haben Sie eigentlich schon beantwortet. Es gibt durchaus Parallelen, nämlich irgendwie den Wunsch, so was immer am Köcheln zu halten, diese Aufregung.
Streeruwitz: Richtig. Es wird mit falschen Meldungen, die dann auch gleich zurückgenommen werden, es wird andauernde Spannung hergestellt, die auch in einer anderen Sprache gehalten, und jetzt, sagen wir mal, dann den vernünftigeren Teil einer Gesellschaft mit dem Ärger darüber oder mit der Trauer darüber beschäftigt hält und die anderen unterhält. Und das ist, glaube ich, die Lehre, die ich daraus ziehe, dass Unterhaltung eben doch nicht geduldet werden kann, sondern es muss strenger angegangen werden.

Sprachkultur in der Politik aus den 50er Jahren

Roelcke: In einem Interview mit der Zeitung "Standard" hatten Sie gesagt, es werde im Wahlkampf nicht argumentiert, sondern nur gestänkert, das galt, glaube ich, für beide Seiten.
Streeruwitz: Ich fürchte, das ist schon so, dass da gar nichts zu machen war, ich glaube aber, dass die ganze Sprachkultur der Politik – zumindest in Österreich jetzt mal – immer noch in den 50er-Jahren stecken geblieben ist, und das wird etwas sein, worum wir uns in den nächsten Jahren kümmern müssen, dass es um eine demokratische Auseinandersetzung geht und dass es auch darum geht, der anderen Person Wert entgegenzubringen, würdig zu behandeln und nicht einfach aneinander nur so herumstänkern und einander heruntermachen, sondern es geht schon darum, dass man einmal ordentlich miteinander redet und so die Politik betreibt.
Roelcke: Wie kann das gelingen?
Streeruwitz: Oh, ich denke, dass es schon gehen müsste, von meiner Seite aus. Erstens habe ich eine Art Think Tank gegründet, und zweitens gibt es sicher künstlerische Projekte, in denen – ich sag das jetzt absichtlich pathetisch – die Schönheit der Demokratie vorgeführt werden kann, welche Freiheiten gibt es wirklich, wie kann eine Person sich darauf zurückführen, wie kann das gehen. Das ist alles nicht gemacht worden, das haben wir alles unterlassen, da können wir viel nachholen, und ich glaube, dass das auch etwas bringen muss.
Roelcke: Über das Referendum in Italien können wir noch nicht sprechen, zu diesem Zeitpunkt sind wirkliche Ergebnisse noch nicht bekannt. Frau Streeruwitz, können denn die Europäer aus dieser Wahl jetzt in Österreich was lernen, die Niederländer zum Beispiel oder die Franzosen, die ja im kommenden Jahr wählen?
Streeruwitz: Nun, ich glaube, wir haben gelernt, dass es Zeit braucht. Das haben uns die Freiheitlichen möglich gemacht, indem sie diese Wahl angefochten haben und dafür jetzt teuer bezahlen. Ich glaube, dass es darum geht, eben diese emotionalen Spitzen abzubauen und eben miteinander zu reden, und ich glaube auch, dass es an Trump zu sehen ist, was es bedeutet. Weil es ist ja hier so, dass Personen, deren Interesse überhaupt nicht in die Richtung von Trump gehen, die ihn gewählt haben, also Personen, die jetzt Obama Care brauchen, haben ihn gewählt und werden jetzt das verlieren. Es werden Personen sterben, weil Trump gewählt worden ist. Und ich glaube, das ist etwas, was sich dann schon irgendwie verbreitet. Also das ist leider auch nur ein Gefühl wahrscheinlich, aber es ist gefährlich, sich in diese Richtungen zu begeben, und ich glaube, das könnte schon gelernt werden.

Völlig andere Art des Fiction

Roelcke: Ich hatte es schon erwähnt, Sie haben Woche für Woche einen Fortsetzungsroman veröffentlicht, der Titel "So wird das Leben", 18 Folgen waren das insgesamt. Haben Sie da jeweils auch auf aktuelle Entwicklungen reagiert, haben Sie die eingearbeitet, und wenn ja, mit welcher Idee?
Streeruwitz: Ja, es waren immer Vorfälle, die passiert sind, wie zum Beispiel eben, dass identitäre Gruppen einen Journalisten niedergeschlagen haben, dann kann ich das verwenden. Also ich darf da ja nur die Realität einbauen, das ist eine völlig andere Art des Fiction, aber das war immer das, was Sie in der Zeitung lesen können. Und das wird dann sofort auf diese kleine Gruppe, die hier ausgewählt ist, angewandt, und dann kann man darüber nachdenken, was es nun wirklich heißt. Aber diese eine Szene, die ich in einer Tiefgarage erlebt habe, wo dieser Mann gemeint hat, er könne nun gegen Frauen alle möglichen hässlichen Worte verwenden und würde nicht mehr verfolgt werden, also diese Freiheit der Verunglimpfung oder des Stärkeren und Schwächeren, das wieder gedacht werden konnte, das war da ganz wichtig. Und ich nehme an, dass wir jetzt aber auch irgendwohin zurückkehren können in eine Position, aus der heraus wir uns wiederum Würde verschaffen einfach. Das war jetzt einfach infrage gestellt.
Roelcke: Die große Politik also gespiegelt in dieser kleinen Gruppe, in diesen Bewohnern eines Hauses im Großen und Ganzen.
Streeruwitz: Richtig, ja, mit dem braunen Fleck an der Decke.
Roelcke: Kann man nachlesen im Internet. In New York ist es Nachmittag, für Sie ein freudiger Nachmittag.
Streeruwitz: Ja, das ist schon sehr nett. Ich bin sehr froh, dass es so ausgegangen ist und dass es in dieser ruhigen Vernunft endet und nicht in einer hysterischen Verwirrung.
Roelcke: Die Wahl in Österreich von New York aus betrachtet von der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Vielen Dank und einen schönen Gruß nach New York, danke schön!
Streeruwitz: Und schönen Gruß nach Berlin, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.