"Prädikat: Relativ wertvoll"

Von Till Reiners · 03.06.2013
Es heißt, die Würde des Menschen ist unantastbar. Das klingt nett und gut, meint der Kabarettist Till Reiners, doch dabei lügen wir uns in die Tasche. Denn wer sich die Behandlung von Flüchtlingen hierzulande anschaue, komme zu einem anderen Schluss: Die Menschenwürde sei nur eine Ware auf dem Marktplatz der Politik.
Es gibt Menschen, die glauben, dass es eine universelle Moral gäbe. Also zum Beispiel: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Klingt nett, klingt gut, haben wir gelernt. Aber lügen wir uns nicht in die Tasche. Die Würde DES MENSCHEN ist dann doch etwas weit gefasst, das kann der Realität nicht standhalten. Richtig müsste es heißen: "Die Würde des nicht Transferleistungen empfangenden weißen deutschen Mannes stellt für den Staat erst einmal kein Problem dar."

Wir haben uns auf eine pragmatische Einschränkung geeinigt, denn: Moral ist nicht universell. Wie beim Preis bestimmen Angebot und Nachfrage die Moral. Ein Beispiel: Bis vor Kurzem gab es keine ausreichende Nachfrage nach Menschenrechten für Asylbewerber. Deshalb haben die maximal 230 Euro pro Monat bekommen, durften nicht arbeiten und waren eingepfercht in viel zu kleinen Zimmern. Das liegt auch daran, dass in Deutschland grundsätzlich keine Nachfrage nach Asylbewerbern besteht. Dann aber gab es eine gesellschaftliche Nachfrage nach ein bisschen Würde für Asylbewerber. Die wurde auf dem politischen Markt verhandelt und schon gab es ein neues Menschenrechtsangebot für Asylbewerber. Heute dürfen Asylbewerber nicht arbeiten, sind eingepfercht in viel zu kleinen Zimmern und bekommen rund 350 Euro – das ist fast Hartz IV!

Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Übrigens ist ja nicht umsonst von Asylbewerbern die Rede: Sie bewerben sich um eines der seltenen Angebote als schützenswerte Individuen. Wer da keine saubere Bewerbungsmappe hat, fliegt eben raus. Wer seine Bewerbung in der Ticka-Tucka-Sprache schreibt, muss sich nicht wundern, dass ihn keiner versteht.

Jetzt werden sich viele fragen: Gibt es also überhaupt keine Maßstäbe, nach denen man sein Handeln ausrichten sollte? Doch, natürlich! Je wertvoller ein gesellschaftlicher Wert, desto leichter lässt er sich messen! Pünktlichkeit zum Beispiel lässt sich mit einer Uhr nachweisen. Anstand mit anständiger Kleidung. Und wer mäßig ist, der bringt wenig Kilos auf die Waage.

Es ist nur wichtig, keine Maßstäbe miteinander zu vertauschen.

Man sollte Dinge ausschließlich mit den ihnen innewohnenden Maßstäben messen. Also: Äpfel und Birnen kann man nicht vergleichen. Ist ein Eimer besser als eine Gießkanne? Die Frage ergibt keinen Sinn! Ist ein Eimer im Vergleich zu anderen Eimern besser? Ist er größer? Hat er eine schönere Farbe? Vielleicht sogar einen Henkel? Das kann man fragen.

Und ganz ähnlich ist es eben bei der Asylfrage. Sollte ein Flüchtling die gleichen Rechte wie alle Menschen in Deutschland haben? Diese Frage ergibt auch keinen Sinn. Die Frage muss doch sein: Macht er sich gut als Flüchtling? Ist er größer als die anderen Flüchtlinge? Hat er eine schönere Farbe? Vielleicht sogar einen Henkel? Nein, okay, das ist Quatsch. Aber man kann fragen: Hat er eine Leidensgeschichte, die im Vergleich zu denen der anderen Flüchtlinge besonders bewegend ist?

Und weil die inneren Maßstäbe entscheidend sind, lautet die Frage auch nicht: "Behandeln wir die Flüchtlinge mit Würde?", sondern: "Bekommen sie mehr Würde als in dem Land, aus dem sie geflohen sind?" Und da muss man eigentlich immer mit "Ja!" antworten, denn sonst würden sie ja freiwillig wieder zurückgehen.

Ja, da geht die Stimmung in den Keller. Aber ich denke mir so Sätze ja nicht aus. Das ist die Argumentationsstrategie des Innenministeriums. Man will keinen finanziellen Anreiz für Wirtschaftsflüchtlinge schaffen. Und recht hat er, der Innenminister Friedrich! Man muss jedes Ereignis, jeden Gegenstand, mit seinen innewohnenden Maßstäben messen. In diesem Sinne muss ich sagen: Die deutsche Flüchtlingspolitik ist auf einem guten, erfolgreichen Weg.

Till Reiners, Jahrgang 1985, ist Kabarettist. Für sein Programm "Da bleibt uns nur die Wut" wurde er 2012 mit dem Bielefelder Kabarettpreis, mit dem Silbernen Stuttgarter Besen sowie der St. Ingberter Pfanne ausgezeichnet. Hervorgehoben wurden seine "analytische Schärfe und gewandte Wortgewalt". Im Jahr 2011 wurde er Berliner Stadtmeister beim Poetry-Slam-Wettbewerb. Vor seiner Bühnenkarriere studierte Till Reiners Politikwissenschaften in Trier. Weitere Informationen sowie Videos von Auftritten: www.tillreiners.de
Till Reiners, Kabarettist und Slam-Poet
Till Reiners, Kabarettist und Slam-Poet© Agentur Die kulturBanausen