Pottwal-Sprache

Sind wir reif für die Botschaften anderer Wesen?

04:41 Minuten
Pottwal (Physeter macrocephalus) im blauen Wasser, das Maul steht offen.
Walkontakt ohne Wörterbuch: Mit modernster Informatik hoffen Forscherinnen und Forscher des CETI-Projekts den Code der Pottwal-Laute zu knacken. © imago / imagebroker / SeaTops
Von David Lauer · 04.07.2021
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Mit künstlicher Intelligenz will die "Wal-Übersetzungs-Initiative" CETI die Knacklaut-Sprache der Pottwale entschlüsseln. Aber ist das eine Sprache in unserem Sinne? Und wollen wir überhaupt hören, was die Wale sagen?
Seit ihren Anfängen hat die europäische Philosophie die Sprachfähigkeit eifersüchtig als exklusives Geburtsrecht des Menschen verteidigt: "Der Mensch ist (...) das einzige Lebewesen, das Sprache besitzt", erklärt Aristoteles zu Beginn seiner "Politik": "Die Stimme zeigt Schmerz und Lust an und ist darum auch den andern Lebewesen eigen (...); die Sprache dagegen dient dazu, das Nützliche und Schädliche mitzuteilen und so auch das Gerechte und Ungerechte."

Die Sehnsucht, die Sprache der Tiere zu verstehen

Aber hat Aristoteles vielleicht nur nicht gut zugehört? Zu unserer Überlieferung gehört auch die Sehnsucht nach einem verborgenen Reich ganzheitlichen Sinns in der Natur. Lässt sich die romantische Vorstellung, dass das Leben um uns herum zu uns sprechen würde, wenn wir seine Hieroglyphensprache nur verstünden, einfach so abweisen?
Nicht zufällig waren es Weise (wie König Salomo) und Heilige (wie Franz von Assisi), denen man die Fähigkeit zuschrieb, die Sprache der Tiere zu verstehen. Oder haben wir es hier nur mit einer sentimentalen Projektion zu tun, mit der wir die stumme Natur vermenschlichen?

Die Idee der "radikalen Übersetzung"

Im Dunstkreis dieser Fragen bewegt sich auch CETI, das internationale Forschungsprojekt zur Entschlüsselung der Pottwal-Sprache. Dabei folgt die Versuchsanordnung dem Aufbau eines Gedankenexperiments, das die Sprachphilosophen Willard Quine und Donald Davidson vor über einem halben Jahrhundert unter dem Namen "radikale Übersetzung" ersannen.
David Lauer im Porträt.
Wenn ein Wal sprechen könnte, würde uns gefallen, was er zu sagen hätte? David Lauer ist skeptisch.© Privat
Sie überlegten, wie man im Fall eines Erstkontakts mit einer radikal fremden Zivilisation Zugang zu der fremden Sprachwelt gewinnen könnte, ohne Hilfe von Wörterbüchern oder Übersetzerinnen. Zuerst müsse man die Zielsprache auf syntaktische Muster untersuchen. Dies soll im Fall der Walsprache mit Hilfe von künstlicher Intelligenz geschehen. Doch aus den so identifizierten Mustern allein lässt sich keine Bedeutung ableiten.

Überformung des Fremden durch das Eigene

Es reicht nicht, die Wale zu belauschen. Man muss sie zugleich auch beobachten, um festzustellen, auf welche Elemente ihres Lebens sich ihre Äußerungen beziehen. Zuletzt aber muss die radikale Interpretin selbst aus dem Schatten treten und Kontakt aufnehmen. Nur so kann sie die Adäquatheit ihrer Übersetzungen testen. Im Wal-Experiment soll dies durch einen interaktiven Wal-Chatbot geschehen.
Schon die praktischen Schwierigkeiten dieses Vorhabens sind enorm. Es gibt jedoch auch ein theoretisches Problem. Quine und Davidson argumentierten, dass im Verlauf der radikalen Übersetzung unvermeidlich die Struktur und die Semantik der eigenen Sprache in die fremde Sprache hineingelesen wird. Der Preis der Verständlichkeit ist also die Überformung der Andersheit.

Nicht verstehen – oder nicht verstehen wollen?

Davidson schloss daraus, dass eine verstehende Begegnung mit radikal fremdartigem Denken unmöglich ist. Entweder, so meinte er, werden wir finden, dass die fremden Wesen die Welt ungefähr so sehen wie wir, oder ihre Lebensform wird uns als Ganze undurchsichtig bleiben, einschließlich des Verhaltens, hinter dem wir eine Sprache vermuteten.
Ludwig Wittgenstein, in dessen Werk sich ähnliche Überlegungen finden, war in dieser Hinsicht skeptisch: "Wenn ein Löwe sprechen könnte", so gab er zu Protokoll, "könnten wir ihn nicht verstehen."
Und vielleicht ist uns das im Stillen auch ganz recht? Nehmen wir an, wir fänden heraus, dass die Pottwale tatsächlich eine Sprache sprechen, also – nach Aristoteles – mitteilen können, was nützlich und was schädlich, was gerecht und was ungerecht ist. Würden wir es ertragen, anzuhören, was sie uns zu sagen hätten?

David Lauer ist Philosoph und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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