Präsidentenstichwahl

Guatemala zwischen Hoffen und Bangen

Kinder und ihre Mütter vor der Kirche in Zacualpa
Kinder und ihre Mütter vor der Kirche in Zacualpa © Deutschlandradio/Isabella Kolar
Von Isabella Kolar · 21.10.2015
Vor der Präsidentenstichwahl in Guatemala ist die Bevölkerung gespalten. Die blutige Militärvergangenheit des Landes wirkt nach. Die, die Diktatur erlebt haben, misstrauen dem von militärischen Hardlinern unterstützten Kandidaten Jimmy Morales. Doch auch die Gegenkandidatin Sandra Torres stößt auf Skepsis. Ihr wird Korruption vorgeworfen.
Der rostbraune Hund, der aussieht wie ein scheuer Fuchs, verdrückt sich im Hinterhof. Der buntgefiederte Hahn, der aussieht wie ein Prachtzuchtexemplar auf Schönheitswettbewerb verdrückt gerade noch das Krähen. Es ist die frühe Stunde der Maismahlmaschine auf dem Hof des 54-jährigen Landwirts Jose Alberto Matthias im Dorf San Juan Bosco, knapp 100 Kilometer südöstlich von Guatemala-Stadt. Auch Jose hat am kommenden Sonntag die Wahl zwischen Sandra Torres, der Ex-Frau des Ex-Präsidenten Colom, und dem Fernsehkomiker Jimmy Morales. Für wen stimmt er?
"Ich werde Torres wählen. Für die Frau, wegen der Arbeit, die sie bisher geleistet hat. Und sie steht nicht unter dem Einfluß der Großgrundbesitzer. Hinter dem Jimmy Morales stehen 25 Millionäre und die würden das Sagen haben."
Der Landwirt Jose Alberto Matthias arbeitet an der Maismahlmaschine
Der Landwirt Jose Alberto Matthias arbeitet an der Maismahlmaschine© Deutschlandradio/Isabella Kolar
Sprung in den Nordwesten Guatemalas, ins Quiche, wo die indigene Maya-Bevölkerung in den 80er-Jahren unter der Militärdiktatur ein Martyrium sondergleichen erlebte und immer noch traumatisiert ist. William aus Zacualpa weiß davon, aber es war vor seiner Zeit. Der gutaussehende junge Mann steht selbstbewusst im blauen Jackett und flott frisiert in dem Pfarrhaus der Diözese. Er studiert auf Grundschullehrer und Erzieher, ist gerade 18 geworden, doch zum Wählen fehlen noch die nötigen Papiere. Wen würde er wählen?
"Jimmy, ich würde Jimmy Morales wählen. Mir gefällt seine Fernsehkarriere. Seine Serien, die Moral, die er da rüberbringt. Und ich habe nichts über ihn gehört, was uns später schaden könnte."
Und was erwartet er von einem guatemaltekischen Präsidenten Jimmy Morales?
"Ich erhoffe mir zumindest ein wenig mehr Unterstützung bei der Bildung. Ich habe den Eindruck, dass nicht genug auf die junge Generation geachtet wird, obwohl man doch immer sagt, dass sie die Zukunft des Landes sei. Deshalb sollte jeder Jugendliche ein Stipendium für seine Ausbildung bekommen. Denn das Bildungsniveau ganz allgemein ist bei uns im Durchschnitt nicht besonders hoch."
Zwischen dem Zacualpa von William und dem Hof von Jose liegt die Millionenmetropole Guatemala-Stadt. Hier lebt und arbeitet seit 20 Jahren der deutsche Menschenrechtsanwalt Michael Mörth, Typ nervöser Intellektueller. Sein Team hat 60 bis 70 Prozent aller Fälle aus der blutigen Militärvergangenheit des Landes verhandelt, 3000 Exhumierungen betreut. Michael Mörth ist auch Nebenkläger im Prozess gegen Ex-Machthaber und Ex-General Rios Montt, der im Mai 2013 wegen Völkermordes an den indigenen Mayas zu 80 Jahren Haft verurteilt wurde. Das Urteil wurde annulliert, Ende offen. Heute lächeln Morales und Torres dutzendfach von den Wahlplakaten auf Guatemalas Straßen. Wer sind sie?
"Natürlich, Sandra Torres hat eine andere Vergangenheit, Sandra Torres hat eine andere Verbindung zum Landesinneren, hat eine andere Verbindung zu der sozialen Realität dieses Landes, aber Sandra Torres hat eben eine Partei aufgebaut, zusammen mit Alvaro Colom, sie nennen sie sozialdemokratisch, aber diese Partei ist auf ganz klar korrupten Strukturen aufgebaut. Der andere, da gibt es eine ganz eindeutige Dominanz des Unternehmertums, der organisierten Unternehmerschaft und rechtsradikalen Strömungen, die ganz eindeutig da sind. Jimmy Morales hat mit einer Partei kandidiert, die völlig am Boden lag, die gegründet worden ist vom gesamten harten Flügel der Militärs."
Korrupt versus rechtsradikal - die 7,5 Millionen wahlberechtigen Gualtemateken haben an diesem Sonntag also die Qual zwischen Pest und Cholera. Und das, obwohl im April alles so verheißungsvoll begonnen hatte - mit zehntausenden Protestierenden auf den Straßen und als Ergebnis vier Monate später mit Präsident Otto Peres Molina plus Vizepräsidentin Baldetti im Gefängnis in Erwartung ihrer Korruptionsprozesse.
Neue politische Hoffnung
Zurück ins Quiche im Nordwesten. Fröhliche Marimba-Klänge und dazu der Gesang indigener Frauen in der San-Franziskus-Kirche von Zacualpa - Bischof Julio Cabrera, der hier gerade den Gottesdienst abhält, ist beliebt in der Region Quiche, wo er sich in den 90er-Jahren mit den nach dem Foltern und Morden der Militärs traumatisierten Menschen konfrontiert sah. "Tröste mein Volk" ist denn auch das Leitmotiv dieses volksnahen 75-jährigen, der jede Ecke des Quiche persönlich bereist hat. Einer wie er, der die Militärdiktatur und ihre Folgen unmittelbar miterlebt hat, findet deutliche Worte zum Präsidentschaftskandidaten Jimmy Morales:
"Natürlich finde ich Jimmy Morales überhaupt nicht geeignet. Weil Jimmy Morales die Hardliner unter den Militärs an seiner Seite hat. Der größte Teil der Stimmen, die er in der ersten Runde bekommen hat, stammen von Militärangehörigen, die immer noch organisiert sind und unter militärischem Befehl stehen. Und er selber sagt ja auch, dass er keine großen Lichter für die Regierungsführung in Guatemala hat, aber dafür sehr gute Berater hat, das ist ja klar, denn es sind eben diese Militärs."
Trotzdem glaubt Bischof Julio Cabrera nicht an eine Wiederholung der grausamen Geschichte. Die guatemaltekische Gesellschaft, die Jugend sei in diesem Frühjahr aufgewacht:
"Ich bin erst einmal sehr glücklich über das, was in unserem Land von April bis Ende August dieses Jahres passiert ist. Wir erleben gerade einen Moment großer politischer Hoffnung für Guatemala. Wir hoffen, dass die jungen Leute, die im Moment sehr aktiv sind und das Volk, das sehr wachsam ist, alles dafür tun werden, dass die Korruption endlich ausgemerzt und die Justiz nicht mehr für politische Zwecke missbraucht wird, so dass wir zukünftig Regierungen haben werden, die nicht stehlen und sich selbst bereichern, sondern Antworten auf die großen Probleme des Volkes finden."
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