Präsident ohne Visionen

Vorgestellt von Isabella Kolar · 18.03.2007
Bundespräsident Horst Köhler ist zwar bei der Bevölkerung sehr beliebt, doch sein Einfluss auf die Tagespolitik bleibt schwach, meint Biograph Gerd Langguth. Köhler habe seine Ankündigung, etwas bewegen zu wollen, noch nicht einlösen können. Langguths Urteil: Der Bundespräsident wirkt wie ein Technokrat ohne eigene Visionen.
"Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm abwenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So war mir Gott helfe."

Horst Köhler schwört am 1. Juli 2004 den Amtseid im Bundestag. Ein unbequemer Präsident will er sein und die Umfragen belohnen ihn bis heute dafür, doch die politische Klasse goutiert seine wohlmeinenden Ratschläge nicht. Sein Biograph Gerd Langguth:

"Die Einmischung, die er ins Tagesgeschäft vornimmt, die unterscheidet ihn in der Tat von anderen Vorgängern, die er hatte. Das ist tatsächlich eine Einmischung in die Tagespolitik, die ich ihm so nicht raten würde. Er tut besser daran, wenn er sich über die direkten tagespolitischen Fragen mehr mit den Grundsatzfragen der Politik beschäftigt. Aber er ist ein Mann, der will unbequem sein und das macht auch das aus, was sein Charakter ist. Er sagt sich, so ein Stück weit protestantisch: hier steh ich und kann nicht anders und ich will ein guter Präsident sein und ich will selbst wenn alles über mir zusammenbricht meine Meinung sagen und das find ich, das verdient natürlich auch ein Stück weit Respekt."

Respekt auch für einen, der sich als siebtes von acht Flüchtlingskindern einer armen Bauern- und Arbeiterfamilie bis ins Schloss Bellevue nach oben arbeitet. Als Kind umgesiedelter Bessarabiendeutscher 1943 in Polen geboren, dann Umzug in die noch junge DDR und ab 1953 Heimat-Finden im schwäbischen Ludwigsburg. Nach dem Abitur 1963 zwei Jahre Zeitsoldat, Studium der Wirtschaftswissenschaften in Tübingen. Politisch aktiv war Köhler nicht:

"Er ist ja der einzige Bundespräsident, der vor dem Antritt seines Amtes nie eine wirklich politische Funktion im Sinne eines politischen Mandats gehabt hat. Er war weder mal Abgeordneter, noch war er etwa Ministerpräsident, sondern er kennt ja eigentlich die Politik nur aus seinen administrativen Erfahrungen heraus, eben als früherer Staatssekretär, als Chef der Osteuropabank, als Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington, aber er hat nie die Ränke der Politik aus Sicht eines betroffenen Politikers erlebt und das unterscheidet ihn. Damit kokettiert er auch ganz gern. Er sagt ja im Grunde relativ freimütig: ich gehöre nicht zum politischen Establishment. Und das wertet er auch als einen Vorteil."

Der Autor tut das nicht, dem politischen Ränkespiel ist der Banker Köhler, so Langguth, mangels Erfahrung nicht immer gewachsen.
Köhler macht als Ökonom Karriere in Wirtschafts- und Finanzministerium, bekannt für Fleiß, Perfektionismus und ein mitunter aufbrausendes Temperament. Als Chef des IWF schreibt sich der künftige Bundespräsident den Kampf gegen die weltweite Armut und die Hilfe für Afrika auf die Fahnen. Doch Gerd Langguth stellt in einer der sieben Thesen, die seine Biographie abschließen, fest, Köhler sei ein in der Sache engagierter Technokrat ohne eigene Visionen geblieben:

"Er ist eben kein Geschichtsdeuter und in einer Welt, in der wir leben, muss natürlich auch ein Bundespräsident die Sehnsüchte, die Emotionen, die Ängste der Bevölkerung auch aufgreifen, was er übrigens auch in seinen Reden versucht, aber eben doch häufig in einer Weise, dass es sehr stark aus der Sicht eines Finanzpolitikers geschieht und trotzdem ist er natürlich ungeheuer beliebt. Das ist natürlich vielleicht ein Widerspruch, er ist ja sehr beliebt. Aber wenn er die Politik durchsetzen könnte, die er forderte, dann wäre er meines Erachtens außerordentlich umstritten."

Nach den Recherchen von Langguth hat Horst Köhler schon im November 2003 von der CDU-Oppositionsführerin Angela Merkel die ihn überraschende erste Voranfrage erhalten, ob er prinzipiell bereit sei, Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten zu werden. Er reagierte sofort positiv:

"Einer der Faktoren ist, dass Köhler erwartet hatte, dass wenn er sein Amt antritt, dass er etwas bewegen kann in der deutschen Politik und dass er wahrscheinlich die Möglichkeiten eines solchen Amtes als Bundespräsident überschätzt hat. Und Köhler ist ja vom Typ her jemand, der will was umsetzen, der hat auch was Missionarisches an sich und wenn er feststellt, da läuft was schief, und ich als Präsident halte eine Rede und ich werde nicht gehört, das muss ihm natürlich ungeheuer aufstoßen. Es kommt natürlich auch noch hinzu: er war der Mann einer bürgerlichen Wende und jetzt haben wir eine große Koalition. Und da passt er eigentlich nicht so richtig in diese Gemengelage."

Dass Horst Köhler gleich zwei Gesetze der neuen Bundesregierung nicht unterzeichnet, lässt manchen gar einen "Hauch von Weimar" wittern. Die Entscheidung über die Parlamentsauflösung und Neuwahlen, verkündet im Juli 2005, war laut Langguth die sicherlich bisher schwierigste politische Entscheidung Köhlers, war er doch im Vorfeld einfach übergangen worden:

"Die Umstände, die zu den vorgezogenen Neuwahlen führten, hätten den Bundespräsidenten auch dazu bewegen können, dem Begehren des Kanzlers nicht nachzukommen und den Bundestag nicht aufzulösen. Köhler machte im wahrsten Sinne des Wortes gute Miene zum bösen Spiel, denn eine prinzipielle und auf Dauer angelegte Handlungsunfähigkeit der Regierung lag nicht vor…Köhler muss sich darüber im Klaren gewesen sein, dass er zum Spielball der Fraktionen im Deutschen Bundestag gemacht wurde – sowohl vom Bundeskanzler als auch von der damaligen Opposition."

Horst Köhler – "ein politischer Solitär, der der Großen Koalition ein wenig ratlos gegenübersteht", so resümiert sein Biograph. Er habe sich mittlerweile immer mehr zu einem "einsamen Rufer in der bundesdeutschen Politik" entwickelt, ein Finanzfachmann, dem die große moralische Idee fehle. Er wirke mit seinen Einmischungen in die Innenpolitik wie der Vorstandsvorsitzende einer großen Aktiengesellschaft, der sich verzweifelt bemühe, nicht aus dem DAX heraus zu fallen. Ein Überzeugungstäter, der so Langguths Prognose im Jahr 2009 noch einmal gewählt werden wird. Eine zweite Chance also.

Gerd Langguth: Horst Köhler
dtv premium, München 2007
Gerd Langguth: "Horst Köhler"
Gerd Langguth: "Horst Köhler"© dtv premium