Potsdam – Kundus

Von Hartmut Krug · 12.01.2011
Die Bühne ist ein Verwaltungsraum voller Aktenschränke und Computer, und die Wände sind beklebt mit Dokumenten. Mit Aktenbündeln treten die Menschen vor, oder sie lesen vom Computer ab.
In Clemens Bechtels dokumentarischem Theaterabend "Potsdam – Kundus. Der schwierige Weg zum Frieden" wird der Zuschauer mit einer Fülle von dokumentarischem Material konfrontiert. Seit 32 Jahren währt der Krieg in Afghanistan, seit 2001 engagiert sich dort eine internationale Staatengemeinschaft "zivilmilitärisch" für den Frieden. Auch Deutschland. Und da das Einsatzführungskommando der Bundeswehr, das deren Einsatz für Afghanistan koordiniert, vor den Toren Potsdams in Geltow residiert, ist Potsdam kein schlechter Ort für dies Dokumentartheater.

Regisseur Clemens Bechtel, der hier schon Abende zur Stasi und zur Bürgerrechtsbewegung gezeigt hat, bietet wiederum alles andere als ein buntes Theaterspektakel. Sechs Schauspieler und eine afghanische Exilantin stehen auf der Bühne, sechs Politiker, Diplomaten und Entwicklungshelfer erzählen von der Videowand herab.

Ihre Schilderungen und konträren Positionen beleuchten eine schier ausweglose Komplexität des Geschehens. Die Inszenierung bezieht weder Position noch agitiert sie. Sie informiert, umfassend. Dadurch wirkt der Abend nicht nur wegen seiner Fakten, sondern auch wegen seiner meist trockenen Ernsthaftigkeit bedrückend. Immer wieder aber gibt es auch emotionalisierende Szenen. So, wenn von der Versammlung der Stammesfürsten 2002 erzählt wird. Empört nennt dort eine Delegierte die Namen von verbrecherischen Warlords, die unter dem Motto "Frieden jetzt, Gerechtigkeit später" erneut in Führungspositionen gelangen. Sie wird mit Verfahrensregeln zur Ruhe gebracht - so wie deutsche Oppositionspolitiker im Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages im September 2009, die die Namen der zivilen Opfer des Bombardements öffentlich machen wollen.

Überdeutlich wird das Dilemma der Entwicklungshelfer, die Gummibärchen verteilen, aber dem schützenden Militär zugerechnet werden. Ob zivil-militärische Zusammenarbeit überhaupt sinnvoll sein kann in Afghanistan, wirkt nach den Berichten der Beteiligten, auch nach den gestanzten Leerformeln der verteidigungspolitischen Parteisprecher eher unwahrscheinlich. Grausig komisch dagegen, wenn eine Oberstabsärztin nach einem Überfall auf einen Bundeswehrbus für die beiden deutschen Opfer passende Särge sucht. Es gibt nur zu kurze Särge aus Vorweltkriegszeiten. Eine groteske Szene, in der ein verbrecherischer Warlord vom deutschen Kommandeur verlangt, zum Polizeichef des Ortes gemacht zu werden, beleuchtet ebenso die Verzwicktheit der Situation in Afghanistan wie das Nachspiel der Entscheidungsfindung zum Bombenangriff auf die Tanklaster in Kundus.

Eine Vielzahl von Stimmen erklingt: Von Dschihadisten sowohl aus arabischen Ländern wie aus Deutschland, von Talibanen und Mitarbeiter der Ärzte ohne Grenzen. Man hört den Sondergesandten der USA und einen traumatisierten Überlebenden des Überfalls auf den Bundeswehrbus, der nach seiner Rückkehr nach Deutschland aus allen sozialen und privaten Zusammenhängen gefallen ist. Zwei deutsche Verteidigungsminister kommen zu Wort, Soldatenbriefe in die Heimat werden verlesen, und eine Afghanin sagt illusionslos: "Unter den Kommunisten haben die Afghanen noch an etwas geglaubt. Jetzt glauben sie an nichts mehr."

Clemens Bechtels Dokumentartheater wirkt mal anregend und dann wieder anstrengend oder auch ermüdend. Er ist kein Theatererlebnis oder Theaterfest, sondern ein teilweise von arabischer Musik untermalter Arbeitsabend. Arbeiten müssen gleichermaßen die Schauspieler wie die Zuschauer, die schließlich umfassend informiert sind, sich aber dennoch oder gerade deshalb hilflos fühlen.