Präsidentschaftswahl

"Das algerische Volk ist einfach müde"

Der algerische Schriftsteller Yasmina Khadra, Oktober 2013 auf der Frankfurter Buchmesse
Der algerische Schriftsteller Yasmina Khadra: Der Prozess der Heilung in Algerien dauert einfach schon zu lange. © picture alliance / dpa
Yasmina Khadra im Gespräch mit Ulrike Timm · 17.04.2014
Die Menschen seien gelähmt von ihrer Angst vor Gewalt, sagt der Schriftsteller Yasmina Khadra über die Lage in seiner Heimat Algerien. So fehle es an Kräften, die das Regime um Präsident Abdelaziz Bouteflika verjagen könnten. Algerien sei ein Land, in dem nur noch Inkompetente etwas zu sagen hätten und das von einem kranken Präsidenten regiert werde.
Ulrike Timm: Es ist ein bisschen wie in Samuel Becketts „Endspiel, nur auf realpolitischer Bühne. Algeriens Präsident Bouteflika ist schwer krank. Nach einem Schlaganfall kann er nicht mehr stehen, er spricht nicht mehr öffentlich und unterschreibt ein Papier schon mal an falscher Stelle. Aber sehr wahrscheinlich wird er heute die Wahl gewinnen. Es wäre seine vierte Amtsperiode. Warum regiert in Algerien ein Gespenst? Was sagt das über Land und Leute und warum ist in Algerien der lähmende Status quo offenbar lieber als etwas Neues? – Darüber habe ich mit dem Schriftsteller Yasmina Khadra gesprochen. Er lebt in Paris. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien bei uns von ihm „Der Schreiber von Kolléa“. Khadra nennt das Buch den Roman seines Lebens. Und zum Roman seines eigenen Lebens gehört auch, dass er selbst gerne Präsidentschaftskandidat werden wollte. Warum, was er sich davon erhofft hat, darum ging es zunächst.
Yasmina Khadra: Aus dem ganz einfachen Grunde, weil ich nicht mehr möchte, dass man über Algerien so redet, wie Sie es gerade getan haben. Und ich bin wirklich der Meinung, dass Algerien ein Land ist, was wirklich von allen verlassen ist heutzutage, wo nur noch Inkompetente etwas zu sagen haben und das von einem Kranken regiert wird. Ich habe eine hohe Meinung von Herrn Bouteflika. Er hat sehr viel für Algerien getan und es tut mir wirklich leid, ihn in diesem Zustand zu sehen. Aber ich verstehe auch nicht, warum er an der Macht so festhält, wenn er sich nicht mal mehr an einem Stuhl festhalten kann, und ich finde das alles sehr, sehr bedauerlich und das stellt wirklich auch Fragen der Ethik.
Timm: Warum hat Ihre Kandidatur denn nicht geklappt?
Khadra: Ich wollte, wie gesagt, als Bürger und auch als Schriftsteller meines Landes mich engagieren. Ich wollte Dinge verändern, ich wollte auch andere Töne anschlagen. Nun ist meine Kandidatur nicht durchgekommen, weil wir sehr, sehr wenig Zeit hatten nur zur Vorbereitung und weil ich mir so ein wenig vorkam wie ein Staubkorn in einem Sturm. Ich bin als unabhängiger Kandidat auch in dem Nachteil, dass mich keine Partei unterstützt hat und dass ich nicht wirklich Leute hinter mir hatte, die mich stark unterstützen konnten. Ich scheue vor Problemen nicht wirklich zurück. Ich habe wirklich zehntausende Kilometer zurückgelegt. Ich habe mich mit sehr vielen Algeriern getroffen. Aber letztendlich haben sich die Leute nicht genug mobilisieren lassen und dadurch hat es nicht funktioniert.
"Die Algerier können sich einfach nicht realisieren als Volk"
Timm: Wenn Algerien, Herr Khadra, de facto nicht mehr von Bouteflika regiert wird, schon seit einiger Zeit nicht mehr, von wem dann?
Khadra: Ich glaube, das sind einfach Leute, die sich in der Umgebung des Präsidenten aufhalten. Das sind Leute, die ihm nahe stehen. Es sind aber auch die Reichen, die sich hinter anderen sozusagen verstecken und ihren Einfluss ausüben, und ich glaube, die Algerier können auf diese Art und Weise einfach sich nicht realisieren als Volk.
Es gibt so etwas wie eine unbekannte Hand, die Algerien leistet, aber wir sehen das nicht wirklich. Wir sehen wirklich praktisch wie in einer Wüste den Sand nicht mehr. Das habe ich auch in meinem neuen Buch beschrieben, das vor wenigen Wochen hier gerade erst in Frankreich erschienen ist. Auf Deutsch übersetzt würde das heißen: Was erwarten die Affen?
Das Problem liegt einfach darin, dass diese Regierung es verstanden hat, alles zu fälschen, Leute aus dem Land zu treiben und so zu tun, als seien sie die einzige Lösung des Problems, als hätte man gar keine Wahl. Dabei ist es diese Regierung, die das größte Problem darstellt.
Timm: Und warum ist dieses Land so mutlos, so gelähmt, dass es doch sehr wahrscheinlich wird, dass ein halbtoter Präsident, der zudem auch diktatorische Züge hat, dass der wiedergewählt wird?
Khadra: Nein, Bouteflika ist kein Diktator. Aber ich würde sagen, das algerische Volk ist einfach müde. Erst gab es diesen langen Befreiungskrieg, dann ist das Volk ein bisschen in alle Richtungen gestoßen worden und dann gab es diese fürchterliche Tragödie mit dem Terrorismus, was das Land wirklich ganz stark auch dezimiert hat, 15 Jahre lang, und wir befinden uns jetzt in einem Prozess der Heilung. Aber dieser Prozess dauert einfach zu lange. Ich würde nicht sagen, dass die Algerier Angst haben, aber ich würde sagen, das Volk weiß zurzeit nicht wirklich, was es will. Es ist einfach irgendwie noch überwältigt.
Der Präsident Bouteflika wollte mich einmal treffen. Das war 2007. Da hat er sich ein bisschen mir geöffnet und ich habe es so verstanden, dass er selber eine Geisel dieses Systems geworden ist, und das ist wirklich eine verbrecherische Organisation, die unglaublich gut organisiert ist und unglaublich gut funktioniert.
Timm: Monsieur Khadra, in Ihrem Buch „Der Schreiber von Kolléa“, das jetzt bei uns in Deutschland erschienen ist, da schreiben Sie von der Angst der Algerier vor Menschen mit Talenten, besonders vor Schriftstellern. Das ist ein bitteres Fazit. Warum sehen Sie das so?
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Eine algerische Frau vor Wahlplakaten: Sie zeigen den algerischen Politiker und ehemaligen Premierminister Ali Benflis.© picture alliance / dpa
"Seit fünf Jahren sind meine Bücher verboten"
Khadra: Nein, nicht das Volk hat Angst, sondern das Regime hat Angst. Es kann nichts mit Widersprüchen anfangen, es kann nichts mit freien Diskussionen anfangen und es hat überhaupt kein Talent zu argumentieren. Ich beispielsweise bin der Direktor des Algerischen Kulturzentrums und dennoch: Seit fünf Jahren sind meine Bücher verboten. Die Bücher, die von mir verfilmt worden sind, dürfen nicht in Algerien gedreht werden, und auch da gibt es ein Verbot. Ich darf an keinerlei kulturellen Ereignissen, die in Algerien stattfinden, teilnehmen. Das ist eine absolut paradoxale Situation, nicht wahr.
Timm: Auf dieses Paradoxon wollte ich gerne noch kommen, Herr Khadra, denn Sie leiten ja das Algerische Kulturinstitut in Paris und Sie sind eingesetzt von dem Präsidenten, der für die Lethargie in Algerien doch zumindest sehr stark mitverantwortlich ist. Wie erklären Sie sich da selbst Ihre eigene paradoxe Lage?
Khadra: Ja! Algerien ist das Land der Paradoxe. Ich stamme aus der Sahara und ich bin vielleicht ein gutgläubiger Mensch. Ich glaube an das, was man mir sagt. Und ich habe damals dem Präsidenten ein paar Bedingungen gestellt, die er auch wirklich akzeptiert hat. Ich war vielleicht ein wenig naiv. Ich dachte, er nähert sich den Intellektuellen und den Künstlern im Land wieder an. Aber das war letztendlich nicht der Fall. Vielleicht war das sein ursprünglicher Gedanke, vielleicht stand ein hehrer Gedanke dahinter, aber ich persönlich habe mich nicht verändert. Ich bin frei geblieben, frei in meinem Denken geblieben, und das gefällt dem Regime eben nicht.
Timm: Wir sprechen mit dem Schriftsteller Yasmina Khadra. Sein Name ist ein Pseudonym, zusammengesetzt aus den beiden Namen seiner Frau. Yasmina Khadras Leben ist selbst dramatisch eingewoben in die Geschichte seines Landes. Er war viele Jahre lang ranghoher Militär, er erlebte die Verfolgung durch Islamisten und Terror und Terrorismus ist für ihn in seinen Büchern auch immer wieder der rote Faden, das Thema, das sich bei Ihnen schriftstellerisch durch Ihre Romane zieht. Ist der Terror auch das, was Algerien bis heute vor allem prägt und auch für diese Lethargie mitverantwortlich ist im Land?
"Diese große Tragödie des Bürgerkrieges"
Khadra: Nun, das ist ein Land, das traumatisiert ist. Es hat wirklich diese große Tragödie des Bürgerkrieges gegeben und Algerien hat niemals gedacht, dass es eines Tages möglich ist, wenn Sie ihr Haus verlassen, dass Sie dort den Kopf des Nachbarn oder der Nachbarin einfach nur auf dem Straßenpflaster sehen. Diese Angst vor neuer Gewalt hat auch dazu geführt, dass es zurzeit keine Kraft gibt im Land, dieses Regime zu verjagen und an etwas Unbekanntes zu gehen, etwas Unbekanntes zu wagen. Aber man muss eben als Land und als Volk auch immer vorwärts gehen.
Timm: Monsieur Khadra, wenn die heutigen Wahlen in Algerien den Status quo wahrscheinlich nur zementieren können, was überhaupt könnte denn für Aufbruch sorgen?
Khadra: Nun, ich weiß es wirklich nicht. Das Problem ist einfach: Wir haben niemanden, der wirklich charismatisch ist, der einem Volk auch mal eine Richtung vorweisen kann. Ich habe eine wirklich sehr, sehr große Angst, und das ist der Grund, warum ich zurzeit wirklich überall im Fernsehen, im Radio auftrete und dem algerischen Volk sage: Bitte, bitte, keine Gewalt, geht wählen, wählt einen neuen Präsidenten, aber gebt euch nicht den Provokationen hin, weil das wäre fatal für Algerien, wenn jetzt noch einmal so eine Gewaltwelle ausbrechen würde!
Timm: Der seit langem in Frankreich lebende algerische Schriftsteller Yasmina Khadra schaute mit uns auf die Situation in seinem Land, wo heute gewählt wird. Das Buch, das zuletzt auf Deutsch von Yasmina Khadra in Deutschland erschienen ist, ist „Der Schreiber von Kolléa“. Und die Übersetzung des Gesprächs, die stammt von Jörg Taschmann. Wir bedanken uns auch bei ihm.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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