Künftiger Präsident der Ukraine?

Komiker Wolodymyr Selenskyj macht ernst

06:24 Minuten
Der ukrainische Komiker und Präsidentschaftskandidat Wolodymyr Selenskyj während eienr Fernsehshow.
Sein Vorteil: Jeder kennt ihn. Der ukrainische Komiker Wolodymyr Selenskyj. © picture alliance / dpa / Aleksandr Gusev
Von Florian Kellermann · 28.02.2019
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Rund 30 Prozent der Ukrainer würden Wolodymyr Selenskyj laut Umfragen am 31. März zum Präsidenten wählen. Damit führt der Komiker deutlich vor Amtsinhaber Poroschenko und Ex-Ministerpräsidentin Timoschenko. Ohne richtiges Programm, aber mit TV-Serie.
Wolodymyr Selenskyj steht an einem offenen Grab. Die Trauergemeinde, mit Sonnenbrille und Designerhut, wirkt wie eine große Mafia-Familie. Selenskyj hält eine doppelbödige Rede:
"Am besten sprechen seine Taten über ihn. Er hat sich 20 Millionen aus dem Staatshaushalt angeeignet. Wir können ihn noch nicht einmal einäschern, denn der Preis für Gas, den er ausgehandelt hat, ist zu hoch. Aber egal, wegen dieses Preises muss er ohnehin in der Hölle schmoren."
Auch wenn der Name nicht fällt: Jedem Ukrainer wird beim Anblick dieses TV-Sketches klar, dass hier der amtierende Präsident Petro Poroschenko beerdigt wird. Denn Selenskyj spielt auf Korruptionsskandale an, etwa um den illegalen Abbau von Bernstein. Und der Friedhof werde ohnehin bald einem riesigen Wohnblock weichen, sagt Selenskyj in seiner Rolle als Trauerredner. Baugrund ist in der ukrainisch Hauptstadt Kiew schließlich eine der Haupteinnahmequellen für korrupte Politiker.

Molotow-Cocktail in der etablierten politischen Szene

Satire als politische Waffe: Der 41-jährige Selenskyj hat den Wahlkampf in der Ukraine revolutioniert. Mit Erfolg, sagt der Politologe Wolodymyr Fesenko:
"Sein großes Plus ist, dass ihn praktisch jeder Ukrainer kennt. Das gilt sonst nur für die Spitzenpolitiker. Und dann profitiert er davon, dass die Leute den politischen Eliten sehr stark misstrauen. Er ist die personifizierte Protestwahl."
Ein anderer Beobachter bezeichnete Selenskij noch anschaulicher als Molotow-Cocktail, der mitten in die etablierte politische Szene fliegt.
Wolodymyr Selenskyj machte sich schon vor vielen Jahren als Komiker und Kabarettist einen Namen. Mit seinem Fernseh-Kabarett "Kwartal 95" feierte er auch in Russland Erfolge. Bemerkenswert, denn Selenskyj stammt aus der ukrainischen Provinz, aus der Industriestadt Krywyj Rih.
Sein Wechsel in die Politik kam allerdings nicht spontan, er war lange vorbereitet. Zwar kokettierte er noch, als er vor zwei Jahren bei seinem Haussender "1+1" erklärte:
"Wenn wir darüber ernsthaft sprechen wollen, über eine Kandidatur als Präsident, daran denke ich nicht, vorerst. Ich bin da, wo ich hingehöre und fühle mich pudelwohl. Ich fahre nicht zum Studium nach Amerika, wie man sieht."
Was er damit meinte: Er sei bodenständig, anders als Oligarchen, die in der Ukraine die Politik bestimmen – und die ihre Kinder sehr wohl in den USA auf die Schule schicken.
Zu jenem Zeitpunkt hatte Selenskyj allerdings längst eine Partei gegründet, ohne dass die Öffentlichkeit das bemerkt hätte. Heute, nach einer Namensänderung, heißt sie "Diener der Nation" – genauso wie seine Satire-Serie. Diese ist in der Ukraine schon seit 2015 zu sehen. In ihr spielt Selenskyj einen Geschichtslehrer, der – mehr oder weniger zufällig – Staatspräsident wird. Eine geniale Vorbereitung seiner Kandidatur, meint der Politologe Fesenko:
"So wird er schon lange auch als Kabarettist in einem politischen Kontext wahrgenommen. Die Legende, die er für sich geschaffen hat, kommt ihm jetzt zugute: Dass ein einfacher Bürger Präsident werden kann. Mit diesem Märchen wurde er identifiziert und jetzt können die Wähler es wahr werden lassen."

Selenskyj war im russischen Filmgeschäft tätig

Und so führt Selenskyj die Umfragen deutlich an, obwohl er zu seinem Programm bisher nur vage Andeutungen gemacht hat. Er wolle die Korruption bekämpfen und könne das auch, so Selenskyj. Denn als politischer Außenseiter schulde er niemandem etwas. Auch für den Krieg im Donezbecken habe er ein Rezept, sagte Selenskyj in seinem bisher einzigen ausführlichen Interview:
"Eine Gruppe von uns Ukrainern sollte sich mit denen im Kreml treffen. Schließlich haben die diese Volksrepubliken in der Ostukraine ins Leben gerufen. Putin würde ich fragen: Was wollen Sie, wieso lassen Sie uns nicht in Ruhe? Dann würde ich sagen, was wir wollen, und irgendwo in der Mitte würden wir uns treffen."
Reichlich naiv und gefährlich klinge das, werfen ihm Kritiker vor. Mit so einer Rhetorik spiele Selenskyj nur dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände, der die Ukraine durch den Krieg in der Ostukraine an sich binden will.
Zu einem Problem könnte für Selenskyj auch werden, dass er gelogen hat. Anders als von ihm behauptet, war er bis vor Kurzem noch im russischen Filmgeschäft als Investor tätig. Nachdem Journalisten das herausgefunden hatten, versprach er, seine Firmenanteile zu verkaufen.
Immer mehr Medienberichte weisen außerdem darauf hin, dass Selenskyj keineswegs so unabhängig ist, wie er vorgibt. Hinter ihm steht der Oligarch Ihor Kolomojskyj aus Dnipro, Eigentümer des Fernsehkanals "1+1".
Die Experten sind geteilter Meinung, ob Selenskyj wirklich Präsident werden kann. Der Politikwisschaftler Serhij Hadaj glaubt: Nein.
"Vor der Stichwahl geht es nicht mehr um die Bilder, die der Wahlkampf von den Kandidaten zeichnet. Es geht um sie als Person. Die Wähler nehmen die verbliebenen beiden Politiker unter die Lupe und wollen wissen, wer das ist. Selenskyj ist bisher fast nur über seinen witzigen Wahlkampf präsent. Vor der Stichwahl aber würden es ihm die Menschen wohl übel nehmen, wenn er sich etwa vor einer Fernsehdebatte drückt."
Aber es gibt auch Experten die meinen: Der Kabarettist werde an der Aufgabe wachsen.
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